Auch ohne Fusionspartner ist die Deutsche Börse stark genug. In Frankfurt stellt man sich auf einen langen Weg zu mehr Wachstum ein.

Frankfurt/Main. Reto Francioni will das Fusionsdesaster schnell abhaken. „Wir haben das abgeschrieben, wir sind bereit zu neuen Taten“, sagt der Chef der Deutschen Börse und zaubert – nur zwei Wochen nach dem Nein aus Brüssel – einen Plan B aus der Tasche. Dass das wichtigste Projekt seiner Amtszeit, die Schaffung der weltgrößten Börse mit der New Yorker NYSE Euronext, scheiterte, lastet er allein den Wettbewerbshütern an: „Wir haben keine Fehler gemacht, wir sind erst von Brüssel gestoppt worden.“ Mit alter Führungsmannschaft will der Konzern zu neuen Ufern aufbrechen. Dass der Weg steiniger wird, nimmt das Management wohl oder übel in Kauf. Kleine Schritte statt große Sprünge sagen Analysten voraus.

+++ EU-Wettbewerbshüter haben weiterhin Bedenken +++
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Die Probleme bleiben überwiegend dieselben wie vor einem Jahr, als die Börsen von Frankfurt und New York mit großer Euphorie ihre Pläne für den Zusammenschluss vorstellten: Preisdruck und zunehmender Wettbewerb durch alternative Handelsplattformen wie Chi-X machen dem Frankfurter Marktbetreiber das Geschäft schwer. Zudem schläft die Konkurrenz in Asien nicht. „Neue, früher nie gehörte Börsen sind plötzlich in der weltweiten Spitzengruppe“, erklärt Francioni. „Die Wachstumsmärkte wie Asien und Südamerika haben sich hinsichtlich des Börsenwerts ganz klar an die Spitze der Vergleichsgruppe geschoben.“

Francioni will sich daher starke Partner in Asien suchen – auch ohne Fusion. Doch das dürfte ebenfalls nicht einfach sein, wie Analyst Johannes Thormann von der HSBC zu bedenken gibt. Asiatische Märkte seien „weit mehr geschützt durch lokale Regierungen und Regulierungsbehörden“, sagt Thormann.

Die Welle neuer Regeln für die Finanzmärkte, darunter die mögliche Einführung einer Finanztransaktionssteuer, bergen zusätzliche Risiken für Umsatz und Ergebnis der Deutschen Börse, die aus einer Hand Handel, Abwicklung (Clearing) und Verrechnung von Wertpapiergeschäften sowie die Verwahrung von Wertpapieren anbietet.

Nach Einschätzung von Barclays-Analyst Daniel Garrod würde eine Finanztransaktionssteuer den Hochfrequenzhandel hart treffen, der einen wachsenden Anteil am Geschäft der Deutschen Börse ausmacht. Dieser computerbetriebene Handel mit Wertpapieren zeichnet sich durch sehr kurze Haltefristen und hohe Umsätze aus. Zudem dürfte ein offener Zugang zu Clearinghäusern in Europa – wie ihn die EU fordert - das Geschäftsmodell der Frankfurter belasten.

Allerdings sehen Experten auch Chancen durch die künftigen Regulierungen, insbesondere wenn ab 2013 die Verordnung zur europäischen Marktinfrastruktur (EMIR) in Kraft tritt. Diese schreibt die Pflicht zur Abwicklung außerbörslich gehandelter, standardisierter Derivate (OTC) an regulierten Plätzen wie Börsen fest. Derivate sind von Aktien, Zinssätzen, Währungen oder anderen Vermögenswerten abgeleitete Finanzprodukte, die unter anderem der Absicherung und dem Risikomanagement dienen. So rechnet UBS-Börsenexperte Arnaud Giblat mit einem Wachstumspotenzial für das Ergebnis von fünf Prozent, sollte die Deutsche Börse etwa ein Angebot für die Abwicklung von Zinsswaps bekanntgeben: „Das könnte sich sogar verdoppeln, wenn auch der Handel und Nachhandelsdienstleistungen berücksichtigt werden.“

Analyst Dirk Becker von Kepler sieht ebenfalls Chancen, da durch EU-Regulierungen enormes Handelsvolumen aus dem außerbörslichen Derivatehandel von Banken auf regulierte Handelsplätze überführt werden müsse: „Wenn sich die Börse ins Zeug legt und die regulatorischen Änderungen für sich nutzt, dann erschließen sich da sehr gute Wachstumsmöglichkeiten.“ Das Nominalvolumen der Derivate weltweit liege bei insgesamt rund 700 Billionen US-Dollar. Börsenchef Francioni jedenfalls zeigte sich kämpferisch. Seinen Vertrag bis Herbst 2013 will er erfüllen und „dieses großartige Unternehmen“ auch ohne Fusionspartner weiter voranbringen: „Mit dem Merger hätten wir jetzt eine ganz andere Ausgangslage. Wir können es aber auch ohne Merger. Wir haben immer gesagt: Wir machen den Merger, weil wir es wollen, nicht weil wir es müssen.“