Die gesamte Gesellschaft muss sich einem historischen Wandel unterziehen – aber die Opposition im Parlament und auf der Straße verweigert sich dem.

Athen. Griechenland hat das aus EU-Sicht dringend benötigte Sparpaket beschlossen, doch die Einheimischen sind da ganz anderer Meinung. Diese äußerten sie bis in den Abend hinein mit gewaltsamen Protesten. Das griechische Parlament war in Tränengas-Wolken gehüllt, Demonstranten brachen Steinbrocken aus dem Gemäuer des Syntagma-Platzes und schleuderten sie auf die Polizeibeamte. Die Sicherheitskräfte trieben die Randalierer durch die Straßen der Athener Innenstadt. Das Zentrum der Hauptstadt glich einem Schlachtfeld. Die Proteste richteten sich, paradoxerweise, gegen einen Parlamentsbeschluss, der das Land vor der Pleite retten soll.

„Das Sparprogramm ist kein Weg, der das Land nach vorne bringt“, sagte ein Demonstrant. Die Anhänger der Protestbewegung befürchten, dass das Sparprogramm der Wirtschaft die Luft abschnüren und den jungen Griechen alle Zukunftschancen nehmen wird. Dabei hat Ministerpräsident Giorgos Papandreou genau das Gegenteil im Sinn. „Dies ist die Chance, das Land zu ändern.“ In der Öffentlichkeit wird die anstehende Zäsur daher auch mit der Rückkehr Griechenlands zur Demokratie 1974 vergleichen.

Athen hatte alle Blicke aus Europa auf sich gerichtet. Als die Abgeordneten schließlich das Sparprogramm beschlossen, ging ein Aufatmen durch den Kontinent. Europa bleibt eine neue Finanzkrise vorerst erspart. In Griechenland selbst war dagegen von Erleichterung nichts zu spüren. Bis in die Nacht tobten in Athen Straßenkämpfe zwischen vermummten jungen Leuten und der Polizei. Autonome verwüsteten Bushaltestellen und Bankautomaten, warfen Schaufensterscheiben ein und setzten ein Postamt sowie zwei Bürogebäude in Brand. „Ein Votum unter den Tränen des Volkes“, titelte die Zeitung „Eleftherotypia“.

Die Griechenland-Rettung ist damit aber noch längst nicht unter Dach und Fach. Papandreou steht das Schwerste noch bevor. Er muss den angekündigten historischen Wandel in die Tat umsetzen. Dazu gehört zum Beispiel die Überwindung der Vetternwirtschaft. Papandreou steht bei dieser Herkules-Aufgabe jedoch ziemlich allein da. Im Parlament konnte er praktisch nur die Abgeordneten seiner Partei für sein Sparprogramm gewinnen.

Die Papandreou-Regierung hatte schon mit ihrem ersten – vor gut einem Jahr beschlossenen – Sparprogramm nur teilweise Erfolg gehabt. Der Staat sparte zwar kräftig und senkte das Budgetdefizit von 15,5 auf 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es gelang aber nicht, die Einnahmen zu erhöhen und die weit verbreitete Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Um dieses Manko zu beheben, will die Regierung nun nach dem Rasenmäherprinzip vorgehen.

Aber auch wenn Papandreou die Neuverschuldung in den Griff bekommt, bleibt der Schuldenberg von etwa 340 Milliarden Euro bestehen. Viele Griechen befürchten, dass die Sparprogramme zu einer Sisyphusarbeit werden könnte und ihr Staat auf Jahrzehnte hinaus Milliardensummen für Zinsen ausgeben muss, die bei der Förderung von Investitionen oder in der Bildung fehlen. Die befürchtete Folge beschreibt ein Demonstrant mit düstersten Worten: „Es wird uns um Jahrhunderte zurückwerfen.“

Erleichterung in Portugal

Die Zustimmung zum Sparpaket in Griechenland hat auch im pleitebedrohten Euro-Land Portugal Erleichterung und Freude ausgelöst. Die Entscheidung des griechischen Parlaments sei für die Stabilität der Eurozone wichtig, ließ der neue liberal-konservative Regierungschef Pedro Passos Coelho am Mittwoch in Lissabon mitteilen.

„Der Ministerpräsident hat die Zustimmung in Athen sehr begrüßt“, sagte ein Sprecher der portugiesischen Regierung der Nachrichtenagentur Lusa. An der Börse Lissabon kletterte der Aktienindex PSI20 um 2,5 Prozent auf 7108,41 Punkte. Dies war der stärkste Kursanstieg der vergangenen drei Monate.

Wie Griechenland ist auch Portugal vom Staatsbankrott bedroht. Als Gegenleistung für das 78 Milliarden Euro schwere Hilfspaket der EU und des Internationalen Währungsfonds muss das ärmste Land Westeuropas das Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent (2010) auf 5,9 Prozent im laufenden Jahr senken. Dazu sollen Renten und Gehälter gekürzt sowie Steuern angehoben werden. Außerdem will Lissabon unter anderem den Arbeitsmarkt flexibilisieren und das Arbeitslosengeld kürzen.

Deutschland reagiert erleichtert

Die deutsche Politik hat mit Erleichterung auf den Sparbeschluss des griechischen Parlaments reagiert. «Griechenland hat damit gezeigt, dass es bereit ist, einen schwierigen Weg zu gehen», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch im Berliner Kanzleramt. Der Beschluss sei ein wichtiger Schritt für die Zukunft Griechenlands, aber auch für die Stabilität des Euro.

