Boomende Fischexporte stürzen isländische Wirtschaft. Die Seeleute sind die neuen Helden der Nation.

Reykjavik. Nach dem Kollaps mehrerer Banken, der auch den Staat an den Rand des Bankrotts geführt hat, ist die Zeit schneller Geschäfte und hoher Gewinne auch in Island vorbei. Die Fischindustrie dagegen profitiert vom Niedergang der Kreditbranche: In der Krise werden Hering und Kabeljau zum Rückgrat der Inselwirtschaft. "Ein Banker sagte, wir bräuchten die Fischerei nicht mehr", erzählt Helgi Mar Sigurgeirsson, der als Ingenieur auf einem Dampfer vor Reykjavik arbeitet. "Er sagte, wir könnten Geld mit Banken machen. Ich würde gerne jetzt mal mit ihm sprechen."

Jahrhundertelang lebte Island von der See und den Kuttern, die in den reichen Beständen des Nordatlantiks fischten. Erst in den vergangenen Jahren verlor die Industrie an Bedeutung, weil Aktienmarkt und Bankensektor boomten und die Deregulierung der Kreditbranche schnelles Geld in die Kassen spülte. Die starke Landeswährung ermöglichte isländischen Geschäftsleuten den Kauf von Unternehmen in der ganzen Welt - ein Luxus, der allein aus Fischereigewinnen bislang kaum finanzierbar war.

Aus der spröden Hafenstadt Reykjavik wurde eine schillernde Metropole, in den Straßen drängten sich teure Geländewagen. Auf dem Flughafen parkten die Privatjets der neuen Superreichen. Einer von ihnen ließ den Popstar Elton John auf die Insel fliegen, um auf einer Geburtstagsparty zu singen. Um den Bedarf an neuen Arbeitsplätzen zu decken, zogen Hunderte osteuropäischer Einwanderer auf die boomende Insel. Sie übernahmen vor allem die schmutzige Arbeit in den Fischfabriken, die viele Isländer nicht mehr wollten. "Ohne Arbeiter aus dem Ausland hätten wir die nicht weiter betreiben können, weil die Isländer zu beschäftigt mit der Arbeit in den Banken waren", sagt Sigurdur Sverisson, Sprecher des Verbands isländischer Fischereischiffbesitzer.

Mit der weltweiten Wirtschaftskrise hat sich das Blatt gewendet: Während andere Branchen schwächeln, sorgt der niedrige Kurs der isländischen Krone in der Fischindustrie für steigende Exporte. Zwar arbeiten nur etwa 7.000 Menschen in dieser Branche, rund vier Prozent aller Beschäftigten. Doch Meeresfrüchte machten im vergangenen Jahr fast die Hälfte aller Exporte des Landes aus und rund zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Die Banken kämpfen unterdessen mit einem Schuldenberg, der rund neun Mal so hoch ist wie das Bruttoinlandsprodukt der Insel. Die drei wichtigsten Banken kollabierten und wurden Anfang Oktober vom Staat übernommen. Nach ersten Entlassungen bei den Kreditinstituten sind nun auch andere Branchen betroffen - viele Firmen kämpfen ums Überleben, Privatkredite auf Autos und Immobilien bleiben unbezahlt.

Die Finanzkrise brachte im Januar auch die konservative Regierung von Ministerpräsident Geir Haarde zu Fall. Er warf nach anhaltenden Demonstrationen gegen seine Wirtschaftspolitik das Handtuch. Ein Übergangskabinett unter Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir führt die Amtsgeschäfte bis zu einer vorgezogenen Neuwahl des Parlaments, die für den 24. April anberaumt ist.

Die Menschen stehen jetzt Schlange für Arbeitsplätze in der Fischindustrie, sagt Sverisson vom Verband isländischer Fischereischiffbesitzer. An den Kais von Reykjavik fahren Gabelstapler hin und her, um Kabeljau und Seeteufel in die Lagerhallen zu bringen. Innerhalb weniger Stunden ist ein Großteil der Ware verkauft und auf dem Weg nach Großbritannien, Spanien und andere Länder. Die Ausbeute in diesem Jahr ist gut und die Preise für viele Spezies sind hoch.

Im Kampf um das wirtschaftliche Überleben der Insel gelten die Fischer als Helden und Retter der Nation. Zugleich sehe die Öffentlichkeit sie jedoch als Bonzen, die dickes Geld mit fetten Fängen machten, sagt Ingenieur Sigurgeirsson. Der 34-Jährige fährt seit mehr als zehn Jahren zur See. Über den neuen glamourösen Ruf seiner Branche ist er irritiert, denn der Lohn der Fischer ist an die Ausbeute gekoppelt. Oft verdienen sie deshalb nicht mehr als den vorgeschriebenen Mindestlohn.

"Jetzt sprechen sie über uns in den Nachrichten. Sie sagen, wir verdienen Geld für die Nation", erzählt der Ingenieur. "Dabei haben wir das schon die ganze Zeit getan", betont er. "Jetzt sagt jeder, wir sitzen alle in einem Boot. Aber ich saß nicht im Boot mit den Bankern. Ich war nicht eingeladen zu der Geburtstagsparty mit Elton John. Ich war auf dem Atlantischen Ozean."