Griechenland, Portugal – und als nächstes Spanien? Das einstige Boomland befindet sich seit Monaten auf Talfahrt, das Haushaltsdefizit wächst.

Hamburg. Es war noch dunkel, als Admiral Pascual Cervera seiner Flotte den Befehl zum Ablegen aus dem Hafen von Santiago de Cuba gab. Langsam tasteten sich die Schiffe an der Küste entlang. Doch bald entdeckte die Besatzung der lauernden "USS Brooklyn" die spanische Flotte und feuerte. Die Seeschlacht vor Santiago am 3. Juli 1898 besiegelte das Ende des spanischen Weltreichs. Überlebt hat der Stolz der Spanier und ein Sprichwort aus jener Zeit: "Más se perdió en Cuba", mehr hat man in Kuba verloren, sagt der Spanier, wenn ihn das Schicksal wieder erwischt. Zurzeit hört man das oft in Spanien.

"Ein ganzes Jahr geht es schon bergab", sagt José Galindo, Architekt aus Madrid und Opfer der kollabierten Bauwirtschaft. "Aber das heißt ja auch: Es dauert jetzt ein Jahr weniger, bis es wieder bergauf geht." Die Regierung dürfte es nicht so lässig nehmen.

Am Donnerstag kommender Woche muss Regierungschef José Luis Zapatero seinen ersten EU-Gipfel als Ratspräsident leiten. Kein EU-Land hat mit so großer Zustimmung den jahrelang umstrittenen Vertrag von Lissabon getragen. Es hätte eine wunderbare Präsidentschaft werden können. Aber seit dem ersten Tag des EU-Vorsitzes hagelt es Kritik. Die großen Finanzblätter vom "Economist" bis zum "Wall Street Journal" ziehen über den Spanier her, der die EU mit vagen Konzepten einer "europäischen Wirtschaftsregierung" retten will. Am Montag folgte die nächste Hiobsbotschaft: Barack Obama kommt nicht zum EU-USA-Gipfel im Mai. Er müsse sich auf seine Arbeit zu Hause konzentrieren, heißt es. So entgeht Zapatero der Fototermin. Am Dienstag überschritt die Arbeitslosenquote erstmals die Marke von vier Millionen. Fast zwanzig Prozent der Spanier haben keinen Job. Und es geht, so die Prognose aller Wirtschaftsexperten (nur nicht der Regierung), weiter bergab.

Alvaro del Castañar ist einer von 4.048.493. Noch für einen Monat bekommt er 1300 Euro Arbeitslosengeld. Ab März hat der 36-Jährige, der in Madrid und Birmingham Wirtschaft und Marketing studiert hat, nur noch 426 Euro. Seine Söhne sind vier und eineinhalb Jahre alt. "Wenn ich nichts finde, mache ich mich selbstständig, ich habe Kontakte, es geht schon irgendwie." Die Spanier, sagt er, hätten viele Tiefen und Höhen erlebt, nur nicht die Sicherheit, dass alles bleibt, wie es ist. ",Genieß die gute Zeit bis zum Anschlag, morgen schon kann alles anders sein.' So denken wir."

Die jüngste Umfrage des staatlichen Meinungsinstituts Cis zeigt, dass die Lage schlecht, die Laune aber schon etwas besser ist. Im Dezember 2008 waren 26 Prozent direkt oder indirekt von Arbeitslosigkeit betroffen, jetzt sind es 39 Prozent. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben stieg hingegen um einen ganzen Prozentpunkt. "Wir haben uns in einer Generation vom Mittelalter bis zum Hochgeschwindigkeitszug entwickelt", sagt der Soziologe Fernando Vallespín. "Aber wir haben nie geglaubt, dass es immer nur weiter nach oben geht." Spanien und Europa, das war ein spätes Glück. Als Spanien 1986 beitrat, war es ein rückständiges Agrarland. Mit den Brüsseler Milliarden machten die Iberer daraus in Schallgeschwindigkeit einen funktionierenden Wirtschaftsraum. 1996 kam die Regierung von José María Aznar, die durch ihre brutal flexiblen Arbeitsmarktregeln das Land zur Jobmaschine Nummer eins in Europa machte. Brüsseler Kommissare gerieten regelmäßig in Verzückung, wenn Madrid wieder einmal als Klassenbester den Stabilitätspakt erfüllte. Kaum zwei Jahre ist es her, da herrschte in Spanien fast Vollbeschäftigung. Zapatero, dem es an Selbstbewusstsein noch nie mangelte, ließ lautstark ganz Europa wissen, dass man Italien bereits überholt habe und Frankreich dicht auf den Fersen sei.

Doch dem Boom fehlte das Fundament. 800.000 Wohnungen bauten die Spanier im Spitzenjahr 2007. In Deutschland waren es da kaum 185.000. Die Immobilienblase wuchs. Obwohl von der Kellnerin bis zum Studienrat alle wussten, dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte, wollten alle auf der Welle mitschwimmen. Es war ja so einfach, auch auf dem Arbeitsmarkt. Kaum ein OECD-Land hat eine so hohe Zahl befristeter Verträge, nicht einmal die USA. Kündigungsschutz: Fehlanzeige. Es herrscht das Prinzip "Hire and fire". Und so riss im annum horribilis 2009 der Zusammenbruch der Baubranche 1,2 Millionen Jobs mit sich.

Da wurden die Spanier beinahe zu Schwaben: Niemals in 33 Jahren Demokratie war die Sparquote so hoch. Denn alle wussten, dass ihr Land nichts hat außer Bau und Tourismus. Aznar, Zapatero, alle hatten jahrelang versprochen, aus dem Mittelmeerland einen Hightech-Standort zu machen. Passiert ist nichts. Es gibt keine Substanz. Und während die Spanier für ihre persönliche Zukunft schon wieder einen kleinen Silberstreif sehen, war das Vertrauen in die Politiker, ob rechts oder links, niemals so am Boden wie jetzt. Zu besichtigen ist das vor der Moncloa, dem Amtssitz Zapateros. Dort kampieren seit Wochen in Schnee und Regen ein paar Demonstranten, um den Premier jeden Tag an die Misere von Hunderttausenden verschuldeten Wohnungskäufern zu erinnern.

Auch Madrids Straßen sind voll, nicht von wütenden Bürgern, sondern von Kunden. Die Leute kaufen, wenn auch vorsichtiger. Die Skilifte in den Pyrenäen sind freilich nach wie vor jedes Wochenende überfüllt.

Möglich macht das ein viereckiges Gesellschaftsmodell: Sozialhilfe, kurzfristige Jobs, Familie, Schattenwirtschaft. Auf die beiden Letzteren verlassen sich die Verlierer der Krise besonders. Irgendwer braucht immer jemanden, und sei es auf den Obstplantagen. Rund 23 Prozent des Bruttoinlandprodukts sollen in Spanien aus der Schattenwirtschaft kommen. Es klingt unglaublich, aber es war immer so. Und auch die Familie war immer da. Die Tante, die eine Finca hat, wenn die Hypothek nicht mehr gezahlt werden kann. Die Eltern, die zur Not was beisteuern.

Den Stolz der Spanier bricht das nicht. "Die Krise leugnet keiner. Aber wir sind deshalb nicht vom Pferd gefallen", sagt Diego López Garrido. Er muss es wissen, schließlich pendelt er gerade als Spaniens Staatssekretär für Europa nach Brüssel. Und da heißt es Bella Figura machen. Schlimmer als Kuba 1898 wird es schon nicht werden.

Quelle: Welt Online