Die moderne Anbaumethode steigert den Ertrag und bringt höhere Umsätze. Doch vorher sind hohe Investitionen notwendig. In dieser Woche beginnt die Ernte der Knubber-Kirschen.
Jork. Dachziegelbreite Folienbahnen ziehen sich bis zu 80 Meter lang über die Kirschbäume im Alten Land. Nicht nur die Abmessungen der Folie erinnern an ein Hausdach, sondern auch die Form der Konstruktion. Leicht überlappend auf einem Netz aufgenäht heben sich die Bahnen mit jedem Windstoß. So wird es unter der Folie nicht zu heiß. Hier direkt hinter dem Elbdeich weht stets Wind. Es sieht aus, als würde sich Hausdach an Hausdach reihen, so weit das Auge blicken kann. Dort, wo am Haus die Dachrinne sitzt, befinden sich kleine Schlitze. So kann das Wasser ablaufen und dient gleichzeitig der Bewässerung der Bäume. Obstbauer Jan Köpke hebt an der Seite das Netz an und schlüpft in die Plantage.
„Das wird eine gute Ernte“, sagt er. Sie beginnt in diesem Jahr drei Wochen früher als üblich. „Eine Folge des milden Winters“, sagt Köpke. „Da war es im Durchschnitt zwei Grad zu warm.“ Schwer und dicht hängen die leckeren Früchte an den Ästen. Je nach Sorte sind manche schon fast ausgereift, andere noch hellrot. An diesem Wochenende will er zusammen mit bis zu 20 Erntehelfern aus Polen mit der Ernte der Knubberkirschen beginnen. Das sind jene Früchte, die von den Verbrauchern besonders gefragt sind: groß, saftig und mit festem Fruchtfleisch. Dazu gehören Regina, Kordia, Oktavia, Valeska und Viola. „Alle Knubberkirschsorten enden auf a“, sagt Köpke. Über zehn verschiedene Sorten hat der 57-jährige Obstbaugärtnermeister auf zwei seiner insgesamt 40 Hektar großen Plantagen angebaut.
Damit liegt er genau im Durchschnitt. Denn auf fünf Prozent der Anbaufläche im Alten Land wachsen Kirschen. „Insgesamt auf 480 Hektar“, sagt Matthias Görgens von der Obstbauversuchsanstalt Jork. Damit ist die Kirsche hinter dem Apfel (90 Prozent) die zweitwichtigste Obstsorte im Alten Land, noch vor der Birne mit drei Prozent. Doch Durchschnitt ist Köpkes Sache nicht. „Ich war der Erste, der hier 2005 mit dem Anbau unter Folie begonnen hat“, sagt er. Angeschaut hat er sich das vorher in Süddeutschland. „Das hat mich überzeugt, auch wenn die Investitionen sehr teuer sind“, sagt Köpke. „Die Dachkonstruktion macht den Obstanbau und damit auch den Umsatz kalkulierbarer.“ Deshalb will Köpke bis zum nächsten Jahr noch drei weitere Hektar Kirschen unter Dach errichten. Allein 200.000 Euro muss er dafür in Pflanzgut und Material investieren.
Dafür gibt es dann vom Handel je nach Größe 1,00 bis 1,50 Euro mehr pro Kilogramm Kirschen im Vergleich zu jenen Früchten, die nur unter Netzen angebaut werden. Die Verbraucher können in diesem Jahr mit konstanten Preisen von vier bis sechs Euro pro Kilogramm rechnen. „Ohne Foliendach würde ich die ersten Früchte jetzt schon ernten“, sagt Köpke. Denn bei Niederschlag könnten sie platzen. „Unter der Folie können die Kirschen in Ruhe ausreifen und werden noch größer, süßer und saftiger“, sagt der Jorker Obstbauer, der den Hof bereits 1983 von seinem Vater übernommen hat. Seitdem hat er seine Anbaufläche vervierfacht. „30 Hektar muss heute ein Obsthof haben, wenn eine Familie davon leben soll“, sagt Hilke Ehlers, Geschäftsführerin des Fördervereins Integriertes Obst aus dem Alten Land. „Früher reichten zehn Hektar.“ Ein Betrieb im Nebenerwerb sei wegen der hohen Anforderungen und Kontrollen insbesondere beim Pflanzenschutz kaum noch möglich.
Alle gewerblichen Kirschplantagen im Alten Land erstrecken sich inzwischen unter einem Netz. Doch der engmaschige Überbau schützt lediglich vor Staren und anderen Vögeln, die sich sonst einen Großteil der Ernte holen würden. Doch Nässe ist für die Früchte ebenso gefährlich. Im schlimmsten Fall kann fast die gesamte Ernte vernichtet werden. Durch Regen aufgeplatzte Kirschen können nicht mehr vermarktet werden. „Inzwischen sind 130 der 480 Hektar großen Anbaufläche unter Dach“, sagt Görgens. Jährlich kommen zehn bis 15 Hektar neu hinzu.
