“Ich will reinen Tisch machen“, sagte der frühere Post-Chef und Vorzeige-Manager zum Richter. Seinen Ruf, zu den Besten zu zählen, hat er ruiniert. Millionär aber wird er bleiben. Bilder zum Fall Zumwinkel.

Bochum. Er wirkt erleichtert, nachdem er es endlich gesagt hat. "Die Nichtversteuerung von Kapitalerträgen aus Familienvermögen war der größte Fehler meines Lebens." Es ist kurz vor 14 Uhr, als Klaus Zumwinkel erstmals öffentlich ein Fazit zieht, sein persönliches Fazit in einem der spektakulärsten Steuerfälle der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. "Ich will reinen Tisch machen und die strafrechtlichen Folgen mit Einsicht tragen", sagt der frühere Chef der Deutschen Post zu Wolfgang Mittrup, dem Vorsitzenden Richter der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bochum. Gut fünf Minuten dauert Zumwinkels Erklärung. Sie wird vermutlich ihren Teil dazu beitragen, dass er nicht ins Gefängnis muss.

Der zweitägige Prozess gestern und am kommenden Montag in Bochum ist so etwas wie die letzte Hauptversammlung im Leben des Klaus Zumwinkel. Es geht um Zahlen, um sehr persönliche Zahlen - um Zumwinkels Vermögen und um seine Schuld. Das Bad in der Menge bleibt ihm, der den öffentlichen Auftritt früher liebte und genoss, erspart. In einem abgedunkelten Kastenwagen wird er ins Gericht gebracht, den Verhandlungssaal betritt er durch einen Nebeneingang. Ein kurzer Termin für Fotografen und Kameraleute, dann kann sich Zumwinkel in der Sicherheit des Raums zwischen seinen beiden Anwälten einigeln. Die 100 Zuschauer sitzen hinter einer Glaswand.

Zumwinkel wirkt aufgeräumt in seinem mittelgrauen Anzug mit der gestreiften rot-weißen Krawatte. Konzentriert antwortet er auf die Fragen des Richters. Ansonsten blickt er, der seitlich zum Publikum sitzt, aus dem Fenster. Wie groß seine Anspannung tatsächlich sein mag, zeigt jener Moment, in dem ihm nicht einfallen will, in welchen Jahren genau sein Vater und seine Mutter gestorben sind.

Warum er, der wohlhabende Mann, Steuern hinterzogen habe, will der Richter wissen. "Ich wollte die Zinsen aus dem versteuerten Geld nicht noch einmal versteuern", sagt Zumwinkel. "Das Geld sollte meiner Familie zugutekommen." Vor Jahren habe er erwogen, von einer Steueramnestie des Bundes Gebrauch zu machen: "Doch ich hatte große Angst davor, dass das durch Indiskretion bekannt wird." So brachten die inneren Zwänge des öffentlichen Zumwinkel den Privatmann am Ende vor den Richter.

Klaus Zumwinkel hat für Deutschland Großes geleistet. Er hat den einstigen Staatskonzern Deutsche Bundespost zum größten privatwirtschaftlich organisierten Logistikkonzern der Welt umgebaut, er hat die ostdeutsche mit der westdeutschen Post verschmolzen, er hat Post und Postbank erfolgreich an der Börse platziert.

Gewaltig war aber auch sein Absturz: Zumwinkel hat seinen Ruf und sein Renommee als wohl einflussreichster deutscher Manager, als gesellschaftlich hoch angesehener Wirtschaftsführer ohne (materielle) Not ruiniert. Am Morgen des 14. Februar 2008 ließ ihn die damalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen aus seiner Villa in Köln zum Verhör abführen, wie einen gewöhnlichen Schwerkriminellen, vor laufenden Foto- und Fernsehkameras, vor den Augen der ganzen Welt.

War das nötig? Hatte Zumwinkel es nötig, Steuern zu hinterziehen, aus Erträgen eines Vermögens, das seit 1986 bei einer Familienstiftung mit dem schönen Namen "Devotion" ("Hingabe") in Liechtenstein geparkt war? Wohl kaum. Mit einem Jahresgehalt von zuletzt 4,3 Millionen Euro im Jahr 2007 lag Zumwinkel komfortabel im Mittelfeld, verglichen mit den Chefs der anderen 29 im Dax notierten deutschen Konzerne. Doch auch völlig unabhängig davon hätte der Mann, der 1943 bei Moers am Niederrhein geboren worden war, sein aktives Berufsleben schon 1971 beenden können. Damals verkauften er und sein acht Jahre älterer Bruder Hartwig das familieneigene Handelsunternehmen mit gutem Gewinn an Rewe - eine Ladenkette immerhin mit zehn Kaufhäusern und 50 Discount-Läden. Der Wert seines Finanzvermögens liege derzeit bei acht Millionen Euro, der seiner Immobilie in Norditalien - einer alten Burg oberhalb des Gardasees - bei fünf Millionen Euro, musste er gestern vor Gericht erläutern. Ohne Steuerbetrug hätte Zumwinkel heute vielleicht einige Euro weniger auf dem Konto, dafür aber vermutlich ein noch immer intaktes Leben in Wohlstand und Achtung.

