Seit dem 11. April sind europaweit die festen Verpackungsgrößen für viele Lebensmittel abgeschafft. Verbraucherschützer warnen vor heimlichen Preiserhöhungen.
Hamburg. Discounter Aldi hatte es vor drei Jahren schon einmal versucht: Eine Tafel Schokolade lag mit 95 Gramm statt mit dem gewohnten Gewicht von 100 Gramm im Regal. Damals verschwand die Süßigkeit wieder schnell aus dem Angebot. Denn wer, was in welchen Mengen verpacken darf, unterliegt bisher strengen Regeln. Noch. In wenigen Tagen werden die letzten strengen Verpackungsvorschriften für Lebensmittel aufgehoben.
Ab 11. April könnte die Warenwelt noch vielfältiger werden. Dann darf eine Tafel Schokolade auch 95 statt 100 Gramm wiegen, die Milch im Tetrapak könnte von einem Liter auf 0,85 Liter schrumpfen und das gewohnte Kilo Zucker nur noch 960 Gramm wiegen. Die einen befürchten, dass Kunden reihenweise auf Mogelpackungen reinfallen. Andere bejubeln ein Stück mehr Freiheit für den Verbraucher. Sicher ist, dass sich die Deutschen beim Einkauf umstellen müssen.
Vielen Verbraucherschützern bereitet die Umstellung Bauchschmerzen. Sie trauern der auslaufenden Regelung nach, die den Herstellern Verpackungsstandards vorschrieb. Armin Valet von der Hamburger Verbraucherzentrale befürchtet nun mehr Tricks und Täuschung im Supermarkt. "Wir befürchten ein Chaos und viele versteckte Preiserhöhungen. Der Preis bleibt und das Gewicht ändert sich nur geringfügig", sagt der Experte dem Abendblatt. Denn in schwieriger wirtschaftlicher Lage und bei sinkender Inflationsrate sind direkte Preiserhöhungen kaum durchzusetzen. Da drehen Hersteller gern an der Menge.
Betroffen von der neuen Freiheit bei Verpackungsgrößen sind insgesamt acht Produktgruppen: Milch, Mineralwasser, Bier, Limonade, Fruchtsäfte, Zucker, Tafelschokolade und Schokoladenriegel sowie Kakao. Lediglich für Spirituosen, Sekt und Wein wird es auch künftig noch vorgegebene Füllmengen geben.
Noch zeigen sich die Hersteller und der Handel unbeeindruckt von der weitgehenden Aufhebung der Fertigpackungsverordnung. Die Handelskette Rewe will nichts ändern. "Bei Lidl bleiben die Verpackungsgrößen unverändert", sagt Unternehmenssprecherin Petra Trabert. Allerdings hatte das Unternehmen in der Vergangenheit bereits bei Verpackungsgrößen an der Preisschraube gedreht, wie eine Übersicht der Verbraucherzentrale Hamburg belegt.
Ob Kosmetiktücher oder Soßenpulver die Menge verringerte sich, der Preis blieb gleich. Denn für viele Produkte wurde die Fertigpackungsverordnung schon im Jahr 2000 aufgehoben. Als Ausgleich dafür müssen seit dem die Grundpreise für 100 Gramm oder ein Kilo am Regal angegeben werden. "Die sind klein und schlecht lesbar", sagt Verbraucherschützer Valet. "Außerdem merken sich die Verbraucher eher die Preise eines Produkts als solche Angaben."
Solche Tricksereien beobachtet er bei Produkten wie Marmelade, Putzmitteln oder Kosmetika, für die schon jetzt keine Vorgaben mehr bestehen. Die Masche ist simpel und funktioniert nach dem Prinzip: Weniger drin, gleicher Preis. Ein Windelhersteller belässt bei der Packungsgröße und beim Preis alles beim Alten, packt aber drei Windeln weniger rein und erhöht so unbemerkt den Preis. "Das merkt der Verbraucher meist gar nicht", sagt Valet.
Versteckte Preiserhöhungen von mehr als 20 Prozent hat der Verbraucherschützer nach eigenen Worten in den vergangenen Jahren aufgedeckt. Oft gehe es darum, attraktive Schwellenpreise wie 1,99 Euro halten. Auf die Schliche kommt solchen Schummeleien nur, wer den Grundpreis vergleicht. Das ist der Preis, der seit dem Jahr 2000 etwa pro hundert Gramm oder pro Liter angegeben werden muss.
Dass den Deutschen künftig nur noch Mogelpackungen untergejubelt werden, hält der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) für völlig abwegig. "Wir wollen unsere Kunden doch nicht vergrätzen", beteuert HDE-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr. "Unklare Verpackungen" nehme der Handel in der Regel erst gar nicht in die Regale.