Warum die Unternehmerlegende Werner Otto unter den Nazis ins Gefängnis musste und wie er das Ende des Krieges erlebte.
Hamburg. Das Städtchen Seelow, nicht weit entfernt von Frankfurt an der Oder, ist vor dem Ersten Weltkrieg ein ziemlich verschlafener Ort - so wie Tausende andere im Deutschen Reich. Der Lebensmittelhändler Wilhelm Otto und seine Frau Frieda geben im August 1909 die Geburt ihres Sohnes Werner bekannt. Ein knappes Jahr später der Schock: Frieda Otto stirbt bei der Geburt eines zweiten Kindes, das selbst nur kurze Zeit am Leben bleibt. Der Vater heiratet nach der Trauerzeit erneut, drei weitere Kinder werden geboren. Das Familienleben ist trotz des Schicksalsschlags harmonisch, später wird Werner Otto sagen, er habe sich keine besseren Eltern wünschen können.
Die Kaiserzeit hat der Jahrhundertmann nicht nur miterlebt, sondern er konnte im Alter noch lebhaft von einigen Ereignissen erzählen. An die Mobilisierung mit Truppenverladung im Raum Seelow erinnerte er sich gut, auch daran, wie entsetzt die Eltern nach dem Zusammenbruch der Monarchie waren.
Werner, ein aufgeschlossener Junge, der seine Umgebung sehr genau wahrnimmt, gilt innerhalb der Familie als widerspenstig und durchsetzungsfähig. Er ist ein ganz anderer Typ als der eher nachgiebige Vater und orientiert sich mehr am Bruder seiner verstorbenen Mutter. Die Familie fährt regelmäßig ins rund 70 Kilometer entfernte Berlin zum Einkaufen. Der Glanz der riesigen Stadt fasziniert ihn früh, vor allem die Kaufhäuser. Dass Werner Otto das Leben auf dem Land und in der Großstadt gleichermaßen schätzen lernt, prägt ihn tief. Eines Tages wird er wissen, wie Städter "ticken", aber er kennt die Bedürfnisse der Landbevölkerung genauso gut.
Wichtig auch: Er wird später lange in Städten wie Hamburg und Berlin leben, aber die Kraft für seine aufreibende Arbeit tankt er bei ausgedehnten Wanderungen, zum Beispiel durch die Mark Brandenburg oder die bayerischen Berge. Der Junge ist ein mittelprächtiger Schüler. Kein Streber, ein Draufgänger. Mal tanzt er zum Ärger der Stiefmutter mit dem Dienstmädchen durch die Küche, mal will er Klassenkameraden eine gefundene Waffe verkaufen. Allerdings: Zahlen faszinieren ihn, er ist ein guter Rechner. Und schon früh wird diesem unabhängigen Geist eines klar: Er will auch später immer nur selbstständig sein, Vorschriften soll ihm niemand machen. Das Leben der Ottos ändert sich, als der Vater Mitte der 20er-Jahre mit seinem Lebensmittelladen pleitegeht. Werner muss 17-jährig die Schule verlassen und eine kaufmännische Lehre beginnen.
Schließlich erlangt er die ersehnte Selbstständigkeit - als Einzelhändler in Stettin. Auf die kurze Zeit der angeblich so goldenen Zwanzigerjahre folgt im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929 in Deutschland der totale Zusammenbruch etlicher Märkte. Unzählige Geschäfte gehen pleite, Sparguthaben und Renten lösen sich in Nichts auf. Diese Zeit prägt Werner Otto grundlegend, auch im hohen Alter wird er sich an die Verzweiflung der Menschen erinnern.
+++ Porträt: Werner Otto war der letzte legendäre Nachkriegsunternehmer +++
Er wird, wie er später erzählt, mit der Zeit zum politischen Hitzkopf, sieht sich als linksradikalen Nationalisten. Werner Otto hat nie verschwiegen, dass er zwar Hitler-Gegner war, sich aber zunächst durchaus für den linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser begeisterte. 1934 kommt er für zwei Jahre ins Gefängnis Plötzensee, weil er zur Unterstützung Strassers Anti-Hitler-Flugblätter geschmuggelt hatte. Es folgt der totale Bruch mit den Nazis, aber Otto bezeichnet sich später nie als Widerstandskämpfer und will auch nicht so eingeordnet werden. "Andere haben es damals viel schwerer gehabt als ich", sagte er dazu oft. Die Haft hat Werner Otto nicht zum verbitterten Pessimisten gemacht. Eine gewisse Skepsis ist ihm aus dieser Zeit geblieben, politischen Heilspredigern begegnet er mit Misstrauen. Nach der Haftentlassung geht Otto in die innere Emigration, bleibt wachsam und vorsichtig. Den Machthabern ist er suspekt, in Berlin fühlt er sich überwacht. Schließlich zieht er, inzwischen verheiratet, nach Kulm an der Weichsel, wo seine Kinder Ingvild und Michael geboren werden.
Offenbar aufgrund einer bürokratischen Lücke kann er zunächst unbehelligt als Schuhhändler leben, dann wird er doch noch eingezogen und erhält "Frontbewährung" als "politisch Unzuverlässiger". Das Kriegsende erlebt er mit einer schweren Kopfverletzung im Lazarett, per Bahn wird er in Richtung Heimat transportiert.
Werner Otto ist fest entschlossen, sich bis auf die nördliche Seite der Elbe durchzuschlagen - und schafft auch das. Seine Frau Eva erreicht das zerstörte Hamburg mit den beiden Kindern per Pferdewagen. Die Familie bewohnt zunächst ein einziges Zimmer in der Hamburger Innenstadt - froh, den Krieg überlebt zu haben. Werner Otto muss von vorne anfangen, aber er ist alles andere als demoralisiert. Seine Lieblingssätze aus dieser Zeit: Bloß nicht unterkriegen lassen - und auch: Man darf auch mal hinfallen im Leben - aber niemals liegen bleiben. Werner Otto sieht die Chancen, die Hamburg ihm bietet - und er will sie nutzen.
Lesen Sie morgen den zweiten Teil der dreiteiligen Serie über Werner Otto. Wie das Erfolgsrezept des Unternehmers aussah.