Krebserregendes Gift in Eiern, Geflügel- und Schweinefutter. Staatsanwaltschaft nimmt Uetersener Betrieb ins Visier. Was man jetzt wissen muss

Hamburg. Bei der Hamburger Verbraucherzentrale stehen die Telefone nicht mehr still: Tausende von Kunden sind verunsichert wegen der jüngsten Dioxin-Funde in Futtermitteln, Eiern und anderen Produkten. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Lebensmittelskandal.

Wie groß ist das Ausmaß des Skandals?

Das genaue Ausmaß ist derzeit noch nicht absehbar. Mehr als 1000 Bauernhöfe in mehreren Bundesländern sind gesperrt. Sie dürfen ihre Ware erst wieder verkaufen, wenn sie auf eigene Kosten in Labortests die Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachgewiesen haben. Erste Testergebnisse in Niedersachsen ergaben: Bei 15 von 18 untersuchten Höfen, die Eier produzieren, lag die Dioxin-Menge in den Eiern unterhalb der erlaubten Höchstgrenze. Das teilte das Agrarministerium mit. In einem Betrieb sei bei Eiern der Grenzwert überschritten, in zwei anderen Beständen seien kritische Werte ermittelt worden. Möglicherweise ist auch dioxinbelastetes Geflügelfleisch von Sachsen aus in den Handel gelangt. Anfang Dezember wurde in einem Zuchtbetrieb in Görlitz Geflügel geschlachtet, das vermutlich verseuchtes Futter gefressen hatte, wie das zuständige Landratsamt mitteilte. Über einen Betrieb in Hamburg wurde nach Abendblatt-Informationen zudem dioxinbelastetes Schweinefutter vertrieben.

Wie kam das Dioxin ins Futter?

Die Uetersener Futtermittelfirma Harles und Jentzsch orderte nach Angaben des Kieler Umweltministeriums über einen holländischen Händler 25 Tonnen Mischfettsäure aus einer Biodieselanlage der Petrotec AG in Emden. Petrotec versichert, dass die Sendung als Industriefett deklariert war. Gleichwohl wurde die Fettsäure in einer Mischanlage der Uetersener Firma in Bösel (Landkreis Cloppenburg) Mitte November mit anderen Komponenten zu offenbar 527 Tonnen Mischfett verarbeitet. Das Fett wurde an neun Hersteller von Futtermitteln in Niedersachsen, Hamburg und Sachsen-Anhalt verkauft. Sie stellten aus dem belasteten Fett Tierfutter her und lieferten es an Geflügel- und Schweinebetriebe.

Wen hat die Justiz im Visier?

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe leitete gestern ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter von Harles und Jentzsch ein. "Wir haben konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat", so Oberstaatsanwalt Ralph Döpper. Die Polizei suchte in Uetersen gestern nach Beweismitteln. Der Verdacht: Die Verarbeitung des Dioxin-Fetts in Bösel könnte keine Panne gewesen sein, sondern System haben. In Niedersachsen kümmert sich die Staatsanwaltschaft Oldenburg um den Betrieb in Bösel. Ein Vorermittlungsverfahren laufe, so Oberstaatsanwalt Rainer du Mesnil.

Kam der Dioxin-Alarm zu spät?

Das dioxinbelastete Mischfett wurde nach Angaben des niedersächsischen Agrarministeriums am 11. November in Bösel produziert und danach an Futtermittelfirmen geliefert. Am 23. Dezember schlug ein Hersteller in Niedersachsen Alarm, weil in seinem Legehennenfutter die Dioxin-Grenzwerte überschritten waren. Am selben Tag informierte die Uetersener Firma Harles und Jentzsch das Landeslabor des Kieler Umweltministeriums telefonisch über die Beimischung einer dioxinbelasteten Fettsäure. Nach Weihnachten, am 27. Dezember, gab das Ministerium eine Schnellwarnung an andere Bundesländer weiter. "Wir haben die nötigen schriftlichen Informationen aus Uetersen erst am 27. Dezember erhalten", so Ministeriumssprecher Gerald Finck. "Die Versäumnisse liegen in Uetersen." Die Grünen im Kieler Landtag warfen dem Ministerium vor, nicht sofort gehandelt zu haben, und wollen im Agrarausschuss des Parlaments in der nächsten Woche nachhaken.

