Verbraucherschützer decken neue Fälle von Missbrauch auf. Experten fordern Einsatz von Fahndern sowie schärfere Gesetze.

Berlin/Hamburg. Der Missbrauch von Kundendaten ist in Deutschland offenbar noch viel verbreiteter als bislang angenommen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, sprach gestern in Berlin von einem "illegalen Datenhandel in ungeheurem Ausmaß". Die schlimmsten Befürchtungen hätten sich als richtig erwiesen. Als Beleg präsentierte Billen zwei CDs und eine DVD mit Datensätzen von sechs Millionen Bundesbürgern, wobei von vier Millionen Menschen auch die Kontoverbindungen erfasst wurden. Im Auftrag der Verbraucherschützer hatte ein Rechercheur die Daten innerhalb von wenigen Stunden auf dem grauen Kapitalmarkt ausfindig gemacht und für 850 Euro erworben. Es sei "kein großer Akt" gewesen, an diese Daten heranzukommen, erklärte Billen. Sie stammten unter anderem von der Klassenlotterie, aber auch aus Handyverträgen sowie von karitativen Spendenorganisationen.

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Billen übergab die CDs und die DVD dem Berliner Datenschützer Alexander Dix, der Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft stellte. Der Testkauf habe bewiesen, dass der Datenskandal der vergangenen Woche nur "die Spitze des Eisbergs" sei, so Billen. Ein Informant hatte der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein zunächst anonym eine CD mit 17 000 Daten zugeschickt. Diese Daten aus einem Callcenter waren von einer Firma in Nordrhein-Westfalen weiterverkauft worden. Unterdessen erhielt das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) gestern nach eigenen Angaben erneut eine CD-Rom mit 130 000 Datensätzen von Verbrauchern. Bei etwa 70 000 davon gebe es auch Kontoangaben, die von zwei Lotteriegesellschaften stammten. Bereits am Freitag hatte die schleswig-holsteinische Verbraucherzentrale dem ULD eine CD-Rom mit etwa einer Million Datensätzen übergeben, die für Callcenter bestimmt gewesen seien.

Angesichts immer neuer derartiger Fälle forderten Verbraucher- und Datenschützer schärfere Gesetze. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, sagte Billen. "Datendiebstahl und Betrug müssen stärker bekämpft werden. Das ist bis jetzt ein Kavaliersdelikt." Die Bundesregierung müsse handeln. So müssten etwa Kunden ausdrücklich ihre Zustimmung zur Weitergabe von Daten geben, diese dürfe nicht versteckt vorausgesetzt werden. "Wir brauchen eine Reform des Kleingedruckten", verlangte Billen.

Gegenüber Forderungen, den Datenschutz explizit ins Grundgesetz zu schreiben, reagierte die Bundesregierung jedoch ablehnend. Dies hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar angeregt. Bundesjustizministerium und Innenministerium machten allerdings deutlich, dass der Datenschutz bereits jetzt aus dem Grundgesetz herausgelesen werden könne, etwa beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Konsequenzen aus den Missbrauchsfällen verlangte aber auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Bernd Carstensen. Er forderte den Einsatz von Datenfahndern entsprechend dem Modell der Steuerfahnder. Der Datenmissbrauch in der Wirtschaft sei eine gewaltige, neuartige Herausforderung, auf die der Rechtsstaat reagieren müsse: "Der Handel mit persönlichen Daten ist ein Milliardengeschäft, in dem es mafiöse Strukturen gibt."

Nach Auskunft des Chaos Computer Clubs sind in Deutschland 1300 Adresshändler registriert, bei denen Unternehmen Adressen und weitere personenbezogene Daten potenzieller Kunden kaufen können. Callcenter versuchten, Verbraucher anhand dieser Datensätze zu Geschäftsabschlüssen zu bewegen. Allerdings halte sich die weit überwiegende Zahl der Center an Recht und Gesetz, erklärte der Präsident des Branchenverbandes Call Center Forum Deutschland, Manfred Stockmann. Gesetzesverschärfungen wie etwa eine schriftliche Bestätigung von Telefonverträgen sei nicht nötig. Stockmann beklagte, dass in der aktuellen Diskussion Callcenter und Kriminelle in einen Topf geworfen würden.

Auch die Verbraucher selbst könnten aber etwas tun, um den Missbrauch einzudämmen, sagte Billen. Er appellierte an die Bundesbürger, vorsichtiger mit ihren Daten umzugehen. Die Devise müsse sein, "wen ich nicht kenne, der kriegt keine Daten".

Für ihren Umgang mit Daten geriet gestern auch die Krankenkasse DAK in die Kritik. Nach einem Bericht des ARD-Magazins "Report Mainz" hat die DAK im Rahmen eines Gesundheitsberatungsprogramms für chronisch Kranke 200 000 Datensätze mit vertraulichen Gesundheitsinformationen an die Privatfirma Healthways übertragen, die mittels eines Callcenters in der Nähe von Berlin im Auftrag der DAK Patienten berät. Laut Schaar gibt es für eine solche Datenweitergabe keine Rechtsgrundlage. Die DAK weist laut "Report" den Vorwurf der unautorisierten Weitergabe der Daten zurück.