Hamburg. Hermes hatte für die Abendblatt-Leserspenden Lastwagen und ein Lager zur Verfügung gestellt. Über die Motivation des Unternehmens.
Der 20. Juli war ein Tag, den wir beim Hamburger Abendblatt wahrscheinlich nie vergessen werden. Wir hatten die Hamburger aufgerufen, für Flüchtlinge Kleider, Hygieneartikel, Fahrräder und mehr zu spenden, und mit 500 bis 1000 Teilnehmern gerechnet. Es kamen rund 10.000, sie spendeten am Ende eher 60 als die zunächst geschätzten 40 Tonnen. Und wir hatten mehrere Probleme: Die zwei bestellten Lkw zum Weitertransport in die Flüchtlingsunterkünfte reichten schnell nicht mehr aus; für die vielen Spenden, die nicht gleich verteilt werden konnten, brauchten wir dringend eine Lagerfläche.
Ein großes Hamburger Unternehmen half: Hermes schickte am Aktionstag nicht nur innerhalb von zwei Stunden drei Siebeneinhalb-Tonner, sondern stellte danach auch ein Lager zu Verfügung, aus dem die Spenden nun nach und nach in die Flüchtlingsunterkünfte gebracht werden – übrigens wiederum mit Fahrern und in Lkw von Hermes.
Das und die großartige Spendenbereitschaft der Hamburger führt dazu, dass in der Stadt noch mehrere Wochen und systematisch Flüchtlingsunterkünfte und -initiativen mit dringend benötigtem Material versorgt werden können. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Frank Rausch, Vorsitzender der Geschäftsführung von Hermes Deutschland, und Aufsichtsrätin Sabine Christiansen über das spontane und das langfristige Engagement des Unternehmens für die Flüchtlinge – und was Hermes davon hat.
Hamburger Abendblatt: Was haben Sie gedacht, als Sie die Anfrage erreichte, dass das Hamburger Abendblatt für seine Flüchtlingsaktion so schnell wie möglich ein paar Lkw braucht?
Frank Rausch: Auf den ersten Blick, sachlich betrachtet: ein ganz normaler Auftrag. Als Logistiker sind wir ja rund um die Uhr im Einsatz, um für unsere Kunden möglichst passgenaue Logistikservices bereitzustellen, also zwei Ziele auf dem direktesten Weg zu verbinden. Es gehört zu unserer originären Kernkompetenz, Transporte, so schnell es geht, zu organisieren. Im Verlauf des Tages wurde dann aber schnell klar, dass dieser Einsatz nicht ganz alltäglich war, sondern eine besondere Dimension und Tragweite entwickelt hat. Toll, was das Hamburger Abendblatt in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat! Dabei war es für uns als Hamburger Unternehmen selbstverständlich, sofort mit anzupacken.
Gibt es tatsächlich öfter Anfragen wie die unsrige? Wir wollten ja innerhalb von zwei Stunden (!) drei Siebeneinhalb-Tonner von Ihnen...
Rausch: Ja, die gibt es in der Tat häufiger, im globalen Handel ist das sogar ein klarer Trend. Es ist absolut üblich, dass morgens ein Auftrag hereinkommt, der am Nachmittag schon erledigt sein muss. „Just-in-Time“ ist generell ein Imperativ im Handel, derzeit ist auf Kundenseite vor allem das Thema „Same-Day-Delivery“, also die taggleiche Lieferung, stark im Kommen. Fest steht: Die Ansprüche an die Geschwindigkeit steigen. Dafür sind wir bei Hermes aufgestellt.
Wie muss ich das mir in unserem Fall vorstellen? Haben Sie eine bestimmte Zahl von Fahrern und Fahrzeugen in Wartestellung, die dann innerhalb kürzester Zeit am Einsatzort sein können?
