Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Mammut-Reform der Bundesregierung. Die erste Hürde ist geschafft, aber viele Einzelinteressen und die EU wollen berücksichtigt werden.
Berlin. Michael Fuchs (CDU) stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Mir fällt heute ein Stein vom Herzen“, sagte der Vize-Fraktionschef nach der Sitzung der Unions-Bundestagsfraktion. Mit wenigen Gegenstimmen hatten CDU/CSU zuvor der bislang wichtigsten Reform der Bundesregierung zugestimmt.
Seit Anfang des Jahres ringt die Bundesregierung mit Bundesländern, EU-Kommission und Lobbyisten um die große Ökostrom-Reform. Am Dienstagabend nahm die Reform die ersten großen Hürden: Neben den Koalitionsfraktionen nickte auch der Wirtschaftsausschuss die Reform ab. Die Verabschiedung durch den Bundestag am Freitag gilt als Formsache. Gibt die EU grünes Licht, ist die Bundesregierung ein großes Problem los. Die wichtigsten Fragen zur Mammut-Reform:
Warum wird das EEG reformiert?
Eine Reform ist aus mehreren Gründen notwendig: Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung hat stark zugenommen. Er liegt bei rund 25 Prozent. Durch den Anstieg ist das Volumen der Ökostromumlage (EEG-Umlage), mit der erneuerbaren Energien gefördert werden, auf 24 Milliarden Euro im Jahr gewachsen. Das bedeutet: Eine vierköpfige Familie zahlt jährlich 220 Euro an EEG-Umlage. Mit der Reform will die Bundesregierung die Kostendynamik durchbrechen, erneuerbare Energien marktreifer machen und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhalten.
Warum herrschte so großer Zeitdruck?
Viele deutsche Unternehmen sind von der EEG-Umlage ausgenommen. Die EEG-Reform muss schon ab August gelten, damit etwa deutsche Stahl- und Aluhütten, die viel Strom verbrauchen, rechtzeitig für 2015 ihre Anträge auf Ausnahmen stellen könnten. Ansonsten drohen ab Anfang nächsten Jahres auf die Wirtschaft Mehrbelastungen von rund fünf Milliarden Euro zuzukommen. Das Problem: Die EU sieht in den vielen Ausnahmen für die Industrie das Wettbewerbsrecht verletzt und hat ein sogenanntes Beihilfeverfahren gegen Deutschland eröffnet. Deshalb muss sich Deutschland in allen Reformschritten eng mit Brüssel abstimmen.
Was sind die Streitpunkte?
Nachdem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Januar seine Reformvorschläge vorgelegt hatte, gingen in allen 16 Bundesländern die Alarmglocken an. Den Nord-Bundesländern gingen die Kürzungen bei der Finanzierung von Windkraftanlagen viel zu weit – im Norden stehen besonders viele Windräder. Der Süden rebellierte gegen die Kürzungen bei der Gewinnung von Strom aus Biomasse – in Bayern stehen besonders viele Anlagen dieser Art. NRW störte sich an der Mehrbelastung für die Industrie bei der Produktion von Eigenstrom.
Auf einem Gipfel mit den Ministerpräsidenten gelang es der Bundesregierung im April, die größten Streitpunkte auszuräumen. Der Streit verlagerte sich aber nur – auf die Ebene Berlin-Brüssel: Die EU forderte, dass Gewerbe, Dienstleister und Industrie bei der Produktion von Eigenstrom gleich von der EEG-Umlage belastet werden, während Berlin die Industrie bevorzugen wollte. Außerdem verlangte Brüssel zur Überraschung der Bundesregierung vergangene Woche plötzlich eine Befreiung von Importstrom von der EEG-Umlage. Die Umlage sei eine Art Zollschranke, moniert die EU. Deutschland will sich dem Vorschlag aber nicht beugen. Der Konflikt ist vor der Sitzung des Bundestages am Freitag wohl nicht mehr zu lösen.
Wie stark wird Ökostrom gedrosselt?
