Zusammenbruch des Münchner Instituts könnte Finanzsystem bedrohen. Altersvorsorge vieler Bürger wäre in Gefahr.

Hamburg. Die Verstaatlichung der ersten deutschen Bank - der Münchner Hypo Real Estate (HRE) - im Zuge der Finanzmarktkrise rückt näher. Der Bundestag hat am Freitag den Weg dafür frei gemacht. Mit deutlicher Mehrheit beschloss das Parlament ein auf die HRE zugeschnittenes Gesetz. Sollten sich die Aktionäre der Bank - vor allem der US-Großinvestor J. Christopher Flowers - weigern, ihre Anteile gegen eine Abfindung zum aktuellen, sehr geringen Börsenkurs an den Bund abzutreten, können sie enteignet werden. Dies allerdings wäre nur das letzte Mittel, wenn Verhandlungen oder mildere Maßnahmen demnächst kein Ergebnis erbringen. Das sogenannte Rettungsübernahmegesetz ist bis Ende Juni befristet.

Eine Verstaatlichung durch den Bund dient vor allem dazu, das Vertrauen in die Arbeits- und Zahlungsfähigkeit der auf Immobilienfinanzierungen spezialisierten Bank zurückzugewinnen. Die HRE gilt als "systemrelevant". Bräche sie zusammen, drohten dem Finanzmarkt in Deutschland und darüber hinaus schwere Konsequenzen, zum Beispiel bei Millionen privaten Kapitallebensversicherungen. Eine Pleite der HRE würde einen "in seiner Konsequenz nicht absehbaren Flächenbrand auslösen", sagte Bundesbank-Präsident Axel Weber am Freitag in Berlin. Er sprach sich dagegen aus, die HRE in die Insolvenz gehen zu lassen. Die folgenden Verwerfungen könnten größer sein als die Erschütterungen nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im vergangenen September.

Die Finanzmarktkrise hat die HRE so schwer getroffen wie kaum eine andere Bank in Deutschland. Vor allem der Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes seit 2007 zog die Bank in den Abgrund. Vom Bund hat das Institut bereits Staatsgarantien von 87 Milliarden Euro erhalten. Hinzu kommen 15 Milliarden Euro an Hilfen von der Finanzindustrie. Weitere zehn Milliarden Euro werden von der HRE dringend gebraucht.

Schon die Entstehung der Hypo Real Estate war eine Fehlgeburt: Als die HypoVereinsbank ihrer gewerblichen Immobilienkredite überdrüssig wurde, gliederte sie diese aus. So entstand 2003 die HRE. Offensichtlich wurden schon damals die Probleme nur verlagert. Entstanden waren sie bereits viel früher mit dem Zusammenschluss der Bayrischen Hypotheken- und Wechselbank mit der Vereinsbank im Jahr 1997. Schon damals hätten Verluste aus dem Immobiliengeschäft bereinigt werden müssen.

Stattdessen sind die Probleme der HRE noch gewachsen. Denn aus dem Immobilienableger entstand in wenigen Jahren ein Konzern mit der gigantischen Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro. Ab 40 Milliarden Euro Bilanzsumme denkt der staatliche Bankenrettungsfonds SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) daran, eine Bank zu retten. Als die Finanzkrise schon ihren Anlauf nahm, kaufte die HRE im Sommer 2007 den irischen Staatsfinanzierer Depfa mit seinem weltumspannenden Pfandbriefgeschäft. Das Depfa-Finanzierungsmodell wurde der HRE zum Verhängnis. Denn in der Finanzkrise funktionierte es nicht mehr, langfristige Kredite zu vergeben und mit kurzfristigen, billigeren Krediten gegenzufinanzieren. Seitdem braucht die HRE ständig frisches Geld.

Schon deshalb kann man jetzt die Bank nicht einfach Pleite gehen lassen. Obwohl sie keine Girokonten verwaltet und keinen Zahlungsverkehr abwickelt, gilt die HRE als systemrelevant. Das bedeutet: Ihr Zusammenbruch würde in der Finanzwirtschaft einen Dominoeffekt auslösen. Ähnlich wie Bundesbank-Präsident Weber fürchtet auch der Chef des Bankenrettungsfonds, Hannes Rehm, bei einem Zusammenbruch der HRE schlimmere Folgen als bei der Pleite von Lehman Brothers.

Mit einem Volumen von 150 Milliarden Euro kontrolliert die HRE 15 Prozent des deutschen Pfandbriefmarktes. Der Ausfall der Bank würde den gesamten Markt beschädigen, auch wenn Pfandbriefe als gut abgesichert gelten. Das hätte auch auf die Kurse anderer Pfandbriefe, die nicht von der HRE stammen, negative Auswirkungen. Betroffen wären Millionen von Menschen, die für das Alter vorsorgen. "Denn Pfandbriefe stecken auch in den riesigen Vermögen der Pensionskassen und der Lebensversicherungen", sagt der Bankenexperte Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums in München.

Rund 55 Milliarden haben Versicherungen der Bank geliehen. Bei einem Verlust hätte das Auswirkungen auf die Überschussbeteiligungen der Lebensversicherungen, die jetzt schon unter dem niedrigen Zinsniveau leiden. Folge: Die private Altersvorsorge fiele geringer aus. Etwa 100 Milliarden Euro haben zudem Renten- und Sozialversicherungen sowie Kirchenkassen bei der HRE angelegt. Ein Ausfall wäre verheerend - auch aus sozialpolitischer Sicht.

Bei den zahlreichen Projekten, die die HRE finanziert hat, sind auch Kommunen und Bundesländer betroffen. Öffentliche Projekte wie Schulen, Krankenhäuser oder Autobahnen könnten vorerst nicht weitergebaut werden. Vielen beteiligten Bauunternehmen würde die Insolvenz drohen. Zurück blieben dann nur Investitionsruinen.