Rausch: Wir müssen ja immer in der Lage sein, auf Schwankungen in unserem Geschäft zu reagieren. Im Schnitt stellen wir jeden Tag eine bis 1,5 Millionen private Sendungen zu, mit einer klaren Hochphase vor Weihnachten. Soll heißen: Wir müssen sehr flexibel mit unseren Ressourcen, vor allem mit unseren Fahrern und Fahrzeugen, sein. Dass wir das sind, zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir rund 97 Prozent unserer Sendungen beim ersten Versuch zustellen – und das bei über 300 Millionen Sendungen pro Jahr. Diese besondere Flexibilität und Kundennähe ist uns übrigens auch im Zuge der jüngsten Poststreiks zugutegehalten worden, wo uns viele Kunden als direkte Alternative genutzt haben.
Davon haben wir mit unserer Flüchtlingsaktion ebenfalls profitiert. Und weil alles so gut geklappt hat mit den spontanen Transporten, waren wir so frech und haben Sie am nächsten Tag gefragt, ob Sie für die mehr als 60 Tonnen Sachspenden, die wir nicht gleich ausliefern konnten, ein Lager haben. Sie haben wieder ja gesagt, warum?
Rausch:Wir sind eine hundertprozentige Tochter der Otto Group, und deshalb fühlen wir uns grundsätzlich Hamburg als unserem Heimatort verpflichtet. Außerdem bringen wir Dinge, die wir begonnen haben, auch gern zu Ende. Das entspricht auch unserem Motto „Hermes – We do!“, eine Initiative, mit der wir unsere ökologischen und sozialen Maßnahmen bündeln. Zur Hermes Gruppe gehören heute zwölf Gesellschaften, darunter auch eine Fulfillment-Sparte, die auf die Warenlagerung spezialisiert ist. Glücklicherweise hatten die Kollegen in Bramfeld eine freie Lagerfläche zur Verfügung, die sie für die Aktion gern zusätzlich bereitgestellt haben.
Frau Christiansen, hat man im Aufsichtsrat mitbekommen, wie Hermes sich an der Flüchtlingsaktion beteiligt hat?
Sabine Christiansen: Natürlich, und das Ergebnis war grandios. Erst einmal war es ja beeindruckend, dass sich so unglaublich viele Menschen daran beteiligt haben, dass Schlange gestanden und die Straße abgesperrt werden musste. Diese Solidarität und Hilfsbereitschaft, dieses Signal aus Hamburg kam zum richtigen Moment. Denn wir sehen ja auch, dass viele Bürger Flüchtlinge ablehnen, wir erleben sogar wieder Fremdenhass. Deshalb war es für uns als Hermes so wichtig zu zeigen, dass wir von gesellschaftlicher Verantwortung nicht nur in unseren Nachhaltigkeitsberichten sprechen, sondern den Worten auch Taten folgen lassen. Wir müssen den Begriff mit Leben füllen – täglich, im Einsatz für unsere Kunden, Mitarbeiter oder die Umwelt. Und das besonders gern, aber nicht nur, wenn uns eine Anfrage wie die vom Hamburger Abendblatt erreicht.
Rausch: Wir wollen nicht bürokratisch, wir wollen pragmatisch unterwegs sein. Insofern war die Beteiligung an der Spendenaktion auch ein guter interner Test.
Kann das Thema Flüchtlinge wirklich ein Teil der Nachhaltigkeitsstrategie von Hermes sein? Denn auf den ersten Blick würde man Ihr Unternehmen und Flüchtlinge ja nicht automatisch zusammenbringen.
Christiansen: Nachhaltigkeit bezieht man immer schnell und ausschließlich auf die Ökologie, aber sie betrifft natürlich auch, und künftig vielleicht noch stärker, unser soziales Umfeld. Es geht darum, als Unternehmen die soziale Verankerung in der Gesellschaft zu zeigen, und das hat Hermes mit der Aktion erneut bewiesen. Wir haben in den vergangenen Wochen gelernt, dass die Logistik ein zentrales Thema in der Flüchtlingsfrage ist. Wie kriegt man Spenden zu den Betroffenen, wie werden die dort sortiert und verteilt usw.? Ohne die Logistik geht hier, wie übrigens generell im weltweiten Handel, nichts. Logistik ist der Garant dafür, dass unser aller Alltag funktioniert. Das wird häufig vergessen.
