Volkswagen übernimmt die Mehrheit der MAN-Stammaktien. Nach erstem Widerstand erkennt der Lastwagenbauer MAN “gemeinsame Potenziale“.

Wolfsburg. Volkswagen übernimmt die Mehrheit an dem Lastwagenhersteller MAN. Bereits im Mai erhöhte der Wolfsburger Autokonzern seine Anteile auf über 30 Prozent und musste demnach ein Pflichtangebot abgeben. Jetzt hat VW hat seinen Anteil auf 55,9 Prozent der MAN-Stammaktien erhöht. Die Frist für das Angebot lief vergangene Woche aus. Der Kurs der MAN-Aktien sank unter den Angebotspreis. Händler könnten die Papiere günstig gekauft und dann zum Angebotspreis von 95 Euro VW angedient haben, hieß es am Freitag aus Finanzkreisen.

Damit verleibt sich Volkswagen bereits seine elfte Marke ein. Der mächtige VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech kann sich nun daran machen, die lange geplante Lkw-Allianz der schwedischen VW-Tochter Scania mit MAN umzusetzen. Dabei würden sich Scania/MAN zusammen nach Berechnungen von Experten in Europa ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Volvo um Rang zwei in der Branche hinter Daimler liefern. Weltweit dürfte VW im Lkw-Geschäft dann einen Platz unter den ersten sieben einnehmen. VW-Chef Martin Winterkorn zeigte sich am Montag „mehr als zufrieden“ mit dem Ergebnis der Übernahmeofferte. VW wolle nun in Abstimmung mit den Kartellbehörden die gesetzlich notwendige Freigabe der Allianz vorantreiben. „Wir gehen nach derzeitigem Stand davon aus, dass die notwendigen fusionsrechtlichen Freigaben in der zweiten Jahreshälfte vorliegen werden“, sagte ein Sprecher. Die EU-Kommission hatte vergangene Woche erst den Versuch von Volkswagen ausgebremst, bereits vor der Genehmigung durch die Wettbewerbshüter die Kontrolle im MAN-Aufsichtsrat zu übernehmen.

Der Lastwagenhersteller MAN hatte sich, nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Preisofferte, gegen eine Einflussnahme aus Wolfsburg gewehrt. Jetzt verliert das Unternehmen nach über 250 Jahren seine Unabhängigkeit. Trotzdem zeigte man sich optimistisch. MAN begrüßte die Übernahme durch Volkswagen. „Unsere Aktionäre haben sich entschieden: MAN wird zur VW-Familie gehören“, sagte ein Sprecher am Montag in München. Damit werde ein neues Kapitel in der 253-jährigen Geschichte des Unternehmens aufgeschlagen. „Die sich daraus ergebenen Chancen werden wir aktiv nutzen. Die Wolfsburger Pläne für eine LKW-Allianz mit der schwedischen VW-Tochter Scania würden aus München vollständig unterstützt. „Unser Anspruch daran ist klar: Wir wollen gemeinsam Potenziale heben“, sagte der Sprecher.

Frank Biller von der Landesbank Baden-Württemberg geht davon aus, dass VW weitere MAN-Anteile hinzukaufen wird, was dem Unternehmen nach dem Pflichtangebot freisteht. Langfristig werde der Wolfsburger Konzern die Dreiviertel-Mehrheit anpeilen, um bei MAN in allen Belangen regieren zu können, sagte der Autoanalyst. Eine volle Übernahme dürfte VW nicht anstreben. Für diesen unwahrscheinlichen Fall hat sich der US-Investmentfonds BlackRock schon vor längerem platziert: Er hält nach bisherigen Angaben gut vier Prozent an MAN, die er sich im Falle einer Komplettübernahme teuer abkaufen lassen könnte, vermuten Branchenkenner.

Die Anleger reagierten und ließen den Kurs der MAN-Stammaktien am Morgen um rund 1,7 Prozent auf 93,60 Euro fallen. Damit machten sie den Konzern zum zeitweise schwächsten Wert im Aktienindex DAX. Die Volkswagen-Aktie setzte dagegen ihren seit Monaten anhaltenden Höhenflug fort und erreichte mit einem Plus von 0,5 Prozent 143,50 Euro in einem insgesamt leicht positiven Markt.

