Der Boom der Zeitarbeit hat seinen Preis: Der Aufschwung wird zum Großteil mit Aushilfen organisiert, die zuvor ihren Job verloren hatten.

Frankfurt/Main. Sie bauen Autos, pflegen die Alten und arbeiten in Einkaufsmärkten: In Deutschland gibt es im aktuellen Aufschwung schon fast wieder so viele Leiharbeiter wie vor der Krise. Weit mehr als 700.000 Menschen werden von speziell dafür gegründeten Unternehmen beschäftigt und an andere Firmen ausgeliehen. Der alte Rekordstand aus dem Sommer 2008 (823.000) ist zumindest nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schon wieder erreicht.

Doch statt eitel Sonnenschein herrscht in der Branche Alarmstimmung: Die Gewerkschaften verlangen schärfere Regulierungen und selbst FDP-Politiker haben die ungleiche Bezahlung von Leih- und Stammarbeitern als Thema entdeckt. Insider machen auf schmutzige Tricks aufmerksam und verlangen wirksame Gesetze gegen schwarze und graue Schafe.

Marcus Schulz von der niederländischen USG People Group – zuletzt die Nummer sechs auf dem deutschen Markt – hat im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ schwere Vorwürfe gegen die Konkurrenz erhoben: „Immer noch werden Mitarbeiter vorsätzlich falsch eingruppiert, systematisch wird mit Krankenstand und Urlaubsansprüchen getrickst, um einsatzfreie Zeiten zu unterlaufen, die die Unternehmen eigentlich bezahlen müssten, oder um geringfügig Beschäftigte länger einzusetzen als erlaubt.“ Die Bundesagentur für Arbeit hat zuletzt den Kontrolldruck erhöht und 25 neue Prüfer eingestellt. Die Zahl der verhängten Bußgelder stieg von 2007 auf 2008 sprunghaft auf etwa das Vierfache des vorherigen Wertes.

Die Zeitarbeiter – so sieht es nicht nur die OECD – haben in Deutschland unter der Krise deutlich mehr gelitten als die Stammbelegschaften. Sie wurden zuerst nach Hause geschickt und sie sollen jetzt wieder helfen, die Nachfrage aus dem Ausland zu bedienen. „Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die Zeitarbeit ihre Kernfunktion erfüllt, nämlich die Betriebe in Aufschwungsphasen schnell mit qualifizierten Fachkräften zu versorgen. Sie ist eine tragende Säule des Aufschwungs auf dem Arbeitsmarkt und hat seit Ende der Krise 240.000 vollwertige neue Jobs geschaffen“, sagt Michael Wehran, Sprecher des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA).

Dass gleiche Arbeit gleich bezahlt werden sollte steht schon im Gesetz, das aber auch Abweichungen nach unten zulässt, sofern Tarifverträge vorliegen. Die Ausnahme sei längst zur Regel geworden, befand in der Sommerpause der sozialpolitische Sprecher der FDP- Bundestagsfraktion, Heinrich Kolb und verlangte 'Equal Pay' zumindest nach einer Einarbeitungszeit. Der Vorschlag ziele in die richtige Richtung und werde in die aktuelle Arbeit an gesetzlichen Verbesserungen für Zeitarbeit einbezogen, lobte prompt eine Sprecherin von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Schlupflöcher für Missbrauch und Lohndumping müssten gestopft werden.

Die IG Metall trägt als mächtigste DGB-Gewerkschaft die abgeschlossenen Tarifverträge für Zeitarbeit zwar mit, will sie aber gleichzeitig über die entleihenden Unternehmen aushebeln. In der Zeitarbeitsbranche mit rund 23000 Unternehmen sei wirksamer Gegendruck nicht zu organisieren, meint IG-Metall-Vize Detlef Wetzel. Mit dem Tarifvertrag habe man nur einen Untergrenze eingezogen und die Grundlage für einen Mindestlohn geschaffen. Zudem habe man schon mehr als 500 Metallbetriebe dazu gebracht, Leiharbeiter über dem Zeitarbeitstarif zu bezahlen.

Für den Herbst hat die IG Metall vielfältige Aktionen in Betrieben und Öffentlichkeit angekündigt. Die Gewerkschaft rechnet nach einer von ihr selbst in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage auf breite Unterstützung in der Bevölkerung. Danach meinen 85 Prozent, dass Leiharbeit Lohndumping fördere und 78 Prozent fürchten, dass Leiharbeit reguläre Arbeitsplätze verdrängt.

Der Fall der Drogeriekette Schlecker , die ihre Angestellten in schlechtere Jobs bei einer eigenen Zeitarbeitstochter drängen wollte, ist vielen noch in Erinnerung. Angesichts solcher Stimmungen müssen sich Unternehmen wie zuletzt der Möbelriese Ikea öffentlich rechtfertigen, wenn sie im nennenswerten Umfang Zeitarbeiter beschäftigen, die unter Umständen ihre kargen Löhne auch noch mit Hartz IV aufstocken. Im deutschen Ikea-Hauptquartier bei Wiesbaden verweist man auf die Betriebsvereinbarungen mit Verdi zum Thema.

Die Verleiherbranche selbst sieht die Forderung nach Gleichbezahlung inzwischen differenziert: „Mittelfristig könnte das Modell ein Beitrag sein, der die gesellschaftliche Akzeptanz der Arbeitnehmerüberlassung als eines wichtigen arbeitsmarktpolitischen Instruments verbessert“, lautet zum Beispiel das offizielle Statement des drittgrößten Anbieters „Manpower“, der besonders viele gut bezahlte Spezialisten anzubieten hat.

Die gegenteilige Position hält der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) aufrecht: „Equal Pay kann in Deutschland nicht funktionieren. Die gleiche Bezahlung von gar nicht vergleichbaren Arbeitskräften würde die Zeitarbeit so weit verteuern, dass die Produktion vieler Güter in Deutschland nicht mehr zu konkurrenzfähigen Kosten möglich wäre“, sagt BZA-Sprecher Wehran.