Lebensmittelskandale schärfen das Bewusstsein für gutes Essen.

In Europa ist das Gerücht weit verbreitet: Die Deutschen, so heißt es, geben am meisten Geld für ihre Kücheneinrichtung aus, aber am wenigsten für ihr Essen. Zwar lässt sich dieser Vergleich nicht zweifelsfrei belegen. Fakt aber ist: Die Deutschen geben mit 14,4 Prozent des Einkommens deutlich weniger für Nahrungsmittel aus als die Nachbarn. Überhaupt ist die gesamte Lebensmittelbranche ein Markt der Seltsamkeiten, Inkonsequenzen und Lebenslügen. Zwei von drei Deutschen geben in Umfragen an, dass eine gute Ernährung eine große Rolle in ihrem Leben spielt, zugleich sagt aber fast jeder zweite Berufstätige, er könne sich nur am Wochenende gesund ernähren. Hierzulande wundert sich niemand mehr darüber, dass in Supermärkten Milch billiger ist als Coca-Cola oder ein Hühnerei viel weniger kostet als ein Ei aus Schokolade. Und kaum einer stellt infrage, dass die Deutschen zwar die strengsten Gesetze gegen Käfighaltung von Hühnern im eigenen Land fordern, dann aber Billigeier aus osteuropäischen Legebatterien kaufen. Wir haben uns von unserer Ernährung entfremdet.

Was das alles mit Dioxin im Tierfutter zu tun hat, dem aufziehenden neuen Lebensmittelskandal? Leider mehr, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Natürlich haben die am Dioxin-Skandal beteiligten Firmen im besten Fall unglaublich leichtfertig, mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar kriminell gehandelt. Aber der Skandal spielt eben nicht auf einem anderen Planeten, sondern direkt vor der Haustür. Er spielt in einem Land, in dem fast zwei Drittel der Bevölkerung den Preis eines Lebensmittels für das entscheidende Kaufargument halten. Wo jeder Cent über Marktanteile entscheidet, muss auch bei der Produktion jeder Cent gespart werden. Dumpingpreise verlangen Dumpinglöhne und Dumpingstandards. Dummerweise bleiben in diesem Teufelskreis meist die kleinen, naturnahen Erzeuger auf der Strecke.

Und doch gilt auch im aktuellen Skandal Hölderlins Wort: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Dioxin im Ei, Antibiotika im Fleisch, geklebter Schinken oder Lachsersatz - all das sind Zutaten für eine andere Esskultur. Jeder Lebensmittelskandal schärft das Bewusstsein der Verbraucher und steigert die Wertschätzung für nachhaltige Landwirtschaft. Schon jetzt erleben Hof- und Wochenmärkte einen Boom, Naturkost und Gemüseabos liegen im Trend. Das alles wird den nächsten Lebensmittelskandal zwar nicht verhindern, aber seine Auswirkungen lindern können.