Wie gefährlich sind Dioxine?

Die Substanzen gelten als krebserregend. Sie können akut, etwa bei einem Industrieunfall wie im Jahr 1976 im italienischen Seveso, starke Hautausschläge (Chlorakne) hervorrufen. Doch diese Wirkungen sind nur zu befürchten, wenn Menschen sehr hohen Dosen des Gifts ausgesetzt waren. Eine indirekte Wirkung gibt den Toxikologen allerdings zu denken: Dioxine können schon in sehr geringen Mengen den Stoffwechsel von Zellen beeinflussen. Dies könnte, so der Verdacht, dazu führen, dass die Schadstoffgruppe die krebserregenden Wirkungen vom Rauchen oder von Russpartikeln verstärkt.

Lassen sich belastete Eier erkennen?

Nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg lassen sich möglicherweise belastete Eier am Erzeugercode erkennen. Bei Eiern mit den Codes 2-DE-0350121 und 2-DE-0350372 liege der Dioxinwert über dem zugelassenen Grenzwert, sagte Ernährungsexpertin Silke Schwartau. Die Expertin verwies dabei auf Erkenntnisse des Vereins für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT) aus Bonn. Die Eier stammen nach dessen Angaben von zwei Betrieben in Niedersachsen. Allerdings dürfte es noch weitaus mehr betroffene Betriebe geben. Schwartau forderte die Behörden daher auf, alle entsprechenden Codes zu veröffentlichen.

Soll man jetzt noch Eier essen?

Die Verbraucherzentrale Hamburg rät davon ab, Eier zu verzehren, bis alle betroffenen Betriebe und Chargen bekannt sind. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass vor allem Kinder aufgrund der jüngsten Dioxin-Funde derzeit nicht zu viele Eier essen sollten. Bei Kindern sei wegen ihres geringeren Körpergewichts die kritische Aufnahmemenge für die Gifte schneller erreicht als bei Erwachsenen. Daher seien tägliche Eiergerichte für die Jüngsten nicht zu empfehlen.

Ein gesunder Erwachsener dürfe aber wie gewohnt Eiergerichte essen. Auch der tägliche Verzehr eines Eis bleibe ungefährlich. Eine weitgehende Entwarnung gibt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung. "Wir gehen nicht davon aus, dass eine akute Gesundheitsgefahr für die Verbraucher durch dioxinbelastete Lebensmittel besteht", sagte Sprecherin Miriam Ewald dem Abendblatt. Wer nur über kurze Zeit entsprechend belastete Lebensmittel verzehre, müsse keine Sorge haben, zu erkranken. Die Sprecherin warnte aber, dass sich Dioxine über längere Zeit im Fettgewebe des Körpers ansammeln. Nach Institutsangaben lag die höchste bislang gefundene Belastung in einem Ei bei zwölf Piktogramm pro Gramm Fett, was einer vierfachen Überschreitung des zulässigen Grenzwerts von drei Piktogramm entspricht.

Sind Bioeier eine Alternative?

Nach Erkenntnissen der Verbraucherzentrale Hamburg sind Bioeier bislang nicht von dem Dioxin-Skandal betroffen. Der Einsatz von Fertigfutter aus Mischfettsäuren ist auf Biohöfen nicht erlaubt.

Fehlt es an notwendigen Kontrollen?

Laut der Verbraucherorganisation Foodwatch müssen Hersteller bislang nicht standardmäßig nachweisen, dass die Zutaten für Futtermittel unbelastet sind. "Das ist eine eklatante Gesetzeslücke, die schnellstens geschlossen werden sollte", sagte Sprecherin Anne Markwardt. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will mit den Ländern prüfen, ob die Zulassungsbedingungen für Rohstofflieferanten verschärft werden. "Es stellt sich die Frage, ob es nicht ein zu hohes Risiko darstellt, wenn Betriebe, die Bestandteile für Futtermittel liefern, gleichzeitig technische Produkte vertreiben, die unter keinen Umständen in Lebensmittel oder Futtermittel gelangen dürfen", sagte sie der "Berliner Zeitung".