Deutschlands zweitgrößtes Unternehmen hat die Gewinnprognose auf 5,2 bis 5,4 Milliarden Euro gesenkt. Probleme bereiten Windparks und NSN.
München. „Es gab klare Fehler bei uns im Hause,“ begründet Siemens-Vorstandschef Peter Löscher unter anderem den verhagelten Jahresgewinn des zweitgrößten deutschen Unternehmens. Siemens senkte am Mittwoch die Gewinnprognose für das laufende Jahr von 6,0 Milliarden auf 5,2 bis 5,4 Milliarden Euro. Die Siemens AG musste enorme Verluste in den ersten beiden Quartalen hinnehmen. Beonders Probleme bei der Anbindung von Windparks ans deutsche Stromnetz ließen den Gewinn aus den sogenannten fortgeführten Aktivitäten im zweiten Geschäftsquartal 2011/2012 um zwei Drittel auf nur noch 1,053 Milliarden Euro einbrechen - trotz höherer Umsätze. Bereits im ersten Quartal des Geschäftsjahres war das Ergebnis um 17 Prozent auf 1,46 Milliarden Euro gesunken. „Komplett unterschätzt haben wir die Komplexität dieser Projekte“, sagte Löscher in München. Zuversichtliche Einschätzungen von Analysten zu den Siemens-Geschäftsperspektiven haben der Aktie am Mittwoch jedoch auf die Sprünge geholfen.
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„Das zweite Quartal war wie erwartet nicht einfach“, sagte der Vorstandsvorsitzende. Überraschend stark ging im zweiten Quartal die Nachfrage zurück. Vor allem ein schwächeres Geschäft mit Großprojekten habe dafür gesorgt, dass der Auftragseingang im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent auf 17,9 Milliarden Euro sank. Nur dank des guten Auftragsbestands sei der Umsatz um neun Prozent auf 19,3 Milliarden Euro gestiegen. Im Industriegeschäft und in der Medizintechnik lief es für Siemens im Großen und Ganzen rund. Aber „das Quartalsergebnis lag wegen erneuter Belastungen bei der Energieübertragungsprojekten in Deutschland unter unseren Erwartungen“, sagte Löscher. Trotzdem zeigte sich Löscher optimistisch: „Für das Gesamtjahr 2012 sind wir bei Auftragseingang und Umsatz auf Kurs, unsere Ziele zu erreichen“, sagte er – das heißt, den Umsatz moderat zu steigern und beim Auftragseingang den Umsatz zu übertreffen.
Bei der Anbindung großer Windparks vor Helgoland und Borkum ans deutsche Stromnetz liegt Europas größter Elektrokonzern ein Jahr hinter dem Zeitplan zurück. Deshalb muss Siemens Vertragsstrafen an den Netzbetreiber zahlen und außerdem zusätzliches Personal einstellen, um den Rückstand nicht noch größer werden zu lassen. Die Probleme hatten Siemens schon im ersten Quartal seines im Oktober beginnenden Geschäftsjahres 203 Millionen Euro gekostet, jetzt kamen weitere 278 Millionen dazu. Und Löscher erwartet noch mehr. Die bisherige Gewinnprognose müsse hauptsächlich deswegen um 600 bis 800 Millionen Euro nach Steuern gesenkt werden, sagte der Konzernchef. „Das ist eine sehr bittere Lehre.“ Die Probleme würden aber konsequent abgearbeitet.
Die Anlagen in der deutschen Nordsee seien viel größer, viel weiter von der Küste entfernt und technisch viel komplizierter als zum Beispiel die Windparks vor Großbritannien, erklärte Löscher. Über die beiden Siemens-Plattformen Borwin 2 und Helwin 1 hätten ab nächstem Jahr fast drei Millionen Haushalte in Deutschland mit grünem Strom versorgt werden sollen – aber das Projekt ist inzwischen ein Jahr verspätet. Löscher ließ den verantwortlichen Manager Udo Niehage jetzt absetzen, die Sparte wird umgebaut: „Wir haben die Konsequenzen gezogen.“
Noch stärker belastete die Dauerbaustelle Nokia Siemens Networks (NSN) den Konzern: Die Sanierung der Telefonnetz-Tochter und der Abbau von weltweit 17.000 Stellen kostete Siemens im zweiten Quartal 640 Millionen Euro. Diese Größenordnung war allerdings schon lange angekündigt und in der alten Gewinnprognose bereits berücksichtigt gewesen.Finanzvorstand Joe Kaeser rechnet aber mit einer Belebung im zweiten Halbjahr.
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Siemens stellt wegen des harten Konkurrenzkampfs zudem Einschnitte in seiner Stromübertragungssparte in Aussicht. „Durch aggressive Wettbewerber aus Asien steht der Markt inzwischen unter hohem Preisdruck. Um unsere starke Position in diesem Geschäft für die Zukunft abzusichern, werden wir konsequent und zügig durchgreifen, wo wir strukturelle Herausforderungen sehen“, sagte Löscher. Vor allem südkoreanische Rivalen wie Hyundai Heavy Industries machen Siemens zu schaffen. Seinen Optimismus vom Geschäftsjahresbeginn, wonach der Weltkonjunktur ab dem Sommer eine Belebung bevorsteht, hat er außerdem weitgehend verloren. „Unser weltwirtschaftliches Umfeld ist weiterhin gedämpft“, sagte Löscher.
Mit einem Plus von zwei Prozent auf 71,21 Euro gehörte die Siemens-Aktie heute dennoch sie zu den größten Dax-Gewinnern. „Im Schatten der Wachstumsschwierigkeiten im Gesundheitsbereich, dem Margen-Druck im Energiesegment und den generellen Schwierigkeiten des Sektors ist Siemens zu einer attraktiv bewerteten Aktie mit geringen Erwartungen geworden“, schrieb die Commerzbank. Viele Investoren hätten lange Zeit zu hohe Erwartungen gehabt, inzwischen habe sich die Siemens-Aktie aber deutlich schlechter als der Sektor entwickelt und werde eher zu pessimistisch gesehen. Immerhin generiere der Konzern einen ordentlichen Cash Flow und sei auch aus Dividendensicht attraktiv. Seit Mitte März hat die Siemens-Aktie 12,5 Prozent oder rund zehn Euro an Wert verloren. Die Commerzbank stufte ihre Anlageempfehlung hoch auf „Kaufen“. Auch die WestLB erhöhte ihre Bewertung auf „Add“ von „Neutral“.
Mit Material von dpa/dapd/rtr