Schon damals, nach dem Verkauf des Familienunternehmens, hätte Zumwinkel ein Leben des Müßiggangs führen können, auf einer Burg zum Beispiel, als Playboy, Jetsetter oder Mäzen der schönen Künste. Doch der junge Zumwinkel spürt Talent und Tatendrang: Er absolviert ein akademisches Jahr in den USA, schreibt seine Dissertation und arbeitet sich nach oben, scheinbar mit leichter Hand, wie es sein Lebenslauf zeigt. Schon zu Beginn der 80er-Jahre, mit Anfang 40, ist er Mitglied in der weltweiten Geschäftsführung der Unternehmensberatung McKinsey, bald darauf wird er Chef des Quelle-Konzerns. 1989 übernimmt er den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bundespost. Mit 45 Jahren ist Zumwinkel oben angekommen, ganz oben, in der Top-Etage der deutschen Wirtschaft.

Niemand hat sich in diesen Höhen so lange gehalten wie er, niemand führte so lange einen Dax-Konzern - mehr als 18 Jahre waren es bis zu seiner Festnahme. Den Chefposten bei der Post gab Zumwinkel kurz darauf ab, nach und nach auch seine Mitgliedschaften in etlichen Aufsichtsräten, vor allem den Aufsichtsratsvorsitz bei der Telekom, zuletzt auch den Posten als Aufseher beim Handels- und Touristikkonzern Arcandor.

Nun er ist er Privatier, jenseits öffentlicher Auftritte, glanzvoller Preisverleihungen, unternehmerischer Großtaten, und das nicht freiwillig. "Mein Beruf war mein Leben, und mein berufliches Leben fand ein jähes Ende", sagte er gestern. "Meine Familie und ich haben im zurückliegenden Jahr bitter gebüßt."

Mehr als jeder andere gefallene Topmanager steht Zumwinkel als Symbol für die Spaltung der Gesellschaft in eine wirtschaftliche Elite, die mit allen Mitteln immer reicher zu werden trachtet, und das Gros der normalen Menschen, die immer härter arbeiten müssen, um ihren Lebensstandard auch nur zu halten. Die Maßstäbe scheinen ihm im Lauf der Jahre abhandengekommen zu sein. Darauf spielte auch der Vorsitzende Richter an. Wolfgang Mittrup listete gestern noch einmal einzeln die Summen auf, die Zumwinkel hinterzogen hatte. Insgesamt hatte sich das Gericht bei den mehr als 900 000 Euro um zwei Euro verrechnet. "Verstehen Sie das nicht falsch, Herr Zumwinkel", sagte Mittrup angesichts der geringfügigen Differenz. "Aber zwei Euro sind für manche Menschen ganz viel Geld."

Zumwinkel kann mit einer Bewährungs- und Geldstrafe davonkommen, sein Ruf aber ist zerstört. Der Ruf, ein umsichtiger Konzernlenker zu sein, ein ehrbarer Kaufmann, ein guter Staatsbürger. Niemand sprang ihm im zurückliegenden Jahr öffentlich bei, niemand erwähnte, dass ein reuiger Sünder eine zweite Chance bekommen könnte. Auch Zumwinkel selbst schwieg bis gestern eisern.

Für die Bundesregierung wiederum, die an der Deutschen Post noch immer beteiligt ist, erwies sich der Fall des ehemaligen Vorzeigemanagers als echtes Geschenk: Längst war der ewige Post-Chef in den Augen der Berliner Politik zu mächtig und zu selbstgefällig geworden. Nach seinem Ausscheiden als Vorstandsvorsitzender gedachte Zumwinkel Ende 2008 an die Spitze des Aufsichtsrats zu wechseln. Stattdessen wurde er zum bislang prominentesten abschreckenden Beispiel dafür, dass sich Steuerhinterziehung via Liechtenstein nicht lohnt.

Am kommenden Montag wird voraussichtlich das Urteil gesprochen. "Wenn Zumwinkel zwei Jahre Gefängnis bekäme, ausgesetzt zur Bewährung für drei Jahre, "wäre das im Vergleich zu vielen anderen Fällen von Steuerhinterziehung eigentlich noch milde, jedenfalls akzeptabel", sagt Anke Müller-Jacobsen, Verteidigerin in Wirtschaftsstrafsachen bei der Kanzlei Ignor & Partner in Berlin.

Der private Klaus Zumwinkel sieht das womöglich ähnlich. Und den öffentlichen gibt es von Montagnachmittag an nicht mehr.