Griechenland steht vor einem Schuldenschnitt von mindestens 50 Prozent. Der griechische Finanzsektor reagiert nervös.
Athen. Der bevorstehende Schuldenschnitt erschüttert den griechischen Finanzsektor: An der Börse in Athen rutschen die Kurse der heimischen Banken, die sehr viele Staatsanleihen halten, um bis zu 17 Prozent. Eine Umschuldung, bei der private Anleger wie Banken und Versicherungen auf 50 bis 60 Prozent ihres Geldes verzichten müssten, gefährdet aber auch die Pensionskassen des Landes und damit die Renten. Aus dem Finanzministerium verlautete, der sogenannte Haircut, den ein weiterer Euro-Krisengipfel morgen beschließen will, werde vor allem die Rentenkassen treffen. Banken und deren Kundeneinlagen seien mit dem neuen Rettungsplan für Griechenland abgesichert, hatte Ministerpräsident Giorgos Papandreou erklärt.
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Angesichts der Verflechtungen von Versicherern und Banken nimmt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nun die deutsche Assekuranz unter die Lupe: Ausgewählte große Versicherer sollen bis Anfang November angeben, wie viel sie direkt in Banken investiert haben und in Papiere, die die Geldinstitute ausgegeben haben, sagte ein Behördensprecher. Der Branchenverband GDV geht davon aus, dass 55 Prozent der 1,25 Billionen Euro schweren Kapitalanlagen der Versicherer in Deutschland auf Banken entfallen. Ein Großteil dieser Anlagen sei allerdings besonders geschützt und nicht unmittelbar von der wirtschaftlichen Situation der Bank abhängig, hieß es.
Nach Auffassung vieler Experten ist die bevorstehende Umschuldung trotz der negativen Folgen für den Finanzsektor unausweichlich. "Der Schuldenschnitt ist die richtige Lösung, es gibt dazu keine Alternative", sagte Joachim Scheide, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). "Griechenland würde sonst unter den Schulden ersticken."
So sieht es auch Christian Jasperneite, Chefanlagenstratege beim Bankhaus M.M.Warburg: "Ohne Schuldenschnitt könnte Griechenland in den kommenden zehn Jahren seine Schulden kaum bedienen. Von 2015/16 an müsste ein Drittel der Steuereinnahmen allein für Zinszahlungen ausgegeben werden." In Deutschland seien es zehn Prozent. Allerdings sei der jetzt diskutierte Forderungsverzicht der Banken "fast noch zu wenig", meint Jasperneite: Wollte Griechenland die Verschuldung von 160 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) senken - was der Situation in Italien entspräche -, müssten die privaten Gläubiger bis zu 65 Prozent ihrer Investitionen abschreiben, denn die Griechen sind auch beim Internationalen Währungsfonds, der EU und der Europäischen Zentralbank verschuldet.
Solche Größenordnungen erinnern zahlreiche Beobachter an den Ausfall der Argentinien-Anleihen: Nach einer schweren Wirtschaftskrise hatte sich das südamerikanische Land am 23. Dezember 2001 für insolvent erklärt. Dies war die bislang teuerste Staatspleite in der jüngeren Geschichte: Betroffen waren Anleihen von mehr als 100 Milliarden Dollar (72 Milliarden Euro). Allein in Deutschland hatten rund 40 000 Anleger, angelockt von Zinsen im zweistelligen Prozentbereich, solche Papiere gekauft. Im Zuge des Staatsbankrotts gab die Regierung in Buenos Aires die Bindung der Landeswährung Peso an den Dollar auf, der Peso wertete um 65 Prozent ab.
Vom Jahr 2005 an bot Argentinien seinen Gläubigern in mehreren Runden Umschuldungen an. Dabei lief es stets darauf hinaus, Abschläge beim Nennbetrag der Anleihen oder bei den Zinsen oder bei beiden hinzunehmen und zudem für bis zu 42 Jahre auf die Rückzahlung zu verzichten. Die ersten Runden liefen auf einen Forderungsverzicht von etwa 70 Prozent hinaus - das erschien vielen Investoren zu hart, sie verzichteten auf das Angebot.
Im vergangenen Jahr sah eine neue Umschuldungsofferte einen Verlust von knapp 50 Prozent vor. Bis heute haben gut 90 Prozent der Privatanleger eines der Angebote angenommen.
Die Bilanz der einstigen Radikalkur fällt durchwachsen aus: Nach einigen extrem schweren Jahren konnte Argentinien zwar zuletzt ein hohes Wirtschaftswachstum von gut neun Prozent vorweisen, die Arbeitslosenquote lag im vorigen Jahr nur noch bei rund sieben Prozent. Der Preis dafür sind jedoch hohe Inflationsraten von mehr als zehn Prozent.
Experten warnen aber davor, die Erfahrungen der Südamerikaner auf Griechenland zu übertragen: "Vergleichbar mit Argentinien wäre die Lage nur, wenn keine Einigung mit den Banken erzielt würde und eine ungeordnete Insolvenz in Griechenland eintreten würde", sagte Jasperneite. "Dann müssten sich die Griechen nach und nach mit den einzelnen Gläubigern einigen." Das würde in jedem Fall dazu führen, dass das Land über zehn bis 15 Jahre am Markt kein Geld mehr aufnehmen könne. "Dann müsste die EU Griechenland über Jahre hinaus helfen, schon um die Folgen einer dann desaströsen Wirtschaftentwicklung sozial abzufedern."
Argentinien hat jedenfalls bis heute große Probleme, sich an den Finanzmärkten wieder Geld zu leihen. Ein Schuldenschnitt Griechenlands birgt allerdings nicht nur für Athen selbst das Risiko, vom regulären Markt abgeschnitten zu werden. "Es besteht durchaus die Gefahr, dass sich Investoren dann auch beim Kauf von Anleihen aus anderen EU-Ländern zurückhalten werden", sagte Christian Hamann, Analyst bei der Haspa. "Davon könnten Papiere aus Portugal, Irland und Italien betroffen sein."
IfW-Konjunkturchef Scheide ist nicht so pessimistisch: "Eine Ansteckung auf andere Märkte erwarten wir nicht." Schließlich seien die Investoren seit langer Zeit auf solche Einbußen eingestimmt: "Das Vorgehen ist für die Märkte kein Schock mehr."
(abendblatt.de/dpa)