Deutschland und die Schweiz haben sich geeinigt. Der Alpenstaat gibt seine Neutralität auf, kann aber trotzdem das Bankgeheimnis wahren.
Zürich/Berlin. Die Schweiz gibt ihren Status als sicherer Hafen für Schwarzgelder aus Deutschland endgültig auf. Beide Länder schlossen am Mittwoch nach monatelangen Verhandlungen eine Grundsatzvereinbarung, die dem deutschen Fiskus Steuerzahlungen auf die im Nachbarland aufbewahrten Vermögen sichert. Der Alpen-Republik gelang es zugleich, ihr legendäres Bankgeheimnis zu retten. Die Identität der betroffenen Kunden von Schweizer Banken muss unter der Vereinbarung auch künftig nicht preisgegeben werden. „Die Schweiz ist als Finanzplatz sicher weiter attraktiv, wenn sie jetzt auch keine Wettbewerbsvorteile mehr gegenüber deutschen Banken hat“, betonte der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Martin Kotthaus, in Berlin.
Bislang unversteuerte deutsche Alt-Vermögen auf Schweizer Konten werden nun pauschal nachbesteuert. Künftige Kapitalerträge darauf werden wie in Deutschland über eine Abgeltungssteuer von gut 26 Prozent besteuert. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und den Bundesländern werden dadurch ab 2013 mindestens zwei Milliarden Schweizer Franken in die Kassen fließen.
Die Einigung wird voraussichtlich am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Sie muss in Deutschland neben dem Bundestag auch den Bundesrat passieren, denn sowohl der Bund als auch die Bundesländer werden von den neuen Regeln profitieren. Gesicherte Zahlen über die Menge an Schwarzgeld aus Deutschland, die seit Jahrzehnten auf Schweizer Konten liegt, gibt es keine. In den Medien waren zuletzt Zahlen von 100 und 200 Milliarden Euro in Umlauf. Da allerdings voraussichtlich nur Schwarzgelder aus dem vergangenen Jahrzehnt nachbesteuert werden können, werden diese Summen von den neuen Regeln nur zum Teil berührt.
Die sogenannten Alt-Anlagen aus Deutschland sollen aus Gründen der Praktikabilität pauschal nachbesteuert werden. Auf sie wird ein Satz von 19 bis 34 Prozent – je nach Dauer der Anlage und ihrer Entwicklung – erhoben. Das liegt um einiges unter dem aktuell in Deutschland geltenden Spitzensteuersatz von 45 Prozent – inklusive Reichensteuer. Als Vorauszahlung sollen die Schweizer Banken kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes pauschal einen Betrag von umgerechnet 1,9 Milliarden Euro (zwei Milliarden Franken) über die Schweizer Finanzbehörden an den deutschen Fiskus abführen, den sie später wieder von ihren Kunden zurückholen können. Der Löwenanteil dürfte auf die beiden Großbanken UBS und Credit Suisse entfallen, der Rest auf die kleineren Institute.
Die Abschlagszahlung wird mit den etwas später fließenden Nachbesteuerungsbeträgen der deutschen Kunden verrechnet, die über die Banken anonym an die deutschen Finanzämter fließen. Würde rein rechnerisch für die vergangenen zehn Jahre ein Schwarzgeld-Betrag von 100 Milliarden Euro belastet, dann würden schon bei dem vereinbarten Mindest-Nachversteuerungssatz von 19 Prozent 19 Milliarden Euro fällig werden. Am Ende sollten dann auf Schweizer Konten keine unversteuerten Anlagen aus Deutschland mehr liegen – jedenfalls soweit es Vorgänge betrifft, die noch nicht verjährt sind. Allerdings: Zieht der Kunde als Folge der Neuregelung seine Kapitalanlagen aus der Schweiz kurzfristig ab und transferiert sie in ein anderes Steuerparadies, entgeht er der Nachbesteuerung.
Der deutschen Seite noch wichtiger war Regierungskreisen zufolge, dass künftige Kapitalerträge auf deutsche Vermögen in der Schweiz in der Zukunft genauso wie in Deutschland mit einer Abgeltungssteuer von 26,375 Prozent – inklusive Solidaritätsbeitrag – belegt werden. Auch hier führt die Schweiz das Geld an den deutschen Staat ab, ohne die Identität des Kunden zu enthüllen.
Der Schweizer Bankenverband lobte die Vereinbarung als „wichtigen Meilenstein für den Finanzplatz Schweiz“. Das Abkommen sei im Interesse der deutschen Kunden, die damit ihre finanzielle Privatsphäre wahren könnten. Für die Banken sei die Einigung aber nicht gratis. Die Umsetzung der Maßnahmen werde die Schweizer Institute einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten.
Mit Hilfe des Bankgeheimnisses war die Schweiz weltweit zum größten Hort für ausländisches Geld geworden. Schätzungen zufolge liegen rund zwei Billionen Franken in der Alpenrepublik. Die Schweiz beugte sich aber starkem internationalen Druck und begann das Bankgeheimnis aufzuweichen. Obwohl die Schweiz nun endgültig keine Steueroase mehr ist, rechnen Banker mit weiteren Geldzuflüssen. „In einer Welt mit so viel Unsicherheit und Volatilität“ habe der Finanzplatz noch immer viele Vorteile, sagte der Chef der Schweizer Privatbank Vontobel, Zeno Staub, der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die rekordhohen Notierungen des Schweizer Frankens belegen die Anziehungskraft des Landes.
Um den Zufluss neuer Schwarzgelder aus Deutschland zu verhindern, vereinbarten beide Ländern Regierungskreisen zufolge einen „speziellen Sicherungsmechanismus“. Wenn der deutsche Fiskus Anhaltspunkte hat, dass ein Steuerpflichtiger ein von ihm nicht angegebenes Konto in der Schweiz hat, so kann er die Schweizer Steuerbehörden um Auskunft bitten und erhält sie. „Auf diese Weise wird es in Zukunft ein Risiko der Entdeckung von neuem Schwarzgeld geben“, sagte ein Regierungsvertreter. „Deutsche Steuerpflichtige können nicht sicher sein, wenn sie Schwarzgeld in die Schweiz bringen, nicht entdeckt zu werden.“
Zudem hat die Schweiz Deutschland abgerungen, den Zugang von Schweizer Banken, die hier keine Niederlassung haben, zum deutschen Markt zu erleichtern. Diese müssen sich den Kreisen zufolge künftig beim Aufbau einer neuen Kundenbeziehung in Deutschland nicht mehr der Mithilfe eines dort ansässigen Instituts bedienen. Vielmehr kann der deutsche Kunde direkt ein Konto bei einer solchen Schweizer Bank eröffne, indem er zur Nachprüfung seiner Identität des Postident-Verfahrens bedient - ganz wie bei einem deutschen Institut.
Gegen die Neuregelung gab es schon im Vorfeld Kritik. Die Deutsche Steuergewerkschaft sprach von einem „Ablasshandel“ und einer faktischen Amnestie für Steuerflüchtlinge. Schäubles Sprecher Kotthaus sagte, jedes Abkommen zwischen zwei Staaten beinhalte Kompromisse. Dass bisherige Steuersünder anonym bleiben könnten, sei eine nicht verhandelbare Schweizer Forderung gewesen. „In der Schweiz war das Verhalten nicht strafbar, und eine nachträgliche Strafbarkeit war für die Schweiz nicht verhandelbar“, sagte Kotthaus. (rtr)