Die letzte Entscheidung des EZB-Chefs: Leitzins bleibt unverändert, europäische Kreditinstitute werden mit weiterer Liquidität versorgt.

Hamburg/Berlin. Der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, verteidigt seinen Kurs in der Euro-Schuldenkrise. Nicht die EZB sei das Problem, sondern die Finanz- und Wettbewerbspolitik und die Strukturreformen der nationalen Regierungen, sagte Trichet in den ARD-„Tagesthemen“. Politiker und Experten hatten kritisiert, dass die EZB Anleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten aufgekauft.

Trichet nannte die Krise die schwerste globale Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Deshalb müssten die USA, Japan und die EU-Staaten ihre Strategien überprüfen. Die Probleme in Europa hingen nicht so sehr mit dem Euro zusammen, sondern mit der mangelnden Stabilität der Finanzsysteme. Nicht die EZB sei dafür die „Feuerwehr“, sondern die nationalen Regierungen müssten die Stabilität des Systems wahren. „Wir können die Regierungen nicht ersetzen“, sagte er. Trichet mahnte, auch die Banken müssen ihre Hausaufgaben erledigen, ihre Finanzen auf eine solide Basis stellen, die Eigenkapitaldecke erhöhen und bei den Gewinnen bescheidener sein.

Zuvor hatten ihn Ökonomen zu einer Zinssenkung gedrängt. Doch Jean-Claude Trichet blieb seiner Linie bis zuletzt treu. Unter seiner Leitung beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), den Leitzins im Euro-Raum unverändert bei 1,5 Prozent zu belassen. Es war seine letzte Sitzung als EZB-Präsident. Nacht acht Amtsjahren tritt er turnusgemäß Ende des Monats sein Amt an den italienischen Notenbankchef Mario Draghi ab - mitten in einer Staatsschuldenkrise und einer neuen Bankenkrise. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Lage der EZB und der Banken.

Welches Erbe hinterlässt der scheidende Präsident Trichet?

Die EZB sah sich unter seiner Leitung zu unkonventionellen Maßnahmen gezwungen. Um einen Zusammenbruch des Anleihemarktes abzuwenden, kaufte die EZB 2010 erstmals Anleihen europäischer Schuldenstaaten auf, was selbst innerhalb des EZB-Gremiums umstritten war. Bundesbank-Präsident Axel Weber und EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark gaben sogar ihre Posten bei der EZB auf, weil sie mit diesem Aufkauf nicht einverstanden waren. Inzwischen hat die EZB Staatsanleihen von Krisenstaaten in Höhe von 160 Milliarden Euro in ihrer Bilanz stehen. "Damit riskiert die Bank Verluste und unterstützt Staaten bei ihrer Finanzierung, was nicht ihre Aufgabe ist", kritisiert Hans-Peter Burghof, Bankwissenschaftler an der Universität Hohenheim. "Die Reputation der EZB ist beschädigt." Dennoch konnte Trichet die Preisstabilität gewährleisten und das EZB-Inflationsziel von knapp zwei Prozent fast gewährleisten.

Wird es bei der EZB unter Mario Draghi einen Kurswechsel geben?

"Ich rechne damit, dass er die Politik von Trichet nahtlos fortsetzen wird", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse. Mit einer Zinssenkung rechnet er 2011 nicht. "Im nächsten Jahr könnte der EZB-Leitzins auf 1,25 bis 1,00 Prozent gesenkt werden." Das sei abhängig von der Entwicklung der Staatsschuldenkrise und der Konjunktur in Europa.

Warum droht den Banken schon wieder eine Krise?

Staatsanleihen sind eine wichtige Anlage für Banken und galten bisher als risikolos. Mit möglichen Staatsbankrotten drohen den Instituten nun hohe Abschreibungen. Das verstärkt das Misstrauen unter den Banken. Sie leihen sich kaum noch untereinander Geld, sondern bunkern ihre überschüssige Liquidität lieber bei der EZB.

Wie hoch ist der Kapitalbedarf der europäischen Banken?

Um das Vertrauen in die Branche wieder herzustellen sind 100 bis 200 Milliarden Euro notwendig, sagt Europa-Direktor Antonio Borges vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Seit 2008 haben EU-Staaten 420 Milliarden Euro in ihre Banken gesteckt. Eine weitere Überbrückungshilfe kommt von der EZB. Trichet kündigte gestern an, den Instituten unbegrenzt Geld mit langer Laufzeit von einem Jahr zur Verfügung zu stellen. Das kann die Liquiditätssituation der Banken verbessern.

Wo liegen die Ursachen für die neue Bankenkrise?

"Die Bankenkrise ist Ausdruck dafür, dass die Politik keine überzeugende Antwort auf die Staatsschuldenkrise findet", sagt Burghof. "Dadurch wächst die Verunsicherung, und das belastet die Banken." Härtere Regulierungen hätten daran nichts geändert, "denn die Staatsanleihen sind ein Kerninvestment vieler Banken".

Welche Banken in Europa sind derzeit gefährdet?

Bisher sind nur die Liquiditätsprobleme der belgisch-französischen Dexia-Bank bekannt. Dem Institut droht die Verstaatlichung. Es hält problematische Wertpapiere für 95 Milliarden Euro. Auch um französische Banken gibt es immer wieder Gerüchte. Von deutschen Banken sind keine gravierenden Probleme bekannt. Sie sind besser aufgestellt als noch 2008, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. Dennoch hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Bereitschaft bekundet, eine Rekapitalisierung der Banken, sofern notwendig, durchzuführen. In Deutschland könnte dafür der Banken-Rettungsfonds Soffin aus dem Jahr 2010 reaktiviert werden. "Die Kanzlerin hat eher daran gedacht, dass mit deutscher Hilfe andere europäische Banken gerettet werden", sagt Burghof. Möglich wäre das mit dem reformierten Rettungsschirm EFSF. Er kann direkt Geld strauchelnden Banken zur Verfügung stellen, ist aber noch nicht einsatzfähig. Deutschland bürgt dafür mit 211 Milliarden Euro. Der Rettungsschirm kann nur in Kraft treten, wenn er von allen 17 Euro-Staaten angenommen wird. Als eines der letzten Länder haben die Niederlande gestern am späten Abend den Weg für die Ausweitung des EFSF frei gemacht. 96 der 150 Abgeordneten des Unterhauses votierten in der namentlichen Abstimmung für die Erweiterung. Damit fehlt jetzt lediglich von der Slowakei und Malta grünes Licht.

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Wie sicher sind die Spareinlagen in der Euro-Zone?

Das Geld auf Spar-, Tages- oder Festgeldkonten ist trotz aller Probleme sicher. Auch den Kunden der Dexia-Bank wurden sofort ihre Einlagen garantiert, unabhängig davon, was mit der Bank geschieht. In der Euro-Zone gibt es eine gesetzliche Absicherung von 100 000 Euro pro Kunde. Bei Gemeinschaftskonten gelten dann 200 000 Euro. Verbraucherschützer raten, nur bis zu dieser Grenze Geld bei einer Bank anzulegen.