Mario Draghi, der neue EZB-Präsident, muss entscheiden, wie weit die EZB gehen soll, um verschuldete Länder zu retten.
Frankfurt am Main. Europas neuer oberster Währungshüter Mario Draghi muss zum Amtsantritt ganz neue Probleme auf den Tisch: Wenige Stunden vor Draghis Amtsantritt als EZB-Präsident am Dienstag verkündete der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou völlig überraschend, das Volk solle über weitere Milliardenhilfen für sein Land abstimmen. Das nährt die Sorge, die Rettung des kleinen Euro-Landes könnte doch noch scheitern – und stellt die Europäische Zentralbank (EZB) einmal mehr vor die Frage, welchen Kurs sie zur Rettung der Gemeinschaftswährung in den nächsten Monaten einschlägt.
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Werden die Währungshüter weiterhin Milliarden für Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten ausgeben? Muss die EZB bald die Zinsen weiter erhöhen, um die galoppierende Inflation im Zaum zu halten? Oder sind Zinssenkungen angesagt, damit die Konjunktur – auch in Krisenstaaten wie Griechenland – wieder Fahrt aufnimmt? Draghi steckt gleich zu seinem Amtsantritt im Frankfurter Euro-Tower in der Zwickmühle.
Die meisten Ökonomen erwarten bei der ersten Ratssitzung unter Leitung des Italieners an kommenden Donnerstag (3. November) zwar keine Zinssenkung. Der Markt erhofft sich aber Aufschluss darüber, welche Pfeile gegen die Krise die Notenbank noch im Köcher hat.
Die Währungshüter hatten den Leitzins in diesem Jahr wegen gestiegener Inflationsrisiken in zwei Schritten auf 1,5 Prozent erhöht. Weil sich die Konjunkturaussichten für den Euro-Raum im Sog der Schuldenkrise drastisch eingetrübt haben, wird mittlerweile jedoch über eine Lockerung der geldpolitischen Zügel spekuliert.
Die OECD traut der Euro-Zone 2012 nur noch ein mageres Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent zu – nach 2,0 Prozent noch im Mai. Einige Ökonomen fordern eine sofortige Zinssenkung. Niedrigere Zinsen verbilligen Kredite für Unternehmen und Verbraucher und können somit Investitionen und den privaten Konsum anschieben. Zugleich heizen sie aber die Inflation an.
Im Oktober lag die Teuerungsrate im Euro-Raum wie schon im September unerwartet hoch bei 3,0 Prozent. Das ist deutlich über der Warnschwelle der EZB, die mittelfristig stabile Preise bei Werten knapp unter 2,0 Prozent gewahrt sieht. Experten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) gehen daher davon aus, dass der Leitzins erst dann gesenkt wird, wenn der Inflationsdruck nachlässt.
Mit Spannung wird erwartet, ob die EZB unter Draghi weiterhin in großem Stil Anleihen von hoch verschuldeten Eurostaaten wie Griechenland, Portugal und Irland kaufen wird, um so deren Erholung zu unterstützen. Sein Vorgänger Jean-Claude Trichet, der am Montag nach acht Jahren turnusgemäß aus dem Amt schied, hatte für diesen Tabubruch massive Kritik einstecken müssen. Denn die Notenbank steht mit dem Milliardenprogramm letztlich für unsolide Politik von Regierungen gerade. Auch in der EZB war die Maßnahme umstritten.
Aussagen Draghis in der vergangenen Woche hatten Beobachter zunächst als klares Signal für weitere Anleihekäufe interpretiert. Doch kurz vor der Amtsübergabe widersprach Trichet diesem Eindruck: Draghi habe zwar Bereitschaft signalisiert, die Politik bei der Bekämpfung der Schuldenkrise weiterhin mit „unkonventionellen“ Maßnahmen zu unterstützen, Staatsanleihenkäufe habe er aber nicht explizit erwähnt. Nach Einschätzung von Volkswirten ist die Notenbank als Krisenfeuerwehr weiterhin unverzichtbar. Künftig könnte aber auch der verbesserte Rettungsfonds EFSF Anleihen von Krisenländern kaufen.
Den Banken dürfte die EZB auch unter Draghi massiv unter die Arme greifen. Wie schon im Herbst 2008 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers wuchs zuletzt wieder das Misstrauen der Institute untereinander. Sie deponieren ihr Geld zu vergleichsweise niedrigen Zinsen lieber bei der EZB als es sich gegenseitig zu leihen. Um die Geldhäuser vor dem Sog der Schuldenkrise zu schützen, pumpt die EZB billiges Geld ins System. (dpa/abendblatt.de)