In vielen Branchen werden junge Fachkräfte gesucht. Folge: Das Durchschnittsalter steigt. Grund genug, ältere Mitarbeiter fit zu halten.
Ingelheim/Ingolstadt. Vom Vorruheständler zum „Silver Worker“: Wurden ältere Mitarbeiter früher oft schon ab Mitte 50 möglichst zügig in Rente geschickt, so sind sie inzwischen für viele Unternehmen ein wertvoller Schatz, der gehegt und gepflegt wird. In einigen Sparten wird es immer schwieriger, freie Stellen zu besetzen. Auf der anderen Seite können sich viele Menschen eine frühe Rente schlicht nicht leisten. Also sollte die Belegschaft so lange wie möglich fit bleiben. Dafür investieren Unternehmen inzwischen eine Menge – etwa in Gesundheitschecks, Betriebssport und komfortable Arbeitsplätze.
„Um das Thema muss man sich intensiv und dringend kümmern“, sagt Professor Jürgen Deller vom Institut für Strategisches Personalmanagement der Leuphana Universität Lüneburg. „Wir wissen, dass in fünf bis acht Jahren die großen Kohorten in den Ruhestand wechseln. Und wir werden in der kurzen Zeit nicht so viel effizienter werden, um das alles auffangen zu können.“ Schließlich lassen sich Stellen nicht in unendlichem Maße einsparen.
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Spätestens in einigen Jahren werde die Wirtschaft auf ältere Beschäftigte angewiesen sein – „und wir sind es ja heute schon bei Ingenieuren, aber auch im Gesundheitswesen“. Der Schritt in den Vorruhestand bedeute in der Zukunft zudem ein höheres Maß an Rentenabschlägen, sagt Deller. Viele könnten sich einen frühen Ruhestand schlicht nicht leisten – der Gesundheitsschutz gewinne daher enorm an Bedeutung.
Bei Audi rechnet die Personalabteilung damit, dass das Durchschnittsalter der Belegschaft von derzeit 41,4 Jahren bis 2020 auf 46,9 Jahre klettert, wie Unternehmenssprecher Armin Zimny in Ingolstadt erklärt. Der Autohersteller bietet Beschäftigten einen kostenlosen Gesundheitscheck an, Arbeitsplätze werden ergonomisch gestaltet. „Ältere Mitarbeiter mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung sind ein unheimlich wichtiger Schatz, den wir im Unternehmen halten wollen“, sagt Zimny.
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Bei der Fertigung des Sportwagens Audi R8 lief vor einigen Jahren das Projekt „SilverLine“, bei dem mehr als ein Drittel der Team-Mitarbeiter älter als 40 Jahre waren. Daraus habe das Unternehmen viel gelernt, etwa dass Ältere oft besonnener reagieren. Es habe sich auch gezeigt, dass altersgemischte Gruppen oder Tandems aus einem jüngeren und einem älteren Kollegen sehr effektiv arbeiten.
„Nach meiner Erfahrung ist der richtige Mix aus Alter, Geschlecht und Nationalität in der Belegschaft wichtig“, sagt auch die Geschäftsführerin Personal der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH, Ursula Fuggis-Hahn. So bringen Ältere ihr breites Wissen und ihre Erfahrung ein, sie sind gut vernetzt im Unternehmen. Der derzeitige Altersdurchschnitt im Pharmakonzern liege bei 41 Jahren.
„Der Anteil der Mitarbeiter in Deutschland über 50 Jahren wird in den nächsten Jahren auf knapp 40 Prozent steigen“, sagt Fuggis-Hahn. Auch diese Gruppe müsse bereit sein, sich weiterzubilden – „auch in den letzten Jahren vor dem Ruhestand“, betont die Personalchefin. Ein Umdenken sei zudem bei Chefs nötig – denn ältere Mitarbeiter müssten anders geführt werden, als junge.
„Viele Personalmanager und Führungskräfte sind gewohnt, mit Menschen zwischen 20 und 45 oder 50 zu arbeiten“, sagt Wirtschaftspsychologe Deller. Sie kennten kaum die Lebenssituation von Menschen über 55. Je älter die Menschen würden, umso unterschiedlicher seien sie. Häufiges Thema sei etwa die Pflege der Eltern.
Unter dem Motto „Fit im Leben/fit im Job“ bezahlt Boehringer Ingelheim allen Angestellten ab 40 Jahren einen jährlichen Gesundheitscheck. „Die betriebliche Gesundheitsvorsorge wird immer wichtiger“, sagt Werksarzt Michael Schneider. Nach seinen Erfahrungen nehmen rund 90 Prozent das Angebot an. Dabei gibt es nicht nur um eine umfangreiche Vorsorgeuntersuchung. „Themen in der Beratung sind auch gesunde Ernährung und Stressmanagement“, erklärt der Arzt.
Patienten im Alter von 50 plus klagten besonders häufig über Rückenschmerzen. Nach den Worten von Schneider sind ältere Mitarbeiter allerdings nicht öfter krank – aber wenn, dann meist länger. Neben zahlreichen Gruppen für Betriebssport gibt es auf dem Werksgelände in Ingelheim ein Gesundheitszentrum mit Fitnessangeboten und Rückenschule.
Eine Boehringer-Mitarbeiterin berichtet von ihren Erfahrungen. Sie hatte vor fünf Jahren den Check up mitgemacht. „Da ich keine gesundheitlichen Beschwerden hatte, war ich vorher zu keiner solch gründlichen Untersuchung gegangen“, erzählt sie. Doch dann wurde etwas Gravierendes entdeckt – die 52-Jährige musste sogar ins Krankenhaus. Inzwischen ist sie wieder ganz gesund. Zum nächsten Gesundheitscheck geht sie natürlich trotzdem.