Süßes als Nervennahrung in ökonomisch schwierigen Zeiten - das war auch schon in den 1920er- und 1930er-Jahren so.

Hamburg. Böse Zungen könnten ihn einen Krisengewinnler nennen. Der Osterhase, besonders in seiner schokoladigen Form, ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Allein die Gattung "Goldhase" des Premiumherstellers Lindt purzelte in diesem Jahr weit mehr als 87 Millionen Mal von den Förderbändern im Schokoladenwerk in Aachen. Das ist deutlich mehr als im Vorjahr und setzt eine seit 2004 anhaltende Wachstumsstory fort, als die Schweizer noch nicht einmal die Hälfte der possierlichen Tiere produzierten.

Dieser Hang zum Hasen, den die Marktforschungsgesellschaft ACNielsen kürzlich auch generell mit einem nüchternen Umsatzplus von 5,4 Prozent dokumentierte, lässt sich einerseits durch immer neue Varianten erklären. Neben den süßen Modellen für Kinder sind nun vermehrt auch bittersüße in dunkler Schokolade für die Erwachsenen erhältlich. Speziell in diesem Jahr hat die hohe Hasenpopulation allerdings auch schlicht kalendarische Gründe: Je weiter Weihnachten und Ostern auseinander liegen, desto besser das Geschäft, lautet eine eherne Regel der Süßwarenbranche. Die Logik dahinter: Wer noch einen Weihnachtsmann im Küchenschrank liegen hat, kauft keine Ostereier. Die Kunden brauchen eine möglichst große Verschnaufpause zwischen den Festen.

Gern möchten die Süßwarenhersteller aber auch an eine andere Erklärung für das Hasenphänomen glauben: dass sich die Menschen inmitten von drohender Arbeitslosigkeit und Abwrackprämie die Krise mit einem Stück Schokolade versüßen. Nervennahrung in harten Zeiten. "In Perioden großer Verunsicherung halten die Menschen an etwas Vertrautem wie den Osterbräuchen fest", meint Lindt-Sprecherin Silvia Kälin. "Und sie gönnen sich gern ein kleines Stückchen Luxus." Um von diesem Trend zu profitieren, hat Lindt neben dem Goldhasen in diesem Jahr auch noch ein besonders nostalgisch angehauchtes Sortiment Ostereier ins Programm genommen. Grün-rot gestreift und üppig verziert wie die Verpackungen zu Großmutters Zeiten.

Belege für einen engen Zusammenhang zwischen erhöhtem Schokokonsum und Wirtschaftsflaute finden sich derzeit vor allem in den USA. So berichtete jüngst die "New York Times", die Amerikaner würden angesichts zusammenbrechender Banken und Autoriesen nun vermehrt in die Süßwarenläden rennen - auf der Suche nach ein klein wenig Trost. Einige Geschäfte verzeichneten gar Zuwächse von 80 Prozent.

Manch einen US-Schokoriegel könnte man gar als ein Kind der Krise bezeichnen. Einer seiner berühmtesten Vertreter kam jedenfalls mitten in der Rezession der Jahre 1923 und 1924 zur Welt. Damals führten ein Fabrikant aus Minnesota und sein Sohn eine neue Süßigkeit auf dem amerikanischen Markt ein. Sie hieß: Milky Way. Snickers entstand im Übrigen nur wenige Jahre später, 1930, gleich nach dem Börsencrash an der Wall Street.

Auch im Deutschland des Jahres 2009 spüren die Süßwarenhersteller die Krise nicht. Nach einem deutlichen Umsatzzuwachs von sieben Prozent auf fast fünf Milliarden Euro 2008, der vor allem durch Preiserhöhungen zu erklären war, weisen die Daten von ACNielsen für den Beginn dieses Jahres zumindest darauf hin, dass das hohe Niveau gehalten werden kann. Und der Branchenverband BDSI wertet diesen Trend durchaus als eine positive Nachricht: "Die Schokoladenhersteller erweisen sich in Zeiten der Rezession als krisenresistent", sagt ein Verbandssprecher dem Abendblatt.

Auch beim Marzipan- und Schokoproduzenten Niederegger in Lübeck ist man mit dem bisherigen Geschäftsverlauf in diesem Jahr zufrieden. "Wir haben zu Ostern mehr an den Handel verkauft als im Vorjahr", sagt Geschäftsführer Holger Strait dem Abendblatt. Fast ein Drittel aller Erlöse erzielen die Lübecker mittlerweile zu Ostern - überwiegend mit Marzipaneiern, aber auch mit einem roten Schokohasen. Für das Gesamtjahr hofft Strait auf ein kleines Umsatzplus.

Der Bremer Premiumhersteller Hachez will erst einmal abwarten, wie viele Schokoeier und hochwertige Tafeln der Handel bis zum Osterfest tatsächlich verkaufen konnte. "Wir müssen schauen, was nach dem Fest übrig bleibt", sagt Geschäftsführer Hasso Nauck im Gespräch mit dem Abendblatt. Er glaubt, dass sich Konjunkturprogramme wie die Abwrackprämie eher negativ auf den Konsum hochwertiger Lebensmittel auswirken. Wer gerade sein ganzes Geld für einen neuen Wagen ausgegeben habe, habe auch für eine Tafel Schokolade weniger übrig.

Was den Produzenten derzeit unabhängig vom Appetit der Deutschen zu schaffen macht, sind die hohen Preise für ihren wichtigsten Rohstoff. Die Kakaopreise liegen derzeit bei 1900 englischen Pfund je Tonne und damit etwa doppelt so hoch wie noch Mitte vergangenen Jahres.

"Für diesen starken Anstieg sind vor allem Spekulanten verantwortlich", sagt Sven Grünewald, Kakaohändler beim Hamburger Unternehmen Albrecht & Dill. In London gebe es Firmen wie den Händler Armajaro, die den Markt fast nach Belieben beeinflussen könnten.

Aktuell seien die Preise zudem von einer niedrigen Ernte an der Elfenbeinküste, einem der Hauptanbauländer für Kakao, beeinflusst. "Hier hat man sich nicht rechtzeitig auf die zunehmende Nachfrage nach Kakao in den vergangenen Jahren eingestellt und zu wenig neue Bäume gepflanzt", sagt Grünewald. Zudem kämpfen die Plantagenbesitzer gegen eine heimtückische Krankheit, den sogenannten Cacao-Swollen-Shoot-Virus, der die befallenen Pflanzen schon innerhalb kürzester Zeit nach der Infektion sterben lässt.

Die hohen Kosten für den Kakao könnten auch Premiumhersteller Lindt in diesem Jahr das Geschäft verhageln. Zwar rechnen die Eidgenossen für das Gesamtjahr mit einem leicht höheren Umsatz. Doch die Gewinnprognose hat Lindt deutlich nach unten korrigiert - daran wird wohl auch die große Nachfrage nach dem Goldhasen nichts ändern können.