Das Unternehmen beschäftigt schon 2000 Menschen in Hamburg. Siemens-Manager Udo Niehage und Michael Westhagemann fordern klare politische Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Hamburg. Bei der Umsetzung der Energiewende ist Deutschlands führender Elektronikkonzern Siemens gleichermaßen Treiber wie auch Mahner. Das Unternehmen, einer der weltweit führenden Anbieter von Kraftwerks- und Netztechnik, spielt vor allem beim Aufbau der Offshore-Windkraft vor den deutschen Küsten derzeit eine herausragende Rolle. Im Gespräch mit dem Abendblatt forderten die Siemens-Manager Udo Niehage und Michael Westhagemann klare politische Rahmenbedingungen, damit Unternehmen, Kommunen und Bürger den Ausbau der erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren weiter vorantreiben können. Beide sind dem Thema eng verbunden: Niehage ist Konzernbeauftragter des Unternehmens für die Energiewende mit Sitz in Berlin. Westhagemann leitet den Siemens-Standort Hamburg, zudem den Industrieverband Hamburg (IVH) und das Netzwerk für Erneuerbare Energien (EEHH) in der Hansestadt.
Niehage warnte davor, den gesetzlichen Rahmen für die Energiewende zu oft infrage zu stellen. „Siemens steht voll hinter der Energiewende. Wir bieten Lösungen dafür an, wie man sie günstiger machen kann“, sagte er. „Es gibt eine große technologische Bandbreite zur Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen bei der Energieerzeugung, vom hocheffizienten Gaskraftwerk bis zum Offshore-Windpark. Welchen technologischen Weg wir beschreiten, ist aber eine Frage der politischen Zielsetzung und der Rahmenbedingungen.“ Die Regierung solle die Reform der Energiegesetzgebung so zügig wie möglich umsetzen, sagte Niehage, der früher unter anderem die Stromnetzsparte des Konzerns geleitet hatte. Am heutigen Freitag soll der Bundestag über die geplante EEG-Novelle abstimmen. „Es muss für die Energiewende klare Rahmenbedingungen geben, vor allem auch für die Förderung von Innovationen. Was zum 1. August mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Kraft treten soll, muss schnellstmöglich durch weitere Reformschritte ergänzt werden“, so Niehage.
In der Gewichtung der einzelnen Technologien wurde in den vergangenen Jahren immer deutlicher, dass vor allem die Windkraft an und vor den deutschen Küsten eine herausragende Rolle spielen muss, wenn erneuerbare Energien langfristig den größten Teil des Energiebedarfs in Deutschland decken sollen. „Der Norden hat durch die Windkraft in Deutschland die größten Kapazitäten zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen“, sagte Niehage. „Es ist sinnvoll, die Energie da zu erzeugen, wo die größten Potenziale sind und den Strom dann mit wenigen Fernleitungen in andere Regionen zu bringen. An der Offshore-Windkraft kommen wir bei der Energiewende nicht vorbei.“ Der Konzern ist Weltmarktführer beim Bau von Windturbinen für den Einsatz auf See. Zudem fertigt Siemens Netzanbindungen für den Anschluss von Offshore-Windparks an das Landnetz. Der Konzern beschäftigt weltweit rund 360.000 Menschen. Rund 2000 von ihnen arbeiten in Hamburg, davon allein rund 700 in der Zentrale des internationalen Windkraftgeschäfts von Siemens.
Die Hansestadt ist mittlerweile der wichtigste Standort für Unternehmen in Deutschland, die erneuerbare Energien entwickeln und vermarkten. „Wir werden uns in Hamburg gemeinsam mit Schleswig-Holstein um das Schaufensterprojekt Windkraft des Bundeswirtschaftsministeriums bewerben. Dabei geht es um die Versorgung einer Modellregion mit erneuerbaren Energien, modernen Netzen und Speichern“, sagte Westhagemann. „Mit den richtigen Rahmenbedingungen werden wir bei Siemens in Hamburg weiter Arbeitsplätze im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien aufbauen.“ Für ganz Norddeutschland biete der Umbau der Energieversorgung viele Perspektiven: „Wenn Norddeutschland sein Potenzial bei der Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen und deren Speicherung wirklich ausspielt, wird das auch dazu führen, dass sich an den Küsten verstärkt energieintensiv produzierende Industrie ansiedelt. Für den Norden ist das eine riesige Chance.“ Westhagemann nannte das Beispiel eines Energiespeicherprojekts von Siemens: „In Bergedorf testen wir die thermische Speicherung von Strom aus erneuerbaren Quellen. Bei der so genannten ETES-Technologie wird ein spezieller Stein hochgradig erhitzt, um damit Wasser zu verdampfen. Mit dem Dampf wird dann eine Turbine zur Stromerzeugung angetrieben.“
Die großen Herausforderungen der kommenden Jahre sind aus Sicht des Konzerns die weitere Marktintegration der erneuerbaren Energien und der technische Ausbau eines Versorgungssystems, das überwiegend auf Windkraft, Sonnenlicht und Biomasse basiert: „Wir müssen bei der Energiewende das System der Versorgung als Ganzes sehen und verstehen. Das ist aus heutiger Sicht noch wichtiger als die Entwicklung von Energiespeichern“, so Niehage. „Die erneuerbaren Energien stehen noch stärker in der Pflicht, sich den Marktzugang selbst zu organisieren, in Absprache mit anderen Stromerzeugern, die über konventionelle Kraftwerke verfügen, oder mit Nachfragern, die bereit wären, ihre Last dem fluktuierendem Angebot von Wind und Sonne anzupassen. Und natürlich auch durch den Aufbau von Speicherkapazitäten.“
Um den Windstrom von den Küsten nach Süddeutschland zu bringen, soll in den kommenden Jahren eine zentrale neue Fernleitung mit dem Namen SuedLink geplant und gebaut werden. Aber auch das System der regionalen und städtischen Verteilnetze muss grundlegend erneuert werden, um es an die Erfordernisse Tausender dezentraler Kraftwerke wie etwa Windturbinen oder Solaranlagen anzupassen. „Der Ausbau der Netze muss jetzt vorrangig betrieben werden“, sagte Niehage.
Die Pläne des seit 2013 amtierenden Konzernchefs Joe Kaeser für eine neue Struktur bei Siemens, für eine Verringerung der Belegschaft um mehrere Tausend Stellen, berührt nach Niehages Einschätzung das Geschäft mit erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien nicht: „Die Neustrukturierung im Konzern läuft nicht auf Kosten von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit modernen, umweltschonenden Energietechnologien“, sagte er. „Im Gegenteil. Erneuerbare Energien wie etwa die Windkraft werden in der neuen Struktur eher noch sichtbarer als zuvor.“