Finanzspritze gegen Krise ist ein “riskanter Trapezakt“. Hamburger Ökonom empfiehlt dennoch auch Europa weitere Leitzinssenkung.

Hamburg. Trotz des jüngsten massiven Eingriffs der US-Notenbank sind die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten noch nicht verschwunden. Die weltweiten Börsen tendierten gestern uneinheitlich. Nur der Euro gewann gegenüber dem Dollar deutlich an Wert. In der Spitze kletterte der Euro um fünf Cent auf 1,3519 Dollar. Unterdessen wachsen neue Inflationsängste. Das Abendblatt sprach mit dem Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, über die aktuelle Lage.


Abendblatt:

Die US-Notenbank hat eine Billion Dollar in den Finanzmarkt gepumpt. Ist dies ein vernünftiger Rettungsversuch oder eher eine Verzweiflungstat?

Straubhaar:

Es ist ein, wenn auch richtiger, so doch riskanter Trapezakt. Die Notenbank hatte ihre Zinsen bereits auf null gesenkt und damit ihre herkömmlichen geldpolitischen Maßnahmen erschöpft. Doch weder Bürger noch Unternehmen haben dieses billige Geld bisher genutzt. Der Fed blieb also keine andere Möglichkeit, als diese weiteren drastischen Schritte einzuleiten, um Banken und Unternehmen mit dem Lebenselixier des Wirtschaftens zu versorgen, nämlich Liquidität.



Abendblatt:

Sind die Maßnahmen sinnvoll?

Straubhaar:

Den Eingriff der Notenbanker halte ich angesichts der Schwere der Krise für richtig. Sie versuchen, die Krise zu verkürzen und die Rezession abzumildern. Vorrangig ist es jetzt, die vorherrschenden Deflationserwartungen auszubremsen. Das heißt konkret: Viele Bürger verschieben derzeit Einkäufe und horten ihr Geld in der Hoffnung, dass die Waren morgen noch billiger angeboten werden. Genauso schieben Investoren ihre Anlageentscheidungen oder Unternehmen die Investitionen hinaus. Um die Konjunktur anzukurbeln, müssen deshalb jetzt Inflationserwartungen geweckt werden. Im Idealfall geben die Menschen, Anleger und Unternehmer dann mehr Geld aus, in der Furcht, dass ihr Geld mittelfristig an Wert verliert und sie weniger Waren dafür erhalten. Dieser Stimmungswandel lässt sich offenbar nur noch erzeugen, in dem man frisch gedrucktes Geld in den Markt wirft, wie es die US-Notenbank getan hat. Und noch etwas: Weil dadurch auch der US-Dollar abgewertet wird, importiert man Inflation über gestiegene Importpreise - das hilft noch einmal, die Inflationserwartungen nach oben zu treiben.



Abendblatt:

Versucht man damit nicht den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben? Schließlich fürchten wir Europäer hohe Inflationsraten, die über zwei Prozent hinausgehen, weil damit eine Geldentwertung einhergeht.

Straubhaar:

Das ist richtig. Die Notenbank muss zwischen Pest und Cholera wählen - also zwischen Deflation und Inflation. Die US-Notenbank hat die USA durch ihre Politik des Geldes in die Krise und die Deflation geführt - und genau mit diesem Instrument des billigen Geldes versucht man nun, die Krise zu beheben.



Abendblatt:

Droht uns jetzt eine stärkere Inflation?

Straubhaar:

Kurz und mittelfristig noch nicht, aber langfristig schon. Im Euro-Raum dürfte die Inflationsrate spätestens 2011 auf über fünf Prozent steigen. Dies ist die Konsequenz der jetzigen Geldpolitik.



Abendblatt:

Fürchten Sie eine Hyperinflation?

Straubhaar:

Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Notenbanken mittelfristig ihr ausgegebenes Geld wieder aus dem Markt abziehen, in dem sie die jetzt erworbenen Staatsanleihen und Wertpapiere wieder verkaufen.



Abendblatt:

Könnte es im Euro-Raum möglicherweise sogar zu einer Währungsreform kommen?

Straubhaar:

Dafür gibt es derzeit keine Anzeichen.



Abendblatt:

Der Euro hat als Reaktion auf die US-Notenbankentscheidung deutlich zugelegt. Schadet das unserer Wettbewerbsfähigkeit?

Straubhaar:

Der Euro ist für Anleger derzeit attraktiver als der Dollar, da die Zinsen im Euro-Raum noch bei 1,5 Prozent liegen, während sie in den USA bei null rangieren und auch, weil die Notenpresse noch nicht in dem Maße angeworfen wurde wie in den USA. Allerdings liegt der Euro-Wechselkurs immer noch deutlich unter seinem Höchststand vom Vorjahr. Problematisch wird es erst, wenn der Euro weiter aufwertet, die Exporte verteuert und unattraktiver macht. Noch ist der Wechselkurs verkraftbar - auch weil ja hierzulande die Importe günstiger werden.



Abendblatt:

Sollte die Europäische Zentralbank auch die Zinsen weiter senken?

Straubhaar:

Ja, ich denke, dass sie den Spielraum, den sie ja durchaus noch hat, nutzen sollte. Auch um damit eine weitere Aufwertung des Euro zu bremsen.



Abendblatt:

Wer muss am Ende die Zeche der Finanzmarktkrise bezahlen?

Straubhaar:

Verlierer sind jene Anleger, die ihr Geld auf dem Sparbuch oder langfristig festverzinslich angelegt haben. Angesichts der bevorstehenden Preissteigerungen zählen Schuldner dagegen zu den Gewinnern, da ihre Schulden durch den künftig zu erwartenden Preisanstieg relativ geringer werden.



Abendblatt:

Wo sollte man jetzt sein Geld anlegen?

Straubhaar:

Ich gebe grundsätzlich keine konkreten Anlagetipps. Aber wer sich jetzt zu einem günstigen Zinssatz verschuldet, um in inflationsgesicherte Sachwerte wie Immobilien zu investieren, liegt sicher nicht falsch. Auch dürften langfristige Anlagen in Unternehmen der Energiebranche oder der Infrastruktur bald schon wieder interessanter werden.



Abendblatt:

Die USA fordern Deutschland immer wieder auf, ihr Konjunkturprogramm aufzustocken. Ist dieser Wunsch angemessen?

Straubhaar:

Ich halte nichts von einem weiteren Konjunkturprogramm, sofern es in seiner Struktur den ersten beiden ähnelt. Denn beide Programme wirken nur sehr langsam und langfristig. Allerdings würde ich ein Programm befürworten, das den Konsumenten schnell mehr Geld in die Hand gibt, zum Beispiel über die Verteilung von Steuer- und Konsumgutscheinen oder anderen Steuer- und Abgabenerleichterungen. Das könnte den Konsum schnell ankurbeln.