Es sei klar, dass viele Griechen nun Opfer bringen müssten. Aber nur durch das Sparprogramm werde es möglich, dass Athen seine Schulden abbaue und auf den Wachstumspfad zurückkehre. «Dabei werden wir mit der EU hilfreich zur Seite stehen», sagte Merkel. Insgesamt sei das Votum eine gute Nachricht, die Europa bei der Stabilisierung des Euro «ein ganzes Stück» voranbringe.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) erklärte, Griechenland müsse nun «einen konsequenten Wachstumspfad einschlagen», um seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, das griechische Parlament habe bewiesen, dass es sich seiner Verantwortung für das Land und die Eurozone bewusst ist. «Jetzt gilt es, am Donnerstag auch einen Konsens über die einzelnen Maßnahmen zu finden und diese dann in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren entschlossen umzusetzen.»

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach von einer «ebenso richtigen wie unvermeidlichen» Entscheidung des griechischen Parlaments. «Damit ist nun der Weg frei für die Auszahlung der nächsten Tranche der internationalen Finanzhilfen und die Verabschiedung eines neuen Hilfspakets.»


Schwere Krawalle in Athen - Luxushotel evakuiert

Die Lage in Athen hat sich am Mittwochabend zugespitzt. Hunderte Vermummte randalierten und lieferten sich rund um den zentralen Syntagmaplatz Zusammenstöße mit der Polizei. Die Randalierer warfen Brandflaschen auf ein Postamt und zwei andere Gebäude. Die Feuerwehr konnte regelrecht in letzter Minute sieben Menschen aus einem brennenden Gebäude retten und das Feuer löschen, wie das griechische Fernsehen berichtete.

Wegen der dramatischen Lage musste zuvor ein Luxushotel in der griechischen Hauptstadt evakuiert werden. „Alle unsere Kunden wurden in Sicherheit in anderen Hotels untergebracht“, sagte ein Sprecher des Hotels der Nachrichtenagentur dpa.

In Athen kommt es seit Mittwochmittag zu schweren Zusammenstößen zwischen mehreren hundert Randalierern und der Polizei. Tausende Menschen flohen in Panik vom Platz vor dem Parlament. Tränengasschwaden wurden durch das Stadtzentrum getrieben. Ein Angestellter des Hotels sagte, die Gäste des Hotels hätten die beißende Luft „nicht mehr ertragen“ können.

Mehr als 200 Menschen wurden nach Berichten griechischer Medien verletzt. Die meisten von ihnen hätten Augen- und Atemwegsbeschwerden. Wie die Polizei mitteilte, wurden 38 Menschen festgenommen. 26 Polizisten wurden verletzt, hieß es. Die Randalierer sind militante Gegner des rigorosen Sparprogramms der Regierung unter Ministerpräsident Giorgos Papandreou. Das Parlament hatte das Sparpaket gebilligt.

Der aktuelle Kommentar des Hamburger Abendblatts

„Europa kann aufatmen. Nach langen, kontroversen Diskussionen hat das griechische Parlament gestern dem Sparpaket der Regierung Papandreou zugestimmt. Die höchste Hürde für die nächste Hilfstranche in Höhe von zwölf Milliarden Euro von EU und Internationalem Währungsfonds ist damit genommen. Bis zum Ende der Griechenland-Krise ist es allerdings noch ein weiter Weg. Zunächst muss die Athener Regierung das ambitionierte Sparprogramm gegen den Willen eines großen Teils der eigenen Bevölkerung umsetzen. Beschäftigte, Freiberufler, Rentner, Arbeitslose - sie alle stehen vor zum Teil drastischen Einschnitten. Ein Volk zahlt die Zeche für Fehler und Betrügereien eines über viele Jahrzehnte korrupten politischen Systems. So bitter die Maßnahmen für den Einzelnen auch sein mögen, an dem Sparkurs führt kein Weg vorbei. Griechenland musste ein Signal an die Weltgemeinschaft senden, dass es die Sanierung seiner maroden Staatsfinanzen ernsthaft in Angriff nimmt. Hätte das Parlament seine Zustimmung verweigert, wäre das Land bankrott gewesen mit nicht vorhersehbaren Folgen für andere südeuropäische Staaten und den Euro. Doch das Sparpaket ist nur ein Teil im komplizierten 'Wie rettet man Griechenland'-Puzzle. Zum notwendigen Abbau des gigantischen Schuldenbergs tragen die Maßnahmen nicht einen Cent bei. Hier werden in den kommenden Monaten die Gläubiger gefragt sein. Allen voran die privaten Banken in Frankreich und Deutschland sowie die Europäische Zentralbank (EZB), die das Gros der fast wertlosen Griechenland-Anleihen hält. Ohne einen umfangreichen Forderungsverzicht wird Athen nicht zu retten sein.

Das haben mittlerweile auch die Manager in den Chefetagen der europäischen Geldhäuser verstanden. Europa darf allerdings nicht nur zurückschauen - auf die Schulden der Vergangenheit. Griechenland braucht vor allem eine ökonomische Zukunft. Mit welchen eigenen Produkten und Dienstleistungen kann das angeschlagene Land wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren? Und wie kann Europa dabei helfen? Diese Fragen müssen schnell und kompetent beantwortet werden. Denn nur ein prosperierendes Griechenland wird seine Staatsfinanzen langfristig selbst in Ordnung halten können.“

(dpa/dapd/abendblatt.de)