Konkurrenz für Finkenwerder? Konzern versichert: Es wird keine Produktionsverlagerung von Europa nach Asien geben. Gewerkschaft fürchtet Know-how-Transfer.

Hamburg. Es klingt ein bisschen nach verkehrter Welt: Während der Flugzeugbauer Airbus in Europa unter der A380-Krise ächzt und rund 1000 Leiharbeiter vor die Tür setzt, jettet Konzernchef Louis Gallois nach China und bringt dort den Bau eines neuen Werks für die A320-Familie unter Dach und Fach. Das Endmontagewerk soll in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin bis 2009 entstehen und wird das dritte des europäischen Flugzeugbauers neben Toulouse und Hamburg. Vier Flugzeuge im Monat wird Airbus dort künftig zusammenbauen - aus Teilen, die unter anderem auf Finkenwerder und in Stade hergestellt werden und dann per Schiff nach Tianjin reisen.

Sieben Milliarden Euro soll das erste Airbus-Montagewerk außerhalb Europas nach Pekinger Berichten kosten. Dreieinhalb Milliarden Euro kämen damit auf Airbus zu, denn das Projekt ist als ein Joint Venture mit einem Konsortium namens China Aviation Supplies Import and Export Group Corporation (CASGC) angelegt. Airbus hält 51 Prozent an dem künftigen Gemeinschaftsunternehmen - die hauchdünne Mehrheit soll sicherstellen, dass die Europäer die Zügel in der Hand behalten.

Das chinesische Werk ist der Preis, den Airbus für einen gewaltigen Auftrag von chinesischer Seite zahlt. Gleich 150 Jets des Typs A320 ordert Peking. Das Geschäft ist laut Listenpreis fast zehn Milliarden Dollar schwer. Die Verhandlungen waren erst kurz vor der gestrigen Vertragsunterzeichnung zum Abschluss gekommen. Aus französischen Regierungskreisen verlautete, Frankreich habe den Bau des chinesischen Montagewerks von einer neuen Bestellung abhängig gemacht. "Es ist klar, dass der Bau von Flugzeugen in China die Chinesen mehr anspornt, sie zu kaufen", sagte Gallois.

Neben dem A320 wollen die Chinesen künftig auch das neue Langstreckenmodell von Airbus, den A350, ordern. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde gestern ebenfalls unterzeichnet. In Peking baut Airbus derzeit schon ein Entwicklungszentrum auf und eine Handvoll Ingenieure hat bereits mit Vorarbeiten am A350 begonnen. Dass auch der A350 künftig in China zusammengebaut werden könnte, wollte Airbus-Sprecher David Voskuhl gegenüber dem Abendblatt weder bestätigen noch dementieren.

Klar ist, dass China nicht nur für Airbus, sondern auch den Konkurrenten Boeing ein strategischer Markt mit riesigem Wachstumspotenzial darstellt. Bis 2020 braucht China 2600 neue Verkehrsjets. Und die Europäer wollen ihren Anteil an dem Riesenmarkt bis 2013 von 34 auf 50 Prozent steigern. 1995 hatte er erst bei sieben Prozent gelegen.

Airbus mühte sich gestern, die China-Initiative als Chance für die deutschen und französischen Werke darzustellen. "Es wird keine Verlagerung der Produktion von Europa nach Fernost geben", sagte Sprecher Voskuhl. "Die Flugzeuge, die in China gebaut werden, sind nur für den asiatischen Markt bestimmt." Arbeitsplätze in Hamburg und anderen Werken würden durch den neuen Großauftrag gesichert, weil die Teile für die Endmontage in Tianjin aus Europa zugeliefert würden.

Die französische Gewerkschaft CGT warnte jedoch vor Nachteilen für die Beschäftigten in Frankreich und Deutschland. "Die Konkurrenz mit den chinesischen Arbeitnehmern macht uns Angst", erklärte der CGT-Vertreter bei Airbus, Xavier Petrachi. Daher müsse der Konzern Arbeitsplatzgarantien für Europa abgeben und zusichern, dass in China die gleichen arbeitsrechtlichen Bedingungen gelten würden wie in Europa.

Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats von Airbus, Rüdiger Lütjen, äußerte sich etwas zurückhaltender. "Es wäre naiv zu glauben, dass es langfristig nicht auch zu einer Produktionsverlagerung nach Fernost kommen kann", sagte er dem Abendblatt. Noch mehr Sorgen macht sich Lütjen aber über einen ungeregelten Technologietransfer an die Chinesen. "Es darf nicht sein, dass wir in Tianjin unsere künftigen Konkurrenten ausbilden", sagte er. Der Betriebsrat werde dies mit dem Airbus-Management besprechen. "Wir müssen sicherstellen, dass ein Know-how-Transfer so weit es geht ausgeschlossen wird."

Auch die Gewerkschaft IG Metall sorgt sich um mögliche chinesische Plagiate. "Wenn deutsches Know-how nach China abwandert, so kann dies auf längere Sicht zu einem Stellenabbau in Deutschland führen", sagte IG-Metall-Sprecher Daniel Friedrich. Den Bau des chinesischen Werks an sich hält der Gewerkschafter allerdings für alternativlos. "Was hätte Airbus anderes tun sollen, um auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen?"

Die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft in Hamburg dürfte zumindest ein anderer Auftrag sichern. Auch der US-Billigflieger Skybus erteilte dem Flugzeughersteller gestern einen Milliardenauftrag für 65 Flugzeuge des Typs A319. Und die werden definitiv auf Finkenwerder produziert.