In einer gemeinsamen Serie mit dem Freilichtmuseum am Kiekeberg stellen wir die unterschiedlichen Facetten des Apfels vor. Heute: Kulturgeschichte des Obstanbaus auf der Geest und in der Marsch
Kaum eine andere Frucht beschäftigt die Menschen so sehr wie der Apfel. Wäre er nicht auf das geniale Haupt des Physikers Isaac Newton gefallen, wüssten die Menschen nicht, warum Bälle immer auf dem Boden landen und nicht im Himmel hängen bleiben. Der Apfel steht für gesunde Nahrung schlechthin, ist Sinnbild für die Ursünde, beliebtes Stillleben-Motiv, Liebesorakel und Symbol der Hoffnung. Grund genug für das Freilichtmuseum am Kiekeberg, dem Apfel eine Ausstellung zu widmen. Für das Abendblatt erläutern Experten des Museums unterschiedliche Facetten der Frucht. Heute: die Kulturgeschichte des Obstanbaus.
Das Alte Land, größtes Anbaugebiet Deutschlands, ist berühmt für seine Obstplantagen. Wie aber kam es dazu, dass ausgerechnet die Landwirte dieser Region südlich der Elbe in großem Stil Äpfel anbauten? Der Schlüssel des Erfolgs liegt im Boden. Mit der Marsch hatten die Bauern im Alten Land sehr günstige Verhältnisse. „Das Alte Land hat einen besonders guten Boden. Marsch ist nicht gleich Marsch. Der Boden darf nicht zu feucht und nicht zu trocken sein“, sagt Nils Kagel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Freilichtmuseum am Kiekeberg.
Der Obstanbau geht bis ins Mittelalter zurück. Schon im 14. Jahrhundert werden Obstgärten im Alten Land erwähnt. Im 15. und 16. Jahrhundert handelte es sich zwar noch um kleine Obstanlagen, aber schon damals bauten die Bauern im Alten Land nicht nur für ihren eigenen Bedarf an. Zu der Zeit gab es eine Hochkonjunkturphase, vergleichbar mit dem Wirtschaftsboom in den 50er Jahren. Hamburg wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Handels. Davon profitierte das ganze Umland, vor allem aber das Alte Land. „Sie konnten die Waren mit kleinen Kähnen auf dem Wasser nach Hamburg transportieren“, so Kagel.
Das konnten die Bauern auf der Geest im heutigen Landkreis Harburg nicht. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, ihre Produkte mit Pferd und Wagen zur Handelsmetropole zu bringen. Kein Wunder, dass sie erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begannen, die Äpfel verstärkt zu verkaufen.
Dennoch schätzten die Landwirte auf der Geest ihren Apfel. Er war das Symbol der Hoffnung. Das macht beispielsweise eine Sitte in der Lüneburger Heide bis ins 19. Jahrhundert deutlich. Jugendliche baten die Braut, die auf dem Weg zu ihrem Bräutigam war, ihnen Äpfel zuzuwerfen. „Brut, Brut, smit ut, smit Appel und Beren ut!“, riefen sie.
Ausschlaggebend für den die geringe Bedeutung des Obstanbaus in der Region waren jedoch nicht die fehlenden Wasserwege, sondern vor allem der sandige und trockene Boden. „Da konnten die Bauern machen, was sie wollten“, sagt Kagel. Einen nennenswerten Ertrag bescherte ihnen der Boden nicht. Das änderte sich erst, als künstliche Düngemittel eingeführt wurden. Bis heute müssen die Böden in der Geest intensiv gedüngt werden.
Anderer Boden, andere Sorten. Dass die Äpfel, die auf der Geest angebaut wurden, in der Marsch nicht zu gebrauchen waren, war einer der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Zeit. So hatte jede Region ihre speziellen Sorten. Und die Zahl der Äpfel reduzierte sich im Laufe der Zeit immer mehr. Vor Jahrhunderten gab es noch 20 bis 30 Apfelsorten. „Die Bauern haben experimentiert und selektiert und das Beste für den Anbau und den Kunden herausgesucht. Das ist das Apfelangebot, das wir heute haben“, sagt Kagel.
Der Apfel war seit jeher die wichtigste Frucht in den Gärten, gefolgt von Birne, Pflaume und Kirsche. Der Grund dafür ist so schlicht wie bedeutsam: Er hielt am längsten. Während die Birnen einen kurzzeitigen Genuss lieferten, weil sie schnell matschten, hatten die Bauern lange Zeit etwas von ihren Äpfeln, sofern sie diese kühl aufbewahrten. Zudem konnten die Bauern die Äpfel trocknen und als Backobst verzehren.
In den Geestgebieten bei Hamburg war es üblich, die Obstbäume ganz in der Nähe des Wohnhauses anzupflanzen. Jeder Bauernhof hatte seinen eigenen Garten. Wobei die Bauern ihn gar nicht als Garten, sondern als „Hoff“ bezeichneten. Der „Hoff“ war üblicherweise eingezäunt. Unter den Bäumen weideten etwa die Gänse. Manchmal wuchs darunter Gemüse.
Über die Sorten aus damaliger Zeit ist wenig bekannt. Im Fürstentum Lüneburg soll es den Spitzapfel, Streifling und Rambour gegeben haben. Es dauerte lange, bis sich die Obstgärten der einzelnen Bauern zur systematischen und erwerbsorientierten Obstbaumzucht entwickelten. Es waren hauptsächlich gemeinnützige und landwirtschaftliche Gesellschaften, die den Obstanbau im 18. Jahrhundert voran trieben.
So stellte das Kurfürstentum in Hannover den Bauern kostenlos Setzlinge aus großen Obstplantagen zur Verfügung. „Damit versuchten sie den Ertrag zu steigern und so mehr Steuern einzunehmen“, erklärt Nils Kagel. Im Sommer 1783 lieferte Plantagenmeister Jobst Anton Stawasser 1000 Bäume in Winsen ab. Kagel: „Es waren also nicht immer die Eigeninitiativen der Bauern, sondern durchaus auch Fördermaßnahmen von oben, die den Anbau vorangetrieben haben.“