Aale-Dieter Bruhn ist über die Stadt hinaus bekannt. Er kämpft mit Hingabe um Kundschaft. Auch als Verkaufstrainer ist das Hamburger Original gefragt.
Hamburg. Die Frontlinie verläuft nur etwa eine Fischlänge vor dem Bauch von Dieter Bruhn, 72. Genau da, wo der Tresen seines Verkaufsstandes endet und das raue Kopfsteinpflaster des Hamburger Fischmarktes beginnt. Aale-Dieter, als der er weit über die Hansestadt hinaus bekannt ist, scheut sich nicht, die Front zu überschreiten. "Jetzt komm mal hierher", befiehlt er einem Mann mittleren Alters, beugt sich aus dem Wagen und zieht ihn am Ärmel an die Auslage mit den eingeschweißten Aalen heran. Die Menge drumherum johlt. Der Mann blickt unsicher drein. "Dreh dich nicht um", raunzt Aale-Dieter, "dir schaut keine mehr hinterher." Dann preist er die Vorzüge von frisch geräuchertem Aal und Lachs. "Du siehst aus wie ein Pfeifenreiniger, mein Junge, du musst mal was Anständiges essen." Gebongt - zwei Aale und ein Päckchen Räucherlachs gehen im Plastikbeutel über den Tresen, 25 Euro für das ganze Paket.
Gegen halb neun hat Bruhn den ersten Showdown dieses Morgens begonnen. Seit vier Uhr schon ist er am Platz, um die Theke fertig zu machen, Aale und Lachs in der Auslage zu stapeln, mit Kollegen von anderen Ständen zu schnacken. Die ersten Stunden des Fischmarktes schwemmen noch viele Unentschlossene vorbei, Nachtschwärmer auf dem Heimweg, junge Männer mit stierem Blick vom Alkohol. Pünktlich aber in dem Moment, in dem die Sonne durch die Wolken bricht, hebt Aale-Dieter die Stimme, und in weniger als einer halben Minute ist der Platz vor seinem Wagen mit Neugierigen gefüllt. "Jetzt kommt der Moment, in dem der Elefant das Wasser lässt", tönt es aus der Bude, als die nächste Ladung Aal an den Mann geht. "Komm, gib Geld", keift der Verkäufer nach draußen, bei dir zahl ich noch drauf. Das hier ist das rollende Sozialamt Hamburg Altona!"
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Es ist großes Theater, Hamburger Folklore und ein brettharter Job. Bruhn macht ihn im 53. Jahr. Ein "waschechter Hamburger Jung" sei er, sagt er stolz, bis zurück zum Urgroßvater alle in der Stadt geboren, er selbst in Hamm, aufgewachsen in Eimsbüttel. Und geprägt am Fischmarkt Altona. Maschinenbauer hat er als junger Mann gelernt. Schon Ende der 50er-Jahre aber kam er aber durch einen Freund seines Vaters zum Fischhandel. Da blieb er.
Seine Arbeit in der Fischbude machte ihn berühmt. Wenn der Hamburger Fischmarkt in anderen deutschen Städten gastiert wie etwa in München oder Stuttgart, ist Aale-Dieter natürlich dabei. Fotos in seinem Wagen zeigen ihn mit Heidi Kabel und Jan Fedder. Mit berühmten Zeitgenossen und den Medien hat er nie gefremdelt. "Ich hab dich im Fernsehen singen hören. Da klangst du aber besser", ruft einer aus der Menge Richtung Fischverkäufer. "Du siehst auch nicht so gut aus, wie ich dachte", gibt Aale-Dieter dem Kölner spontan zurück, den er gar nicht kennt.
Den verbalen Kampfsport beherrscht Bruhn aus dem Effeff. Situationen spontan einschätzen, die Stimmung im Publikum steuern zu können, das ist sein großes Talent, nicht nur seiner ausgeprägten Stimme wegen, die er früher sogar mal zum professionellen Gesang ausbilden wollte. Bei Staatsoperntenor Horst Wilhelm nahm er vor mehr als 35 Jahren Unterricht, entschied sich aber dann doch für seine eigene Bühne an der Fischauktionshalle: "Gesang war immer meine große Liebe, aber ich mochte das Klavierspiel nicht."
An der Verkaufsfront ist Bruhn schon längst eine Spitzenkraft. Unternehmen wie Max Bahr oder Douglas nutzen seine Fähigkeiten und buchen bei ihm für ihre Mitarbeiter Seminare im Verkaufstraining. Auch als Konferenzmoderator ist er gefragt. Das "Manager Magazin" kürte Bruhn 2002 zu eine der Top-10-Verkäufer Deutschlands - nicht schlecht für einen, den man gemeinhin als Marktschreier bezeichnet. Dessen Qualitäten sind gefragt wie nie. Die Lockrufe ungezählter Marktschreier einer riesigen Werbeindustrie dringen heutzutage von überall her ins tägliche Leben hinein. Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Konsumenten wird immer härter.
Auch am Fischmarkt. In nächster Nähe zu Aale-Dieters Bude stehen etliche Konkurrenten bis hin zu Aal-Kai im modernen Großraumwagen mit prallvoller Kühltheke, vor der sich die Menschen drängen. "Interessiert mich doch nicht", sagt Bruhn, "sollen die Leute doch dahin weitergehen."
Doch das meint er nicht ernst. Aale-Dieter kämpft um jeden Mann und jede Frau, er schmeichelt und schimpft, zappelt und schwitzt. Er schneidet einen Aal auf und schnippelt den Leuten vor seinem Tresen kleine Stücke in die Finger. "Iss mal, das wirkt", sagt er zu einer älteren Dame. "Runter damit. Seid Ihr denn alle so zickig in der Schweiz?"
Seine Methode ähnelt denen der Hütchenspieler: die anderen verwirren und dann schnell zum Abschluss kommen. Er nimmt einen Aal zur Hand: "30 Euro für den Dicken hier", ruft er und klatscht einen zweiten darauf, "30 Euro für die beiden, und jetzt tut euch Aale-Dieter was Gutes: eine Seite Räucherlachs vom Feinsten dazu, 25 Euro für alles. Na, nimm schon mit." Weg ist die Fuhre, dann greifen Hände aus allen Richtungen nach der Räucherware.
Aale-Dieter hält die Stimmung am Köcheln: "Nur aus Liebe geht der Bock zur Ziege", preist er die angeblich erotisierende Wirkung seiner Langfische. Jeweils um die 300 Gramm wiegen die Aale und das große Päckchen Lachs, das kleine die Hälfte. Der Fisch hier ist keineswegs billig. Aber die Hau-weg-Parolen vom Tresen suggerieren den Käufern, soeben ein schönes Schnäppchen gemacht zu haben. "Bei mir gibt's nur Topqualität", tönt Aale-Dieter in die Menge. "Und vergiss nicht, die Folie abzuziehen, bevor du reinbeißt."
Wie lange will er sich das noch antun, der Ehemann, mehrfache Vater und Großvater, der seit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Fischmarkt steht und auf Wochenmärkten landauf, landab? "So lange der liebe Gott mir Gesundheit schenkt", sagt er und erwähnt, dass er regelmäßig Sport treibe, "Laufband und Gewichte, damit hier obenrum alles schön fest bleibt".
Dann ist er schon bei der nächsten Kundin, einer grauhaarigen Dame, die errötet, als Aale-Dieter sie zum Tresen zieht. "Komm mal her, meine kleine Zuckererbse, ich hab hier was für dich..."
Morgen: Beim Hafenunternehmer Robert Eckelmann