Tchibo: Nach jahrzehntelanger Fehde in der Kaffee-Dynastie war es Patriarchin Ingeburg Herz jetzt leid. Sohn Günter wird ausgezahlt - ist damit die Selbstblockade des Konzerns beendet?

Hamburg. Der Machtkampf in der Familie Herz stand auf des Messers Schneide. Ungeduldig wartete Günter Herz im Aufsichtsrat der Tchibo-Holding auf seinen drei Jahre jüngeren Bruder Michael - seinen Widersacher, der ihn als Vorstandschef stürzen wollte. Doch Michael Herz kam nicht. Der Machtkampf wurde noch einmal vertagt. Das war Ende November 2000. Doch einige Wochen später fiel im Zwist der beiden Brüder die Entscheidung: Der Aufsichtsrat beschloss, den Vertrag von Günter Herz als Vorstandschef nicht mehr zu verlängern. Eine bittere Niederlage für den Mann, der fast 35 Jahre an der Spitze des Konzerns gestanden hatte. Und der vorläufige Höhepunkt in einem Familiendrama, das legendären Seifenopern wie "Denver" oder "Dallas" Ehre machen würde. Der Streit, so schien es bislang, gehörte zum Lebenselixier der Hamburger Dynastie, die mit einem geschätzten Vermögen von 10,2 Milliarden Euro (laut "manager magazin") gleichzeitig auch zu den reichsten der Republik zählt. Geld haben Günter Herz und seine vier Geschwister nicht nur mit Kaffee gemacht, sondern auch mit ihren lukrativen Beteiligungen an dem Nivea-Hersteller Beiersdorf und an dem - mittlerweile verkauften - Zigarettenproduzenten Reemtsma. Doch je größer das Vermögen wurde, desto mehr wuchsen auch die Spannungen in der Familie. Nun sieht es so aus, als wollten die Herzens ihren Zwist beilegen - indem die beiden zerstrittenen Brüder Günter (62) und Michael (59) endgültig auch geschäftlich getrennte Wege gehen. Mutter Ingeburg war es, die ihren ältesten Sohn Günter dazu drängte, das einstige Familienunternehmen endgültig zu verlassen. Den ewigen Streit konnte die über 80-Jährige nicht mehr ertragen. Tchibo wird Günter Herz und seine Schwester Daniela auszahlen. Der Preis dafür dürfte bei etwa vier Milliarden Euro liegen. Wie aber konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich eine der reichsten Familien derart zerstritt? Die Reibereien begannen schon 1965, als der Vater und Firmengründer Max Herz völlig überraschend an einem Herzinfarkt starb. Aus dem Nichts hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg ein Unternehmen mit einer simplen Idee aufgebaut: Er verschickte Kaffee per Post in die Haushalte und richtete einige "Probierstübchen" ein. Seinen Kindern Günter, Michael, Joachim, Wolfgang und Daniela hinterließ er nicht nur Millionen, sondern auch ein reichlich kryptisches Testament, in dem die Nachfolge in der Firma nicht eindeutig geregelt war. Das Verteilen des Nachlasses endete sippentypisch: Jeder fühlte sich vom anderen übervorteilt. Zeitweilig verkehrten die Familienmitglieder nur noch per Anwalt miteinander. Günter Herz, damals gerade mal 25 Jahre alt, ergriff im allgemeinen Chaos seine Chance und machte sich selbst zum Chef von Tchibo. Natürlich gab das Ärger. Besonders Joachim, der Zweitälteste, und Michael, der Streitfreudigste der Herz-Brüder, fühlten sich benachteiligt. Joachim wurde abgefunden, Michael bekam zunächst einen Vorstandsposten als Vertriebschef. Und Wolfgang übernahm die Leitung einer Tchibo-eigenen Immobiliengesellschaft. Was die Brüder dem neuen Chef aber lassen mussten, war sein Erfolg. Günter Herz erwies sich als Unternehmertalent. Er machte Tchibo zu dem, was es heute ist: ein