Hamburg. Mitarbeiter im Rathenower Werk des Brillenanbieters kämpfen um ihr Geld. Neuer Personalchef soll die Wogen glätten.
Bei Fielmann ist man an Superlative gewöhnt: Im vergangenen Jahr glänzt ein Rekordgewinn im Geschäftsbericht, wieder einmal, die Anteilseigner erhalten Ausschüttungen von 130 Millionen Euro. Ein seit Jahren steigender Aktienkurs mehrt das Vermögen der Anleger mit schöner Verlässlichkeit. Darüber hinaus leistet sich die Firma ein Polster von 600 Millionen Euro an Eigenkapital. Der Brillenkonzern verdient gut, man könnte auch sagen glänzend. Wer in das Hamburger Unternehmen investiert hat, kann sich freuen. Wer dort arbeitet, ist offenbar vereinzelt weniger glücklich.
Der Betriebsrat im Brillenwerk in Brandenburg ist verärgert
In der Brillenfabrik von Fielmann im brandenburgischen Rathenow hängt der Haussegen schief, der Betriebsrat ist verärgert. Es geht um lange Arbeitszeiten, befristete Jobs und Minilöhne. Dutzende Mitarbeiter machen nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall derzeit ihre Ansprüche auf korrekte Zahlung des Mindestlohns geltend. Reagiert der Arbeitgeber bis zum Ende des Monats nicht, werden sie klagen, sagt Bernd Thiele, Geschäftsführer der IG Metall in Potsdam. Es gebe zwar oft Diskussionen über schlechte Bezahlung im Osten. „Aber Fielmann ist der einzige Betrieb im Bezirk West-Brandenburg, bei dem wir diesen Schritt gehen müssen“, sagt der Gewerkschafter.
In der Hamburger Zentrale von Fielmann ist man seit Bekanntwerden der Vorwürfe – auch das Abendblatt berichtete bereits über den Fall – dabei, die Wogen zu glätten. Es heißt in der Firma, Gründer Günther Fielmann sei persönlich mit der Sache betraut, zuvor sei er über die Bedingungen für die Mitarbeiter nicht informiert gewesen. Jetzt wurde ein neuer Personalleiter nach Rathenow geschickt, der schlichten soll. Jochen Prieß, ein Jurist und seit mehr als zehn Jahren für Fielmann tätig, ist seit Anfang August damit beschäftigt, die Mitarbeiter des Werks anzuhören und damit letztlich auch einem Imageschaden bei der Vorzeigefirma vorzubeugen.
Doch in der Sache bleibt das Unternehmen hart: Fielmann bezieht bei der Berechnung des Mindestlohns Zulagen der Mitarbeiter mit ein, die diese bisher als eine Art Treueprämie nach längerer Beschäftigung für den Arbeitgeber bekommen haben. „Die rechtliche Prüfung hat ergeben, dass die Entgeltgruppenzulage in der jeweils monatlich gewährten Höhe auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar ist“, schreibt die Rathenower Optik GmbH in einer Stellungnahme an das Abendblatt. Das heißt: die Beschäftigten kommen nur auf den Mindestlohn, wenn sie die Prämie mit in die Berechnung ihres Verdienstes einbeziehen.
Die Frauen und Männer, die in Rathenow an langen Tischen täglich Tausende Gläser und Brillen bearbeiten und dabei oft Millimeterarbeit leisten, verdienen mit rund 1500 Euro im Monat ihrer Ansicht nach zu wenig. Und doch tragen sie entscheidend zum Gewinn des Unternehmens bei. Denn Fielmanns Erfolg basiert vornehmlich darauf, dass der Konzern im Geschäft mit den Brillen auf Zwischenhändler und Zulieferer verzichtet. Der Anbieter schleift die Gläser für die Gestelle selber, fertigt auch die Brillen in Eigenregie. Das alles passiert in dem Werk in Rathenow, in einer Fabrik, die im idyllischen Havelland mit seinen Seen und Wäldern zwei betriebswirtschaftliche Vorteile vereint: Hier gibt es günstige Mitarbeiter und kurze Wege in die Filialen von Fielmann.
Der enge Zeitplan bei den Aufträgen belastet die Fertigung
Zwei Tage Lieferzeit für die Brille, dieses Versprechen an die Kunden geht aber offenbar oft auf Kosten der Mitarbeiter in der Fabrik, nicht nur bei der Bezahlung: Viele klagen über hohe Belastungen bis zum Krankwerden, 50-Stunden-Wochen und schlechte Kommunikation über Wochenendeinsätze. „Wir wissen nicht, wann wir die Mehrarbeit ausgleichen können“, heißt es in der Belegschaft, die nach eigenen Angaben bereits seit April die vollen Arbeitskonten vor sich herschiebt. Die Herausforderung: Die Zahl der Filialen steigt ständig. Dadurch erhöhen sich der Absatz von Brillen und in der Folge auch die Zahl der Aufträge für Rathenow deutlich. „Wir sind jetzt mehr als 1000 Mitarbeiter, dabei ist das Werk für knapp 700 Beschäftigte ausgelegt“, heißt es aus dem Betrieb weiter, es werde in der Fabrik langsam eng.
„Grund für unseren Erfolg sind kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Fielmann leben“, so schreibt der Konzern in seinem Geschäftsbericht. Jahr für Jahr ehrt Firmenchef Günther Fielmann den besten Optikernachwuchs auf der Hauptversammlung, die jungen Leute werden in einem weißen Schloss mit herrlichem Blick auf den Plöner See ausgebildet. Die Frauenquote im Unternehmen ist hoch, auch bei den Führungskräften. Fielmann betont bei seinen öffentlichen Auftritten stets, dass die Beschäftigten nicht vom Erfolg des Unternehmens abgeschnitten werden. Er ist bei dem hohen Expansionstempo seines Unternehmens auf reichlich Optiker-Nachschub angewiesen, der gute Ruf als Arbeitgeber bedeutet in einer Welt des Fachkräftemangels ein wichtiges Pfund, mit dem man bei den Bewerbern punkten kann.
In Rathenow bleibt Fielmann einigen Mitarbeitern dieses Versprechen eines attraktiven Jobs offenbar bisher schuldig. Der neue Personalleiter Prieß soll diesen Missstand ändern. Bis zum Ende des Jahres wird es eine seiner vorrangigen Aufgaben sein, eine neue Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit zu schließen, heißt es von Fielmann gegenüber dem Abendblatt.