Am 6. Juni 2011 wurde der Atomausstieg beschlossen. Doch nicht nur der Netzwerkausbau ist ein Problem, es droht eine große Kostenwelle.

Berlin. Die Euphorie ist verflogen und hinter den Kulissen gibt es großes Unbehagen: Als die Bundesregierung genau vor einem Jahr den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschloss, war die Euphorie noch groß. Die Kosten der grünen Energiewende wurden als überschaubar dargestellt. Doch werden diese nicht primär aus dem Staatshaushalt bezahlt, sondern direkt über den Strompreis von den Bürgern. Und hier droht nach allen Prognosen ein böses Erwachen. Derzeit heben knapp 50 weitere Versorger die Preise an. Das dürften noch lange nicht alle sein. Daher wird bereits über Strompreisbremsen oder Staatszuschüsse für arme Bürger nachgedacht.

Warum drohen massive Mehrbelastungen beim Strompreis?

Bei Wind- und Solarstrom gibt es Zuwächse von bis zu 40 Prozent, allein die Solarförderung kostet aber mehr als sieben Milliarden Euro pro Jahr. Zwar dämpft Sonnenstrom gerade mittags den Preis an der Leipziger Strombörse stark, dadurch wachsen aber die Förderkosten, die per Erneuerbare-Energien-Umlage über den Strompreis bezahlt werden. Denn die Bürger zahlen die Differenz zwischen Marktpreis und Fördersatz. „Das ist schon paradox“, sagt der Direktor des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien, Norbert Allnoch. „Je niedriger die Börsen-Strompreise, umso höher steigt die Umlage und damit die Belastung für die Stromkunden.“ Die Regierung wollte die Umlage auf 3,5 Cent je Kilowattstunde halten, nun drohen für 2013 aber bis zu 5 Cent.

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Ist das der einzige Grund?

Nein. Hinzu kommen steigende Netzentgelte. In diesem Jahr konnte die Ökostrom-Umlage mit 3,59 Cent je Kilowattstunden (125 Euro pro Jahr bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden) stabil gehalten werden, die dennoch gestiegenen Strompreise werden vor allem mit höheren Netzkosten begründet. Werden nun auch noch die Windparks auf See an das Netz angeschlossen und neue Leitungen gebaut, steigert das den Strompreis zusätzlich. Für Unternehmen mit hohem Stromverbrauch gibt es jedoch zahlreiche Ausnahmen bei Ökostrom-Umlage und Netzentgelten, um sie nicht zu stark belasten.

Was kommt in der Summe auf die Verbraucher zu?

Die Netzbetreiber rechnen laut Regierungskreisen mit drei bis fünf Cent pro Kilowattstunde, die hinzukommen könnten, Klarheit gibt es bis Oktober. Das wären für eine Familie mit einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden bis zu 175 Euro mehr pro Jahr. Daher wird erwogen, die Stromsteuer zu senken, die 2 Cent je Kilowattstunde ausmacht. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) forderte am Dienstag, über eine Reform der Ökoenergieförderung nachzudenken. „Aus meiner Sicht fehlt in der Debatte ein Stück weit Ehrlichkeit“, sagt er mit Blick auf Jubelmeldungen über immer mehr Ökostrom.

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Droht eine soziale Schieflage?

Ja. Rund 200 000 Hartz-IV-Empfängern ist nach Schätzungen des Paritätischen Gesamtverbandes 2011 der Strom abgedreht worden, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. Zudem können sie sich oft keine energiesparenden Kühlschränke oder Fernseher kaufen. „Die Energiewende muss sozial abgefedert werden“, sagt die energiepolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Dorothée Menzner. Sie fordert eine staatliche Preisaufsicht und ein Ende der Ausnahmen für stromintensive Firmen. Verbraucherschützer raten, genau zu vergleichen und notfalls rasch den Stromanbieter zu wechseln.

Sind die zahlreichen Energiewende-Abgaben, Ausnahmen und Zuschläge überhaupt rechtens?

Bisher ja, Steuern und Abgaben machen bereits 45 Prozent des Strompreises aus. Die mittelständische Textilbranche stellt die Rechtmäßigkeit der im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgelegten Ökostrom-Umlage in Frage, drei Unternehmen boykottieren sie seit kurzem und zahlen sie nicht mehr. Der Juraprofessor Gerrit Manssen stuft die Umlage als ebenso unzulässige Sonderabgabe ein wie den 1994 vom Bundesverfassungsgericht zu Fall gebrachten Kohlepfennig. Daher könnte Karlsruhe hier das letzte Wort haben.

Wie reagiert die Ökoenergie-Branche?

Die Branche ist sauer, weil ihr die Schuld in die Schuhe geschoben werde. „Es ist schlichtweg falsch, steigende Energiekosten für private Verbraucher allein den erneuerbaren Energien anzulasten“, sagt Dietmar Schütz, Chef des Bundesverbands Erneuerbare Energien. Die Bundesregierung sorge vielmehr dafür, dass die Kosten auf immer weniger Schultern verteilt würden: „Denn sie befreit weite Teile der Industrie von den Kosten der Energiewende.“ Im Gegenzug sei diese aber durch die preisdämpfenden Effekte von Wind- und Solarenergie allein im Jahr 2010 um rund 1,2 Milliarden Euro entlastet worden.