Auch der Handel hat auf diese Entwicklung großen Einfluss. Denn er will die Früchte über einen bestimmten Zeitraum in gleichmäßiger Qualität. Obstbauern mit Direktvermarktung müssen liefern können, egal wie das Wetter ist. „Kirschen unter Dach sind inzwischen eine eigene Handelsklasse und haben damit ihren eigenen Preis“, sagt Görgens. „Da man diese Früchte länger reifen lassen kann, bringen sie 20 Prozent mehr Ertrag im Vergleich zur Freilandkirschen.“ Ähnlich hoch ist der Vorteil beim Erlös. Den schätzt er sogar auf bis zu 25 Prozent mehr. Doch diese Vorteile erfordern hohe Investitionen. Görgens rechnet vor: 1000 Bäume finden auf einem Hektar Platz und kosten 12.000 bis 15.000 Euro. Für eine Foliendachkonstruktion sind noch einmal bis zu 80.000 Euro pro Hektar erforderlich. „Das Foliendach ist bis zu achtmal teurer als ein reine Netzkonstruktion, weil die Folie wegen ihres Gewichts und der Windanfälligkeit einen wesentlichen stabileren Unterbau benötigt“, sagt Görgens.
Köpke hat sich für eine der niedrigsten Dachanlagen entschieden. Seine Kirschbäume können nicht höher als 2,80 Meter werden. Das erleichtert auch die Ernte. Mit einem zweistufigen Tritt sind auch die obersten Äste zu erreichen. Die Folienüberdachung sorgt für ein besonderes Klima. „Tagsüber ist es darunter zwei Grad kühler als draußen und nachts zwei Grad wärmer“, sagt Köpke. Das hilft auch, Frostschäden zu vermeiden. Der Boden der Kirschplantagen ist mit einer schwarzen, wasserdurchlässigen Folie belegt. So hat das Unkraut keine Chance.
Die Kirsch- machen weniger Arbeit als die Apfelbäume, die Erträge sind stabiler und die Preisschwankungen geringer. Die meiste Arbeit machen der Beschnitt und das Auf- und Abrollen der Folien. Das dauert fünf Tage und beschäftigt fünf bis sechs Personen. Nach der Ernte werden die Folien aufgerollt, zusammengebunden und überwintern so auf dem First des Gestänges. Abgerollt werden sie in der Regel nach der Bestäubung der Blüten.
Von der ersten Frühkirsche bis zur letzten Knubber vergehen maximal sieben bis acht Wochen. Doch Kirschen gibt es inzwischen bis in den September hinein im Handel. „Nach der Ernte füllen wir die Kirschen zu fünf oder zehn Kilo in spezielle Foliensäcke, die Sauerstoff und Kohlendioxid enthalten. Bei einem Grad Celsius gelagert können sie so maximal zwei Monate haltbar gemacht werden“, sagt Köpke. Länger macht es auch wenig Sinn. „Denn der Verbraucher möchte dann auch wieder andere Früchte essen“, sagt Köpke. Anders als der Apfel ist die Kirsche keine Ganzjahresfrucht.
Doch die Kirsche hat es Köpke angetan. So bietet er auch Baumpatenschaften an. Der Kunde zahlt eine Jahresgebühr, bekommt dafür einen eigenen Kirschbaum, den er natürlich auch abernten kann. „Sonst muss er sich um nichts kümmern, bekommt aber die Fortschritte von der Blüte bis zur reifen Frucht per Foto“, sagt Köpke. Das komme den Verbrauchern entgegen, die dann mit der ganzen Familie zur Ernte kommen, sogar aus Berlin oder Nürnberg. „Und wenn das nicht möglich ist, verschicken wir auch die Ernte“, sagt Köpke. Mindestens fünf Kilogramm sind garantiert, es können aber auch zehn oder zwölf Kilogramm werden. Über 100 Baumpatenschaften hat Köpke schon verkauft.
Köpke hat nicht nur ein Faible für technische Neuerungen, sondern auch Gespür für das Marketing. Während die meisten Obstbauern auf Feste rund um den Apfel setzen, sichert er sich mit dem Kirschenfest ein Alleinstellungsmerkmal. Am 5. und 6. Juli lädt er wieder auf seinen Obsthof in Jork-Hinterbrack 16 ein. „Da kommen bis zu 10.000 Besucher an einem Tag“, sagt Köpke. Zu den Höhepunkten gehören die extra eingerichtete Kinderbackstube von Bäcker Schrader, Führungen durch die Kirschplantage, ein Kunsthandwerkermarkt und die Showküche, bei der in diesem Jahr erstmals Apfel mit Fisch kombiniert wird.