Harry Brot baut Werk und schafft 100 Jobs. Preise für Backwaren unter Druck. Kleine Läden haben es schwer.

Hamburg. Der Ausstoß ist gewaltig: 4000 Roggenbrote sowie 6000 Toastbrote in der Stunde werden vom Juli dieses Jahres an die neue Fabrik des Großbäckers Harry im niedersächsischen Soltau verlassen. Mitten in der Wirtschaftskrise investiert der Backriese aus Schenefeld 50 Millionen Euro in das neue Werk und schafft rund 100 Arbeitsplätze in der Region. "Die Kapazitäten unserer bisherigen acht Backwerke reichen einfach nicht mehr aus, um den Bedarf in Deutschland zu decken", sagt Unternehmenssprecherin Karina Alikhan dem Abendblatt. Der Konzern, zu dem auch die Selbstbedienungskette Back-Factory gehört, rechnet damit, dass sich seine Erlöse von 645 Millionen Euro in diesem Jahr um vier Prozent erhöhen werden.

Die Expansion der deutschen Nummer Zwei unter den Backwarenanbietern ist symptomatisch für die Entwicklung in der gesamten Branche. "Wir gehen davon aus, dass die Umsätze bis 2015 um rund drei Prozent jährlich zulegen werden", sagt Klaus Maack, Chef der Unternehmensberatung Wilke, Maack und Partner, der im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) eine Studie zur Zukunft des Backgewerbes erstellt hat, die dem Abendblatt vorliegt.

Hintergrund der positiven Entwicklung ist weniger ein wachsender Hunger der Deutschen auf das klassische Vollkornbrot, sondern mehr der Trend hin zu Fast Food, Aufbackbrötchen und Convenience-Produkten wie vorgefertigten Sandwiches.

Von dieser Entwicklung profitieren auch mittelständische Bäckerei-Ketten wie die Hamburger Schanzenbäckerei, die in diesem Jahr drei neue Filialen am Schulterblatt, in der HafenCity und an der Mönckebergstraße aufmacht. "Wir haben zwar bei den klassischen Broten an Umsatz verloren, können dies aber mit kleinen Snacks und Kaffeespezialitäten mehr als ausgleichen", sagt Inhaber Gürol Gür dem Abendblatt.

Auf der Strecke bleiben hingegen die ganz kleinen Handwerksbäcker mit weniger als fünf Millionen Euro Umsatz, die nur über ein einziges Geschäft verfügen und bei denen das Geld für eine Expansion nicht reicht. "Von den noch 15 000 Bäckereien in Deutschland werden pro Jahr 500 vom Markt verschwinden", so Unternehmensberater Maack.

Der deutsche Backwarenmarkt ist laut Untersuchung schon seit Jahren von einem heftigen Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet. Dabei haben die Großbäcker ihre Marktanteile durch den Verkauf über den Lebensmitteleinzelhandel und vor allem über die Discounter immer weiter ausbauen können.

"Ein Wachstumsfeld für Großbäcker stellen derzeit die Backstationen für frisches Brot und Brötchen dar, die in den vergangenen Jahren schon in Supermärkten aufgestellt wurden und die nun auch von Billiganbietern wie Aldi oder Lidl getestet werden", sagt Marktforscher Maack. "Durch diese neuen Angebote geraten die Preise für Backwaren weiter unter Druck."

Ein tief greifender Wandel zeichnet sich laut Studie auch für die Mitarbeiter im Backgewerbe ab. Der klassische Bäcker wird immer mehr durch reine Verkaufskräfte auf der einen und hoch qualifizierten Ingenieuren in den Backfabriken auf der anderen Seite abgelöst, die nur noch den voll automatisierten Backprozess überwachen.

Trotz des Umsatzwachstums wird die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze laut Maack von derzeit rund 215 000 auf 185 000 im Jahr 2015 sinken. Dies hänge einerseits mit der zunehmenden Zahl von Mini-Jobs im Verkauf und andererseits mit einer zunehmenden Rationalisierung im Produktionsprozess zusammen.

Vor allem die zunehmenden Mini-Jobs wertete der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG, Franz-Josef Möllenberg, als Alarmsignal. "Die Bäcker müssen sich dringend um eine bessere Qualifizierung und eine höhere Bezahlung ihrer Mitarbeiter kümmern", sagte er dem Abendblatt.