Der Ausbau erneuerbarer Energien soll sich durch feste Ausbaupfade verlangsamen und so planbarer werden. Maximal sollen pro Jahr 2500 Megawatt Wind- und Solarstrom neu gebaut werden, sonst greifen Extra-Förderkürzungen. Bei der Windenergie darf zusätzlich Ersatz für abgerissene Windräder gebaut werden. Der Bau von Biomasse- Anlagen wird auf 100 Megawatt und die Verwendung von Reststoffen begrenzt, da diese Energieform als besonders teuer gilt. Auch der Ausbau von Windrädern auf hoher See soll verlangsamt werden, wenn auch nicht so stark wie ursprünglich vorgesehen.
Was gilt für Solaranlagen und Bürgerwindparks?
Nach zähen Verhandlungen zwischen Union und SPD bleiben kleine Solaranlagen auf dem Dach bis zehn Kilowatt Leistung von der EEG-Umlage befreit. Bei der Windenergie bleibt es bei dem umstrittenen Stichtag: Alle Anlagen, die vor dem 23. Januar 2014 genehmigt worden sind, fallen noch unter die alte Regelung. Für alle übrigen gelten die neuen geringeren Fördersätze.
Wird Strom jetzt billiger?
Kaum. Viele Experten rechnen wegen des Netzausbaus mit einem weiteren Anstieg. Die Bundesregierung hält eine geringfügig sinkende EEG-Umlage für den Großteil der Verbraucher für möglich. Das Bundeswirtschaftsministerium legte am Mittwoch Zahlen für verschiedene Szenarien zur Entwicklung des Strompreises vor. Von diesem hängt die Höhe der Umlage zur Förderung der Öko-Energie ab. Den Schätzungen zufolge liegt die Abgabe in den nächsten drei Jahren zwischen 5,8 Cent pro Kilowattstunde und 6,6 Cent. Aktuell beträgt sie 6,24 Cent. Für den Kunden bedeutet dies aber nicht automatisch eine niedrigere Stromrechnung. Dies hänge davon ab, ob die Energie-Anbieter sinkende Großhandels-Strompreise auch weitergeben.
Wie stark wird die Wirtschaft belastet?
Das ist noch unklar. Eigentlich hatte Minister Gabriel vor einigen Wochen mit der EU ausgehandelt, dass die besonderen Ausgleichsregelungen für stromintensive Unternehmen bestehen bleiben. Allerdings warnte Gabriel in einem Brief an die Spitzen der Regierungsfraktionen am Mittwoch, „das Problem der Rückforderungen sei noch nicht gelöst“. Künftig müssen alle neuen Eigenversorger, die ihren Strom über erneuerbare Energien oder eine Kraft- Wärme-Kopplungs-Anlage erzeugen, bis zu 40 Prozent Umlage zahlen.
Wie geht es jetzt weiter?
Am Freitag soll der Bundestag die Reform verabschieden, am 11. Juli der Bundesrat. Laut Koalition wollen die 16 Bundesländer keinen Vermittlungsausschuss anrufen, durch den sie das Gesetz verzögern könnten. Vor allem aber liegt der Ball in Brüssel. EU-Kommission und Bundesregierung müssen die noch strittigen Punkte abräumen. Doch auch wenn Brüssel die Reform durchwinkt: „Durch die EEG-Reform sind bei der Energiewende gerade mal die ersten zehn Meter eines 100-Meter- Sprints geschafft“, sagte Gabriel. „Keiner soll glauben, jetzt ist die EEG-Reform verabschiedet und dann ist Ruhe.“
Auch Bundeskanzlerin Merkel sagte am Mittwoch im Bundestag, die Gestaltung der Energiewende bleibe eine Herkulesaufgabe. Gerade über den Ausbau der Stromtrassen, die künftig das ganze Land durchziehen werden, herrscht Streit. Ab 2016 soll zudem die Förderung erneuerbarer Energien von festgelegten Vergütungssätzen auf ein Ausschreibungsmodell umgestellt werden. Die Öko-Lobby läuft gegen das Ausschreibungsmodell bereits Sturm.