Rausch: Ein Argument war für uns zudem, dass wir unsere Logistik-Kompetenz einbringen konnten. Uns ist wichtig, dass man diesen „roten Faden“ erkennt und in den getätigten Engagements nicht beliebig wird. Deshalb bleiben wir bei der Flüchtlingsaktion auch weiter dabei. Wenn man Logistik definiert, dann geht es doch im Kern darum: Logistik verbindet Menschen, Logistik verbindet aber auch gesellschaftliche Gruppen. Und das zählt auch in den zentralen politischen Fragen unserer Zeit. Wenn Sie so wollen, sind unsere Lkw und unsere Fahrer in Hamburg derzeit eine der wichtigsten, oft die einzigen, Verbindungen zwischen den Hamburgern und den Flüchtlingen. Das kann doch wenigstens ein Anfang sein.
Wie haben die Mitarbeiter auf Hermes’ Engagement reagiert?
Rausch: Wir haben durchweg positives Feedback erhalten. Viele unserer Mitarbeiter waren stolz, dass wir uns in dieser Art an einer Aktion beteiligt haben, die ja in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt hat. Ein solches Projekt trägt schließlich auch zur Unternehmenskultur bei. Als engagiertes Unternehmen wahrgenommen zu werden, hilft uns nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt, also bei der Rekrutierung von Mitarbeitern. Diese interessieren sich nämlich immer stärker dafür, wie ein Konzern seiner Verantwortung nachkommt – und ob sie sich damit identifizieren können.
Frau Christiansen machen Sie auch die Erfahrung, dass für junge Leute heute bei der Firmenwahl ganz andere Kriterien wichtig sind als früher?
Christiansen: Es sind neue hinzugekommen. Es ist den jungen Menschen wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, das lebenswert ist und Spaß macht. Man möchte mehr als nur das Gehalt besprochen wissen. Und dabei ist ganz wichtig zu erfahren: Wer ist dieses Unternehmen, wofür steht es, was macht es gesellschaftspolitisch? Als Arbeitnehmer hören und sehen sie in vielen Unternehmen jede Menge über Nachhaltigkeit. Aber konkret wird es eben erst anhand von Aktionen wie dieser, wenn die Kollegen merken: Die Chefs meinen es ernst. Deshalb ist es auch wichtig, dass man nicht nur im akuten Fall hilft, sondern langfristig Interesse zeigt.
Sie übernehmen im Hermes Aufsichtsrat speziell Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit. Worauf werden Sie besonders achten?
Christiansen: Nachhaltigkeit ist heute kein Luxus mehr, sondern eine Kernkompetenz. Nur wer sich nachhaltig aufstellt, ist auch langfristig erfolgreich. Im Umweltschutz hat Hermes sich traditionell vorbildlich positioniert und auch zuletzt positiv entwickelt. Zum Beispiel wird in London jetzt nur noch elektrisch mobil zugestellt! So weit sind wir noch nicht überall, aber es geht voran. Zusätzlich sind zuletzt verstärkt soziale Themen, zum Teil auch medial getrieben, in den Fokus gerückt. Man denke an die Diskussion, die vor einiger Zeit zu den Beschäftigungsstandards in der Paketbranche entbrannt ist. Hier hat Hermes sehr schnell reagiert und Transparenz hergestellt. Der Mindestlohn ist jetzt in der Branche Realität. Weitere wichtige Themen sind die Frauenquote, Diversity, Aus- und Weiterbildung.
Die Aktionen, die Sie machen, dürften kein Selbstzweck sein. Was hat Hermes als Unternehmen davon?
Rausch: Nachhaltige Projekte sind grundsätzlich ein Investment in die Zukunft. Die Erfolge zeigen sich nicht immer sofort, aber sie sind notwendig. Auch diese Aktion hat wieder gezeigt, wie wichtig es ist, als Unternehmen „Flagge zu zeigen“. Dabei sind wir auf kreative Mitarbeiter angewiesen, die sich trauen, für akute Problemstellungen kluge Lösungen zu finden. Und das haben die beteiligten Kollegen bei der Abendblatt-Aktion sehr gut gemacht.
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