Hamburg. An der Waitzstraße bieten gleich elf Läden Backwaren an. Ähnlich ist es auch in Niendorf, Harburg, St. Georg und Altona.
Wer Brot, Brötchen, Gebäck oder Kuchen sucht, wird in Hamburg vielerorts fündig. Eine Ballung von Backgeschäften wie in der Waitzstraße in Groß Flottbek jedoch ist wohl einmalig. Das ohnehin üppige Angebot erfuhr jetzt doppelten Zuwachs. Ergebnis: Aktuell bieten auf rund 600 Metern elf Läden Backwaren an. Vor Ort wird die am S-Bahnhof Othmarschen gelegene Einkaufsmeile „Bäcker-Boulevard“ genannt.
Was für die Kundschaft ob der Vielfalt und umkämpfter Preise von Vorteil ist, erweist sich für traditionelle Bäcker mit handwerklichem Fundament als hartes Brot – überall in der Hansestadt. „Natürlich bekommen wir diese Entwicklung zu spüren“, sagt Hans-Hermann Hansen, gemeinsam mit seinem Bruder Dirk Inhaber von Hansens Backstube in der Waitzstraße 10. Das mittelständische Familienunternehmen mit 32 Mitarbeitern, Stammsitz an der Sülldorfer Landstraße und fünf Filialen im Westen der Hansestadt, wird im Frühjahr 90 Jahre alt. Anno 1926 gründete Hans Hansen in der Blankeneser Hauptstraße seine erste Bäckerei. Noch nie war das Geschäft so anstrengend wie heute.
Noch zwei Neueröffnungen
Neben der bekannten Konkurrenz Dat Backhus (Hausnummer 2–4) und Nur Hier (Hausnummer 7) haben in direkter Nachbarschaft neuerdings zwei weitere Bäcker eröffnet: Junge (Hausnummer 9) und Gaues (Hausnummer 19). Mit dem Café Schmidt am Beselerplatz, einer Verlängerung der „Waitze“, ist ein weiteres Fachgeschäft präsent. Hinzu kommen fünf Läden, die Backwaren verkaufen. Sogar das Newport, ein besonders angesagtes, persönlich geführtes Café inmitten der Meile, bietet neuerdings hausgemachtes Spezialbrot zum Mitnehmen an.
„Zwar ist die Konkurrenz in der Waitzstraße besonders ausgeprägt“, sagt Heinz Essel, Geschäftsführer der Hamburger Bäcker-Innung, „aber auch in anderen Stadtteilen gibt es solche Ballungen.“ Beispiele sind die Lüneburger Straße in Harburg, der Tibarg in Niendorf, die Lange Reihe auf St. Georg, die Hoheluftchaussee sowie das Gebiet rund um den Bahnhof Altona.
Mindest-Investition von 100.000 Euro
Während sich nach Essels Erfahrung früher Filialen von Backketten in umkämpften Straßen auch breitmachten, nur um den Standort zu sichern, müsse sich eine Neueröffnung heutzutage rasch rechnen. „Unter 100.000 Euro Investition braucht man gar nicht erst an einen Start zu denken“, weiß Heinz Essel. In der Regel sei die Investition „weit höher“. Ein kleiner Bäcker kann sich so etwas kaum leisten.
Während sich Gaues auf traditionelle Backkunst konzentriert, setzt Junge auf das in Hamburg vielfach bewährte Konzept der Lübecker Firma: ein umfangreiches Angebot an Backwaren und Kaffeesorten zum Außer-Haus-Verkauf, aber ebenfalls Gebäck, belegte Brötchen, Suppen, Salate und Getränke zum Verzehr im Shop. Im schick designten Café finden etwa 50 Gäste Platz; demnächst wird eine Terrasse für weitere 40 Gäste eröffnet. Der bisherige Eindruck: Die Kundschaft nimmt die neue Einkehrmöglichkeit an. Das Café wird stark besucht. Das Eröffnungsangebot von 20 Prozent auf Brot und Brötchen sorgte bei den Rivalen nicht für Begeisterung.
"Einen echten Treffpunkt geschaffen"
„Gaues und Junge sind gut für die Angebotsvielfalt“, sagt Veronika Glaab-Post, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Waitzstraße mit 80 Mitgliedern. „Unsere Straße erfährt so Belebung.“ Ähnlich sieht es Dirk Hübenbecker, Chef des Fleischerfachgeschäfts: „Wir können Bäcker Junge dankbar sein. Er hat einen echten Treffpunkt geschaffen, den wir in dieser Form in der Waitzstraße bisher nicht hatten.“ Fazit: Die Konzentration ausgezeichneter Backgeschäfte suche in Hamburg ihresgleichen.
Insgesamt sind in der nach dem 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung aktiven Politiker Georg Waitz benannten Geschäftsstraße 120 Gewerbetreibende ansässig. Die Durchschnittsmiete pro Quadratmeter, wissen kundige Makler, liege zwischen 40 und 60 Euro pro Quadratmeter, in Spitzenlagen nahe der S-Bahn-Station bis zu 80 Euro. Zur anderen Seite hin, Richtung Volkshochschule, kann der Preis auf rund 30 Euro sinken.
Mehr als 500 Filialen in Hamburg
Bei solchen Mietpreisen müssen reichlich Rundstücke hergestellt werden, um wirtschaftlich große Brötchen zu backen und mit Gewinn über die Runden zu kommen. Ohne Snacks und Coffee to go würde die Rechnung längst nicht mehr aufgehen – überall in der Stadt. In der Hamburger Bäcker-Innung sind knapp 70 Handwerksbetriebe organisiert. Insgesamt gibt es mehr als 500 Filialen, die teilweise aus Backfabriken in anderen Bundesländern beliefert werden. Zudem offeriert praktisch jeder Supermarkt und Discounter Brot und Brötchen.
Inhabergeführte Bäcker wie Dirk und Hans-Hermann Hansen, die ab ein Uhr nachts in ihrer Backstube arbeiten, können gegen die preisgünstige Konkurrenz nur mit Qualität, erstklassigem Personal und einer treuen Stammkundschaft bestehen. Tiefgefrorene, aufgebackene Teiglinge kommen bei ihm nicht in die Tüte.