Chronologie der Ereignisse:

Der MAN-Nutzfahrzeugvorstand und frühere Scania-Manager Hakan Samuelsson wird MAN-Vorstandschef. Er setzt voll auf das Lkw-Geschäft und beginnt, den Traditionskonzern zu verschlanken. Er verkauft die Raumfahrtsparte und die Druckmaschinensparte MAN Roland.

September 2006: MAN will den kleinen, aber hoch profitablen schwedischen Lkw-Hersteller Scania übernehmen. Aber Scania-Chef Leif Östling wehrt sich gegen die feindliche Übernahme. Die Industriellenfamilie Wallenberg und VW als Scania-Großaktionäre gehen auf Distanz. VW kauft 15 Prozent der MAN-Aktien.

Januar 2007: MAN ist gescheitert und zieht sein Übernahmeangebot an die Scania-Aktionäre zurück, hält aber weiter 17 Prozent an Scania. VW erklärt eine freundliche Fusion zum Ziel.

Februar 2007: VW stockt MAN-Anteil auf 29,9 Prozent auf.

Frühjahr 2007: VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech wird auch MAN-Aufsichtsvorsitzender, VW-Vorstandschef Martin Winterkorn übernimmt die Führung des Scania-Aufsichtsrats.

Dezember 2008: MAN erwirtschaftet einen Rekordgewinn von 1,25 Milliarden Euro – viermal so viel wie bei Samuelssons Amtsantritt.

Frühjahr 2009: Die Wirtschaftskrise lässt den Lkw-Absatz in Europa einbrechen. VW verkauft MAN seine florierende Lastwagensparte in Brasilien. Die Staatsanwaltschaft durchsucht die MAN-Zentrale wegen Schmiergeldzahlungen im Lkw- und Busgeschäft.

Herbst 2009: MAN verkauft den Anlagenbauer MAN Ferrostaal und übernimmt 25 Prozent am chinesischen Lkw-Hersteller Sinotruk.

Dezember 2009: Scanias Gewinn ist eingebrochen, MAN schließt das Jahr mit roten Zahlen ab. Samuelsson tritt wegen der Korruptionsaffäre zurück, sein Nachfolger wird der MAN-Manager Georg Pachta-Reyhofen.

April 2010: Piech sagt, nach der Übernahme von Porsche könne er sich bei VW jetzt um MAN und Scania kümmern. Ein Zusammenrücken bringe bis zu einer Milliarde Euro an Synergie. Fortan loten Arbeitsgruppen die Möglichkeiten aus.

Juli 2010: VW-Produktionsvorstand Jochem Heizmann übernimmt ein neues Vorstandsressort in Wolfsburg für Nutzfahrzeuge.

November 2010: VW plant nach unbestätigten Berichten, dass Scania MAN übernimmt. Scania erklärt, die vollen Synergien seien nicht bei einer bloßen Zusammenarbeit, sondern nur bei einer Kombination von Scania und MAN zu heben.

Mai 2011: VW stockt die MAN-Beteiligung auf knapp über 30 Prozent auf. Dadurch wird nach dem Aktienrecht ein Übernahmeangebot an alle übrigen Aktionäre fällig. VW gibt eine Beschäftigungs- und Standortgarantie für MAN ab.

27. Juni: VW will auf der MAN-Hauptversammlung im Handstreich die Macht übernehmen und fünf Plätze in Aufsichtsrat mit eigenen Leuten besetzen. Erst eine Warnung der EU-Kommission vor Kartellproblemen im Zuge dieser Machtübernahme stoppt die aggressiven Pläne der Wolfsburger im letzten Moment.

4. Juli: VW kommt am Ende der Frist des Übernahmeangebotes auf 55,6 Prozent der MAN-Stimmrechte. Jetzt müssen Kartellbehörden in aller Welt die Übernahme prüfen. VW rechnet mit dem Abschluss der Prüfungen bis Jahresende. Erst danach fließt das Geld an die MAN-Aktionäre und VW kann voll über die zusätzlichen Anteile verfügen.

(abendblatt.de/dpa/dapd/Reuters)