Konzern, der nicht nur Kaffee verkauft, sondern jede Woche den Kunden eine "neue Welt" vom Bademantel bis zum Walkman offeriert. Günter Herz ist ein Schnelldenker, ein Mann mit rascher Auffassungsgabe, der aber auch schnell die Geduld verliert, wenn das Gegenüber seinen Gedanken nicht sofort folgen kann. Eher scheu, galt er manchen im Unternehmen als arrogant und zuweilen selbstherrlich. Und er hasst Verschwendung: Das bekamen die Mitarbeiter hautnah zu spüren, als Herz einmal im Hauptquartier der damaligen Tchibo-Tochter Reemtsma auftauchte und fragte, wie viel Geld der Hersteller von West & Co. eigentlich für Bleistifte ausgebe. Die anwesenden Vorstandsmitglieder waren ratlos. Doch Herz ließ nicht locker: "Ich bin noch bis 13 Uhr hier. Um zwölf Uhr will ich wissen, für wie viel Sie die Bleistifte einkaufen." Der Mann hatte eine gute Nase: Es kam heraus, dass Reemtsma das 30-fache für einen Bleistift ausgab wie Tchibo. Auch im Privatleben eines der reichsten Deutschen ist für Luxus kaum Platz. Tennis und das Trabergestüt Lasbek ist alles, was er sich gönnt. Jahrelang fuhr der Chef des größten deutschen Kaffeekonzerns VW Golf, dann einen Mittelklasse-Mercedes. In puncto Sparsamkeit steht sein Bruder Michael ihm nicht nach. Reemtsma-Mitarbeiter erinnern sich noch an eine Weihnachtsfeier, auf der Uhren aus dem Tchibo-Sortiment verlost wurden. Plötzlich fuhr Michael seinen Bruder an: "Bist du verrückt? In unserer Filiale in Bramfeld gehen die Uhren aus, und hier werden sie verschenkt?" Endgültig zum Bruch zwischen den beiden kam es 1997, als Günter Herz den Konkurrenten Eduscho für 200 Millionen Mark schluckte - ohne sich vorher mit seinen Geschwistern abgestimmt zu haben. Die Selbstherrlichkeit von Günter konnte Michael nicht länger ertragen; auch deshalb setzte er sich dafür ein, dass erstmals ein familienfremder Manager Tchibo führen sollte. Von den Geschwistern stand lediglich Daniela noch fest an Günters Seite. Nach mehreren Managern auf Zeit liegen die Geschicke von Tchibo künftig in den Händen des ehemaligen Beck's-Managers Dieter Ammer. Und er wird bleiben. Ein guter Zeitpunkt also, Ruhe in den Tchibo-Konzern zu bringen. Denn obwohl Günter Herz schon lange keine Funktionen mehr im Unternehmen wahrnimmt, meldete sich der bisherige Großaktionär noch regelmäßig zu Wort. Zuletzt verärgerte er das Tchibo-Management, in dem er ihm vorwarf: "Ich sehe im Unternehmen keine Strategie." Jedenfalls verfügt es über genug Geld, um Günter Herz und seine Schwester Daniela auszuzahlen: etwa sechs Milliarden Euro aus dem Verkauf der Zigaretten-Tochter Reemtsma. Vier Milliarden dürften die beiden sowie der Wirtschaftsprüfer Otto Gellert für ihren gemeinsamen Anteil von fast 40 Prozent an Tchibo insgesamt bekommen. Ganz sind die unternehmerischen Bande in der Familie aber noch nicht gelöst. Die Milliarden von Günter und Daniela könnte Tchibo nämlich möglicherweise noch einmal brauchen, um endlich die ersehnte Mehrheit an Beiersdorf zu bekommen. "Für den Fall, dass die Tchibo-Holding AG Gelegenheit zur substanziellen Aufstockung ihrer Beteiligung an der Beiersdorf AG erhält, haben die Familienmitglieder vereinbart, ihre Kräfte gegebenenfalls wieder zu bündeln", teilte Tchibo gestern mit. Ob das gut geht? Den alten Max Herz würde es jedenfalls freuen. Denn dass die ewigen Streitereien nicht im Sinne des Patriarchen waren, weiß auch Sohn Günter: "Mein Vater wäre von alldem nicht begeistert."