Obstbauer beginnen mit der zweitbesten Ernte seit zehn Jahren. Erwartet werden 334.000 Tonnen Äpfel. Immer mehr Betriebe wie Familie Giese aus Steinkirchen setzen auf Zusatzgeschäfte mit Hofladen und Café.
Steinkirchen. Mit dem Gabelstapler hebt Peter Giese eine große Obstkiste nach der anderen auf den Lkw. „Das wird eine sehr gute Apfelernte“, sagt der Obstbauer aus Steinkirchen im Alten Land. Wie zum Beweis strahlt an diesem Tag die Sonne über seiner Plantage, insgesamt 20 Hektar in Steinkirchen im Alten Land. Noch ist es eine Art Probelauf, richtig beginnen wird die Ernte in dieser Woche, zwei Wochen früher als sonst. Der Holsteiner Cox ist die erste Sorte, die in die großen Kisten kommt. Erst dann folgen Elstar und Red Prince. Neun rumänische Erntehelfer übernehmen das Pflücken. Zwar gibt es noch frühere Sorten, aber der Holsteiner Cox mit seinem leicht säuerlichen Geschmack ist die erste Lagersorte und jene, die in großen Mengen an die Supermarktketten geliefert werden kann. „Die warten schon darauf“, sagt Giese, der schon mit 19 Jahren als Obstbauer startete.
„In diesem Jahr war alles perfekt“, sagt Dirk Köpcke, Abteilungsleiter in der Obstbauversuchsanstalt (OVA) in Jork. „Eine sehr gute Blüte mit gutem Ansatz hat für große Früchte gesorgt. Der Südtiroler Sommer im Norden brachte die tiefrote Deckfarbe und einen hohen Zucker-Säure-Anteil.“ „Wir rechnen mit 334.000 Tonnen Gesamtmenge in der Obstanbauregion Niederelbe“, sagt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der OVA (siehe Beistück). „Es wird die zweitbeste Ernte seit zehn Jahren.“ Nur im Jahr 2007 wurden mit 350.000 Tonnen noch mehr Äpfel gepflückt. Im Vergleich zum schlechten Erntejahr 2013 sind jetzt 80 Prozent mehr Ertrag zu erwarten. Gemessen an einer durchschnittlichen Ernte bleibt immer noch ein Plus von elf Prozent. Jonagold, Elstar und Braeburn sind die am häufigsten angebauten Sorten.
Innerhalb von knapp zwei Monaten, die die Ernte dauert, zeigt sich, wie erfolgreich die Arbeit eines ganzes Jahres war. Es gibt viele Gefahren, die die Ernte beeinträchtigen oder ganz vernichten können. Selbst bei der Ernte droht noch Ungemach. „Jetzt Hagel äre eine Katastrophe“, sagt Giese. Von der Blüte bis zur Ernte drohen viele Schädlinge. Schon in der Blüte kann eine Wanze die kleinen Früchte anstechen. Das entstellt sie in der Form. Die Äpfel lassen sich nicht mehr vermarkten. „Wir prüfen den Befall und je nach Stärke muss ein Insektizid gespritzt werden“, sagt Giese. Giese betreibt den kontrollierten, integrierten Anbau. „Das bedeutet, Schädlinge nur zielgerichtet und wenn sie eine bestimmte Schwelle überschritten haben zu bekämpfen, also so wenig Pflanzenschutzmittel wie möglich einzusetzen.“ Doch ohne Chemie geht es nicht, denn Handel und Verbraucher wollen perfekte Früchte. „Der Handel stellt sehr hohe Anforderungen an Rückstände, so dass unser Obst mehr oder weniger rückstandsfrei ist“, sagt Köpcke. Denn der Handel akzeptiert nur 30 Prozent der vom Gesetzgeber festgelegten Grenzwerte für Rückstände.
Gute und preisgünstige Äpfel
In Deutschland wird in diesem Jahr eine Ernte von mehr als einer Million Tonnen Äpfeln erwartet. Das gab es zuletzt 2008. Viele Früchte drücken den Preis. „Nach drei schlechten Ernten können sich die Verbraucher jetzt auf gute und preisgünstige Äpfel freuen“, sagt Analyst Helwig Schwartau von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Im vergangenen Jahr haben die Verbraucher zwischen 1,50 und 2,50 Euro für das Kilo Äpfel bezahlt. In diesem Jahr sei mit deutlich niedrigeren Preisen zu rechnen. „In der Erntezeit wird es sicherlich auch Aktionen des Handels mit einem Kilopreis von unter einem Euro geben“, sagt Schwartau. Damit würden Äpfel im Vergleich zu anderem Obst auch wieder attraktiver für die Verbraucher.
Ob die Rekordernte auch ein gutes Geschäft für die Obstbauern wird, steht noch nicht fest. Zwar könnten sie sinkende Preise über höhere Mengen ausgleichen. „Aber die Preisbildung beginnt erst“, sagt Schwartau. Entscheidend für die Bauern sei der Gesamtertrag über die Saison. Die Preise ergeben sich von Woche zu Woche neu aus Angebot und Nachfrage. Bis zu 10.000 Tonnen haben die Altländer Bauern bisher nach Russland exportiert. „Gemessen an der Gesamtmenge ist das Exportverbot kein zu großes Problem“, sagt Görgens.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Obstbauern an der Niederelbe halbiert. Die angebaute Fläche ist gleich geblieben. Folglich sind die Betriebe immer größer geworden. „Eine wirtschaftliche Notwendigkeit, um dem Kostendruck zu begegnen“, sagt Görgens. „20 bis 25 Hektar sind notwendig, um mit einem Obstbaubetrieb eine Familie ernähren zu können.“ Zwar liegt die durchschnittliche Umsatzrendite der Betriebe nach Görgens Angaben zwischen 20 und 25 Prozent. Aber davon muss nicht nur der Unterhalt einer meist vierköpfigen Familie bestritten werden, sondern auch Steuern bezahlt und Rücklagen für den Ausbau des Betriebes gebildet werden.
