Das Öl wird teurer. 150 Dollar je Barrel halten Experten mittelfristig für realistisch. Die Versorgung in Deutschland ist gesichert.
Hamburg. Die blutige Eskalation in Libyen hinterlässt zunehmend Spuren in der weltweiten Wirtschaft. Internationale Konzerne wie BASF oder RWE DEA ziehen ihre Mitarbeiter aus der nordafrikanischen Region ab. Der Rohölpreis steigt deutlich, an den Aktienmärkten fallen die Kurse, während sich Edelmetalle wie Gold und Silber verteuern. Unter Anlegern grassiert große Unsicherheit über die weitere Entwicklung in dem Ölstaat, dessen Lage zunehmend außer Kontrolle gerät. Im Fokus steht dabei vor allem das Lebenselixier der Ökonomie: das Öl.
Nachdem die Revolutionäre in Tunesien und Ägypten ihre Regierenden erfolgreich aus den Ämtern vertrieben haben, scheinen auch die Tage des Diktators Muammar al-Gaddafi gezählt. Die Märkte reagieren auf die aktuellen Vorfälle jedoch deutlich heftiger als in den Wochen zuvor, weil mit Libyen erstmals ein größerer Ölproduzent und Mitglied der Erdölexportierenden Staaten (Opec) betroffen ist.
So verteuerte sich US-Leichtöl der Sorte WTI gestern drastisch um 9,6 Prozent auf 94,49 Dollar je Fass (159 Liter) - und damit auf den höchsten Stand seit Oktober 2008. Nordseeöl der Sorte Brent kletterte um 2,3 Prozent auf 108,18 Dollar und liegt 13 Prozent über dem Wert zu Jahresbeginn. Grundsätzlich sehen Ölexperten die weltweite Versorgung jedoch nicht in Gefahr. "Libyen produziert 1,6 Millionen Barrel pro Tag und ist damit der drittgrößte Ölproduzent in Afrika. Dies ist gemessen an der weltweiten Ölnachfrage pro Tag von 89 Millionen Barrel mit rund zwei Prozent vergleichsweise wenig", sagt der Rohstoffexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Leon Leschus. Die Ölversorgung wäre selbst bei einem Totalausfall der libyschen Förderung nicht in Gefahr, da die Opec-Länder ungenutzte Förderkapazitäten von fünf bis sechs Millionen Barrel pro Tag vorhalte.
Gleichzeitig gehe aber am Markt die Angst um, "dass die Unruhen auf Länder wie Algerien oder Kuwait überspringen und auch dort die Förderung unterbrochen werden könnte", meint der Rohstoffanalyst der Commerzbank, Carsten Fritsch. "Sollten sich die Unruhen auch auf Saudi-Arabien ausbreiten oder auch im Iran die Ölförderung bedrohen, würde die Situation noch sehr viel kritischer", ist auch Hubertus Bardt, Energieexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) überzeugt.
Hier liege die größte Gefahr. "Wenn der Konflikt auf Saudi-Arabien übergreift, werden wir neue Höchststände bei den Rohölpreisen erleben, die deutlich über dem Niveau liegen werden, was wir bisher gesehen haben", prognostiziert der HWWI-Konjunkturchef Michael Bräuninger. "Unter einem hohen Ölpreis würde der Welthandel erheblich leiden. Er wird die Wachstumsraten weltweit bremsen." Das Königreich Saudi-Arabien verfügt über die weltweit größten Erdölreserven. Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Nobuo Tanaka, schließt bei anhaltenden Ölpreisen über 100 Dollar sogar eine neue Finanzkrise nicht aus.
Noch ist die Welt von einem solchen Szenario entfernt. "Weltweit ist derzeit genug Öl vorhanden. Wir haben keine Ölkrise, sondern eine Ölpreiskrise", so der Chefredakteur des Energie-Informations-Dienstes (EID), Rainer Wiek. "Die steigenden Rohölpreise werden allerdings auch die Verbraucherpreise für Benzin, Diesel und Heizöl verteuern." Auch der IW-Experte Bardt erwartet höhere Preise: "Einen Ölpreis von knapp 150 Dollar, wie er kurzzeitig im Jahr 2008 erreicht wurde, werden wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts häufiger sehen."
Speziell für Deutschland gibt es nach Ansicht der Rohstoffexperten derzeit aber keine akute Gefahr. Deutschland bezieht sein Rohöl aus 33 Ländern. Der größte Teil mit rund 70 Prozent kommt aus der Russischen Föderation, Großbritannien, Norwegen und Kasachstan. Fünftgrößter Lieferant ist Libyen mit sieben Prozent Anteil. "Für die deutsche Ölversorgung besteht keine direkte Gefahr durch die politischen Unruhen in Nahost und Nordafrika", sagt Karin Retzlaff, Sprecherin des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV). "Wenn Libyen ausfällt, gibt es kein Problem, die Lieferungen aus anderen Ländern zu ersetzen." Der saudische Ölminister Ali al-Naimi versicherte wiederum, dass die Opec mögliche Lieferengpässe am Markt beseitigen werde.
Der deutsche Handel mit Afrika befindet sich unterdessen mit nur rund zwei Prozent des Außenhandels auf vergleichsweise niedrigem Niveau. "Rund 40 Prozent des Handels mit dem Kontinent entfällt auf die nordafrikanischen Staaten, davon etwa ein Drittel auf Libyen", berichtet Michael Monnerjahn, Sprecher des Afrika-Vereins. Mittelfristig könnte sich eine Liberalisierung der Länder, die heute oft stark bürokratisch agieren, wirtschaftlich durchaus positiv auswirken. Für 2011 werde aber zunächst noch ein Rückschlag in den Wirtschaftsbeziehungen erwartet. Auch die Hamburger RWE DEA agiert mit Vorsicht. Das Öl- und Gasförderungsunternehmen hatte seine gut 130 internationalen Mitarbeiter frühzeitig und vorsorglich aus Ägypten und Libyen ausgeflogen. "Wir beobachten die Lage in den Ländern genau", sagt ein Sprecher. Erst wenn die Lage sicherer sei, kehrten die Beschäftigten zurück.