Jakob von Uexküll (64) stiftete 1980 aus seinem Privatvermögen den Right Livelihood Award, der als “Alternativer Nobelpreis“ bekannt wurde. Uexküll,

Jakob von Uexküll (64) stiftete 1980 aus seinem Privatvermögen den Right Livelihood Award, der als "Alternativer Nobelpreis" bekannt wurde. Uexküll, geboren in Schweden und aufgewachsen in Hamburg, engagiert sich seit Jahrzehnten bei der Suche nach Konzepten für eine ökonomisch und ökologisch zukunftsfähige Wirtschaft. Er wurde selbst mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2007 gründete er den "Weltzukunftsrat" mit Sitz in Hamburg. Uexküll lebt heute überwiegend in London, einige Monate im Jahr auch in der Hansestadt.


Hamburger Abendblatt:

Herr von Uexküll, ist die Weltwirtschaftskrise auch eine Krise der Konsumgesellschaft?

Jakob von Uexküll:

Ja. Man hat uns vorgegaukelt, dass wir viel reicher seien, als wir es sind. Dann ist die Blase geplatzt. Wir haben auf Pump gelebt, übrigens vor allem auch auf Kosten der Natur. Ökonomische Zyklen kommen und gehen. Bei Geldschulden gibt es Gläubiger, die Bilanz kann man wieder ausgleichen. Die Schulden, die wir uns gegenüber der Natur aufgebürdet haben, bleiben über viele Generationen, wenn nicht ewig.



Abendblatt:

Was haben die Staaten in dieser Lage falsch gemacht?

Von Uexküll:

Seit einigen Generationen wird uns eingetrichtert, dass der Staat sich Geld leihen muss, anstatt es zu drucken. Es ist ein Trugschluss, dass es automatisch zur Inflation führt, wenn der Staat Geld druckt. Das geschieht nur, wenn die Kapazitäten in der Wirtschaft nicht genutzt werden. Wenn dem neuen Geld auch neue Produkte gegenüberstehen, wenn man mit deren Herstellung neue Arbeit schafft, muss das nicht zu Inflation führen. Die Frage ist doch, ob man unsere Wirtschaft nicht aktivieren könnte, indem man armen Menschen in wirtschaftlich schwächeren Ländern ein besseres Leben ermöglicht.



Abendblatt:

Ist der Wohlstand der Welt nicht in den vergangenen Jahren insgesamt gewachsen?

Von Uexküll:

Wohlstand und Reichtum haben in den vergangenen Jahren vor allem jene erlangt, die aus Geld noch mehr Geld gemacht haben. Dann kam der Rückschlag, und niemand hat vorausgesehen, welche Wucht er durch die Vernetzungen der globalisierten Welt entfalten würde.



Abendblatt:

Bietet die Wirtschaftskrise die Chance zum Umdenken?

Von Uexküll:

Möglich wäre das, es setzt aber voraus, dass sich Menschen politisch stärker engagieren. Das bisherige Wirtschaftssystem hat völlig an Glaubwürdigkeit verloren. Mich wundert, dass diejenigen, die für dieses System stehen, nach wie vor fast alle an der Macht sind.



Abendblatt:

Wie könnte eine moderne, zukunftsfähige Marktwirtschaft aussehen?

Von Uexküll:

Wir sehen anhand der Klimakrise, dass unsere Produktionsstrukturen, die auf einem immer weiter fortschreitenden Wachstum und dem Konsum von Ressourcen basieren, die Biosphäre zerstören. Es geht also darum, dass Produkte in biologische und technische Kreisläufe eingebunden sind, um sie zu einem möglichst hohen Grad wiederzuverwerten. Die Produktionssysteme müssen dafür völlig umgebaut werden. Das dauert natürlich einige Zeit. Aber je länger wir warten, umso länger wird es dauern. Gleichzeitig müssen wir die Wirtschaft mehr hin zu einer Dienstleistungswirtschaft entwickeln, zum Beispiel mit wesentlich besseren Angeboten in den sozialen Diensten. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft dient - nicht umgekehrt.



Abendblatt:

Wer soll diesen Umbau vorantreiben?

Von Uexküll:

Jedenfalls kann man ihn nicht den Leuten in die Hand geben, die die heutige Krise mit verursacht haben. Es gibt ja in den Sparkassen und Genossenschaftsbanken viele Finanzmanager, die mit anständigen Mitteln ordentliche Gewinne für ihre Anleger erwirtschaftet haben. Warum überträgt man nicht diesen Menschen mehr Verantwortung bei der Neuausrichtung des Bankensystems? In Großbritannien hat Premierminister Gordon Brown viele der früher exponierten Investmentbanker in den Umbau des Finanzwesens eingebunden. Das ist so abwegig, als hätten die Top-Kommunisten nach dem Fall der Mauer aus tiefer Überzeugung die Marktwirtschaft eingeführt.



Abendblatt:

Nach dem Ende der "New Economy" zu Beginn des Jahrzehnts ging bald alles wieder seinen gewohnten Gang. Sind Sie optimistisch, dass es diesmal anders ausgehen könnte?

Von Uexküll:

Das Platzen der New-Economy-Blase war eine virtuelle Krise, sie war vergleichsweise harmlos. Die heutige Krise wiegt sehr viel schwerer, und sie wird einige Jahre lang dauern. Die Glaubwürdigkeit unseres Wirtschaftssystems ist schwer beschädigt, der Vertrauensverlust immens. Wir müssen zusehen, dass wir nicht in einen Nationalismus zurückfallen. Wir sollten eine Wirtschaftsordnung aufbauen, die auf einem Erdbürgertum basiert, in der wir Verantwortung füreinander und für den Zustand der Erde übernehmen. Dafür sehe ich in dieser Krise eine große Chance. Ob wir sie nutzen, hängt am Ende von jedem von uns ab.