Familie Giese will ihren Betrieb vergrößern. Am Eingang des Alten Landes in Neuenfelde, direkt an der Hauptstraße wo Anne Cathrin Giese auf historischem Grund einen Hofladen und das Café Obsthof Puurten Quast betreibt, soll auch der Obstanbau konzentriert werden. Auf einer Fläche, die einst ihre Großeltern bewirtschafteten, werden in den nächsten Jahren Apfelbäume angepflanzt. „Das Ziel ist, die bisherige Anbaufläche um 50 Prozent zu vergrößern, um auch die moderne und teure Landtechnik besser nutzen zu können“, sagt Giese. Schon für einen Trecker müssen mindestens 50.000 Euro investiert werden. Ein Hektar neu angepflanzter Apfelbäume mit einer Beregnungsanlage für den Frostschutz in der Blüte kostet rund 30.000 Hektar.
Seit zwei Jahren hat sich Anne Cathrin Giese mit Café und Hofladen ein eigenes Standbein geschaffen. „Keiner pfuscht dem anderen in sein Geschäft rein, wenn wir auch gemeinsam darüber sprechen“, sagt Cathrin Giese. Sie hat eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. „Eigentlich wollte ich mich vom Obstanbau abnabeln, doch dann habe ich meinen Mann getroffen.“ Jetzt ist sie wieder tief mit der Tradition verwurzelt. In zehnter Generation arbeitet sie in dem Altländer Bauernhaus mit einer Prunkpforte aus dem Jahr 1683, das auch das Café beherbergt. Ambiente und selbst gemachte Torten und Kuchen mit Zutaten aus der Region kommen bei den Gästen gut an. „So haben wir zum reinen Obstanbau noch ein zweites Standbein und Café und Hofladen mit Obst, selbst gemachten Marmeladen und vielen anderen Dingen ergänzen sich sehr gut“, sagt Giese. Zusammen mit ihrer Mutter und einigen Aushilfskräften betreibt sie beide Geschäfte.
Kunden mit Attraktionen locken
Immer mehr Höfe versuchen, sich mit besonderen Angeboten aus der Masse abzusetzen. Im Obstparadies Schuback in Jork kann man ein Picknick unter Obstbäumen buchen oder das Altländer Apfeldiplom ablegen. Eine besondere Attraktion ist das Apfel- und Kürbisfest im Oktober. Der Obsthof Matthies in Jork lockt mit Café und Hofladen und setzt auf Gruppenangebote. Der Obsthof-Express kutschiert die Gäste durch die Obstplantagen. Beim Herzapfelhof Lühs können sich die Kunden Äpfel mit einem individuellen Logo bestellen. Andere Obstbauern verkaufen Baumpatenschafen oder laden zum Boßeln in den Obstplantagen ein. „Für die Höfe sind solche Zusatzgeschäfte ein wichtiges wirtschaftliches Standbein“, sagt Görgens.
Oder man setzt auf den Bioanbau wie Heinrich zum Felde in Jork. „Für mich war das die logische Entwicklung des integrierten Anbaus“, sagt der Obstbauer, der seine Ware auch auf dem Isemarkt in Hamburg anbietet. Auf einer Anbaufläche von 50 Hektar wachsen Elstar, Jonagold oder Gala wie im konventionellen Anbau auch, aber auch Sorten wie Topaz, Antaris oder Santana, die für den Bioanbau besonders geeignet sind, weil sie krankheitsresistenter sind. Doch auch zum Felde muss Schädlinge bekämpfen. „Aber dafür kann ich nur organische Stoffe verwenden.“ Pilzerkrankungen werden mit Schwefel bekämpft. Gegen den Graswuchs unter den Bäumen dürfen keine Herbizide eingesetzt werden. Das Unkraut muss maschinell entfernt werden. Trotz eines höheren Aufwandes und einer um 25 Prozent geringeren Erntemenge im Vergleich zum integrierten Anbau sieht er im Bioanbau auch wirtschaftliche Vorteile. „Die Preisschwankungen für die Bioäpfel sind nicht so stark“, sagt zum Felde. Das zahlt sich aus, wenn die Erntemenge wie in diesem Jahr stark ansteigt. Der Verbraucher zahlt für Bioäpfel 50 bis 60 Prozent mehr als für konventionelle Ware.
Auch die anderen Obstbauern versuchen die Erlöse für ihre Äpfel zu steigern. Sogenannte Clubsorten sollen dafür sorgen, dass der Preis für die Ware nicht ins Bodenlose fällt. „Züchter, Erzeuger und Vermarkter schließen sich dafür zusammen und bestimmen Standards und Menge“, sagt Köpcke. Die Sorte darf dann nicht mehr von jedem angebaut werden. Wer das will, muss Lizenzgebühren entrichten und profitiert von einer speziellen Vermarktungsstrategie. Dafür sei der Erlös um 30 Prozent höher als bei normalen Äpfeln, sagt Köpcke. Clubsorten sind Red Prince, den auch Giese anbaut, Kanzi oder Rubens. Die Clubsorten profitieren von dem Hunger der Verbraucher nach neuen Sorten, nachdem sie schon seit zwei Jahrzehnten mit Elstar und Jonagold leben. Doch der Handelsname ist nicht mit dem Sortennamen identisch. Hinter Kanzi verbirgt sich die Sorte Nicoter, eine Kreuzung aus Gala und Braeburn. Red Prince ist eigentlich der Jonaprince.