Die norddeutsche E.on-Tochter HanseWerk gilt als Vorreiter bei der Umstellung. Mehr als 32.500 Kraftwerke sind an ihre Infrastruktur angeschlossen. Erneuerbare Energien gewinnen ständig Marktanteile.
Quickborn. An den Stromnetzen von Matthias Boxberger hängen mehr als 32.500 Kraftwerke, und jedes Jahr werden es mehr: Windturbinen, Fotovoltaikanlagen, Biogas-Blockheizkraftwerke. Kaum eine Firma in Deutschland ist so eng in die Umsetzung der Energiewende eingebunden wie HanseWerk mit Sitz in Quickborn: „Schleswig-Holstein ist eine Vorreiterregion der Energiewende in Deutschland“, sagt Boxberger, 48, der Vorstandsvorsitzende, in seinem Büro in der Firmenzentrale in einem Gewerbegebiet am Rande der Stadt. „Deutschlands ältester Windpark, der Windenergiepark „Westküste“, wurde von einem unserer Vorgängerunternehmen bereits 1987 mit begründet. HanseWerk war insofern von Beginn an als Unternehmen an der deutschen Energiewende beteiligt.“
Boxberger und seine rund 2000 Mitarbeiter bei HanseWerk stehen seit Jahren in der ersten Reihe bei der Umsetzung dieses Projekts. Sie müssen ein rasch wachsendes Aufkommen an Ökostrom in ihren lokalen und regionalen Netzen technisch und wirtschaftlich so beherrschen, dass die Versorgung jeden Tag sichergestellt wird – ein Transformationsprozess, der weltweit ohne Vorbild ist. „Mehr als 90 Prozent der in Schleswig-Holstein installierten Leistung aus regenerativen Stromquellen sind an unsere Netze angeschlossen“, sagt Boxberger. „Rein bilanziell haben wir bei HanseWerk mittlerweile zu fast 100 Prozent erneuerbare Energien in unseren Netzen.“ Bei der Versorgung der Kunden im Alltag sei der Anteil rein physikalisch gesehen allerdings deutlich geringer: „Lastspitzen aus den Höchstspannungsnetzen von Tennet und 50 Hertz werden letztlich mit Strom aus fossil betriebenen Kraftwerken, aus Kernkraft oder aus dem Ausland gedeckt.“
Am Strommarkt gewinnen die erneuerbaren Energien ständig Marktanteile. Bundesweit wird nun mehr als ein Viertel des Stroms in Wind-, Sonnen- und sonstigen Ökokraftwerken erzeugt. Schleswig-Holstein will dauerhaft zum Stromexporteur werden, unter anderem mithilfe der geplanten Fernleitung SüdLink, die norddeutschen Windstrom nach Bayern und Baden-Württemberg bringen soll. Im nördlichsten Bundesland sind bereits rund 6000 Megawatt Erzeugungsleistung aus erneuerbaren Quellen installiert, bis 2020 könnten es 9000 Megawatt sein – das Land selbst mit seinen nur wenigen Industrieansiedlungen braucht aber auch bei hoher Nachfrage kaum mehr als 1500 Megawatt Leistung.
HanseWerk muss die Infrastruktur dafür stellen, um die vor allem aus Windanlagen ständig wachsende Leistung im Netz aufzunehmen. Das Unternehmen muss Schwankungen zwischen Starkwind und Flaute mit ausgleichen und dafür sorgen, dass vor Ort ein immer größerer Teil des Strombedarfs aus regenerativen Quellen gedeckt wird. Von 2015 bis 2017 investiere HanseWerk rund 500 Millionen Euro, in den Ausbau von Strom- und Gasnetzen wie auch in den Ausbau erneuerbarer Erzeugungskapazitäten, sagt Boxberger. Man werde allein 80 Umspannwerke erweitern oder neu errichten, ebenso drei neue 110.000-Volt-Leitungen. „Wir können und müssen Strom in Elektromobilität umwandeln, in Gebäudewärme, in synthetische Gase wie Wasserstoff. Nur so können wir den heimischen Energieträger Strom vor Ort nutzen und mit den erneuerbaren Energien auch die nötige Speicherfunktion erfüllen“, sagt Boxberger. „Mit unserem neuen Kombikraftwerk auf Pellworm demonstrieren wir gerade, wie integrierte erneuerbare Systeme in Zukunft funktionieren können.“
Bei all dem bleibt die Sorge, dass die Energiewende speziell an der Küste zu schnell vorangehen könnte, dass vor allem die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen weit schneller wächst als die Nutzung des Ökostroms. „Allein die installierte regenerative Leistung an Land hat in Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2023 ein Potenzial von maximal bis zu 16.000 Megawatt. Aber haben wir dafür schon die richtigen Nutzungskonzepte?“, sagt Boxberger. „Ich vermisse vor diesem Hintergrund gewissermaßen die Ehrlichkeit auf dem Beipackzettel: Wir wollen politisch aus den Abhängigkeiten der konventionellen Energieversorgung heraus, begeben uns aber in neue Abhängigkeiten hinein, etwa bei der Abnahme und dem Abtransport großer Leistungsmengen regenerativen Stroms.“ Auf die Leistung konventioneller Kraftwerke – vor allem Kohle- und Gaskraftwerke – könne man auch im Norden auf absehbare Zeit nicht verzichten, sagt der Energiemanager: „Sie liefern Energie nachts und bei Flaute, bei ungeplanten Bedarfen der Kunden und bei ungeplanten Einspeisungen der erneuerbaren Quellen. Sie tragen zur Erhaltung von Spannung und Frequenz im Netz bei.“
HanseWerk ist ein Vorreiter und Trendsetter beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aus Boxbergers Sicht aber kann die Energiewende nur gelingen, wenn die Verbraucher sie wollen und mittragen: „Wir müssen dazu beitragen, das Nutzerverhalten zu ändern und das neue Energieangebot mit neuen Wegen beim Energieverbrauch zu synchronisieren“, sagt er. „Deswegen müssen wir die Verwertbarkeit des regenerativ erzeugten Stroms vor Ort erhöhen. Nur so können wir eine sinnvolle Energiewende gestalten.“