Der rasante Ölpreisanstieg soll dennoch bald zu Ende sein, da Saudi-Arabien und andere Länder wie Russland für Libyen in die Bresche springen.

London. Wegen des Volksaufstands gegen Machthaber Muammar Gaddafi sind die Öl-Ausfuhren aus Libyen offenbar zum Erliegen gekommen. Wegen Produktionsausfällen und schlechten Wetters werde derzeit kein Rohöl mehr außer Landes transportiert, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Montag aus Kreisen der Schifffahrtsindustrie. Der Internationalen Energie-Agentur (IEA) zufolge sinkt auch die Produktion des weltweit zwölftgrößten Ölförderlandes immer stärker. Derzeit fiele die Hälfte der Produktion weg. Bislang war von Produktionsausfällen von etwa einem Drittel der gewöhnlich etwa 1,6 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter) täglich die Rede. Saudi-Arabien erklärte, bereits für die libyschen Förderausfälle eingesprungen zu sein. EU-Energiekommissar Günther Oettinger rechnet damit, dass der zuletzt steile Ölpreisanstieg bald ein Ende haben wird.

Nur noch etwa halb so viel wie vor Krisenausbruch werde in den Ölfeldern Sarir, Nafoora und Misla im Osten Libyens gefördert, hieß es in den Kreisen. Auch in Hamada sei die Produktion gedrosselt worden. Wegen schlechten Wetters könnten zudem mindestens vier Tanker mit 2,4 Millionen Barrel an Bord nicht ablegen. Der wichtige Hafen Marsa el Brega befindet sich zudem unter Kontrolle von Gaddafi-Gegnern, die den Hafen geschlossen haben. Rohöl hatte sich wegen der Furcht am Markt vor Versorgungsengpässen im Zuge des Aufstands in dem nordafrikanischen Land stark verteuert.

Saudi-Arabien sprang den Angaben zufolge für die Lieferausfälle in die Bresche, somit wurde der Preisauftrieb gedämpft. Alle Nachfragen der Kunden seien erfüllt worden, sagte der Chef der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco, Chalid al-Fali. Genaue Zahlen könne er aber nicht nennen. In Branchenkreisen hatte es bereits am Freitag geheißen, dass der weltgrößte Exporteur seine Fördermenge um 700.000 Barrel auf mehr als neun Millionen Barrel am Tag hochgefahren und noch Luft nach oben habe.

Oettinger warnte in Brüssel, dass sich nicht nur die Lage in Libyen, sondern die Unruhe in der gesamten Region auf den Ölpreis auswirke. Wenn aber keine anderen Länder nach Libyen die Ölförderung einstellten, werde der Höchststand beim Ölpreis in den kommenden Tagen erreicht sein. Der Lieferausfall aus Libyen werde die Energieversorgung in der Europäischen Union nicht beeinträchtigen. Die Ölfirmen hätten erhebliche Vorräte. Außerdem würden andere Länder wie Russland einspringen, um Engpässe zu vermeiden.

Der Preis für Öl der Nordsee-Sorte Brent lag am Abend kaum verändert bei rund 112 Dollar pro Barrel. US-Öl verbilligte sich leicht auf knapp 98 Dollar. Vergangene Woche war der Brent-Preis mit knapp 120 Dollar auf den höchsten Stand seit zweieinhalb Jahren geklettert. (Reuters/abendblatt.de)

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Nun herrscht wieder Panik, Angst vor der nächsten Ölkrise, vor einem neuerlichen Absturz der Weltwirtschaft. Die Spanier verschärfen gar das Tempolimit auf Autobahnen, um den Spritverbrauch zu drosseln - eine hilflose Geste. Politiker wie EU-Kommissar Günther Oettinger halten Beruhigungsreden. Und Börsenhändler, die rechtzeitig auf sehr teures Öl spekuliert haben, fahren satte Gewinne ein.

Überraschend ist das nicht. Der flächendeckende Aufstand, der möglicherweise in eine Selbstbefreiung der Arabischen Welt vom Despotentum mündet, ist ja nur ein weiterer Grund für den Höhenflug des Ölpreises. Es gibt andere Faktoren, die jeder Marktbeobachter längst auswendig kennt. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise kostete ein Fass Öl (159 Liter) im Sommer 2008 Rekordpreise von mehr als 145 Dollar: weil es das Wachstum, speziell der Schwellenländer, Spekulanten leichter macht, den Preis besonders stark zu treiben, weil die Kapazitäten der Ölindustrie am Limit arbeiten und die Förderung immer mehr kostet, weil nicht mehr genügend große Vorkommen neu entdeckt werden.

Es muss nicht einmal zum Äußersten kommen, zu einem Lieferstopp in Libyen oder, noch schlimmer, zu Unruhen in führenden Förderstaaten wie Saudi-Arabien und Iran. Schon die labile Lage dieser Tage bringt den Ölpreis in Europa wieder auf fast 120 Dollar je Fass. Denn der Aufstand der Araber erinnert daran, dass der größte Teil unseres wichtigsten Energieträgers in einer der gefährlichsten Regionen der Welt liegt - rund um den Persischen Golf und in Nordafrika.

Seit der Ölkrise zu Beginn der 70er-Jahre - die Älteren haben autofreie Sonntage erlebt - wird international ernsthaft über die Abwendung vom Öl diskutiert. Geschehen ist effektiv nichts. Automotoren, Flugzeugturbinen, Schiffsantriebe, all diese Maschinen arbeiten zwar heute viel sparsamer als früher. Aber die Explosion der Mobilität zu Land, in der Luft und auf See macht unterm Strich jede echte Einsparung zunichte. Und in riesigen Ländern wie China, Indien oder Brasilien hat das Gros der Menschen mit diesem energieintensiven Hin und Her gerade erst begonnen.

Eine Energiewende, wie sie mittlerweile von allen Parteien in Deutschland beschworen wird, ist mit Blick auf das Erdöl weit und breit nicht zu sehen. Vielleicht braucht es dazu tatsächlich erst den großen Donnerschlag, den lähmenden Schock am globalen Ölmarkt. Man kann nur hoffen, dass es so nicht kommen muss.