Wissenschaftler korrigieren Berechnungen nach oben. EU um Hilfe gebeten
Washington. Die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko nimmt immer verheerendere Ausmaße an. Wissenschaftler gaben nun bekannt, dass aus dem Bohrloch der "Deepwater Horizon", der gesunkenen Plattform des Konzerns BP, bis zu zweimal so viel Öl ausgelaufen ist wie bislang vermutet. Demnach wären bisher bis zu 380 Millionen Liter Öl in die Gewässer vor der Südküste der USA geströmt.
Es war bereits das dritte Mal seit Beginn der Öl-Katastrophe Ende April, dass die offiziellen Schätzungen nach oben korrigiert werden mussten. Konsequenz: US-Präsident Barack Obama bestellte für die nächste Woche den Vorsitzenden des BP-Aufsichtsrates, Carl-Henric Svanberg, ins Weiße Haus in Washington ein.
Über den Absaugtrichter wurden elf Millionen Liter Öl aufgefangen
Täglich bis zu 40 000 Barrel - umgerechnet 6,4 Millionen Liter - Öl flossen den neuesten Schätzungen zufolge also ins Meer. "Die niedrigste auf wissenschaftlichen Analysen beruhende Schätzung liegt bei 20 000 Barrel, die höchste glaubwürdige um die 40 000 Barrel", sagte Marcia McNutt, die Vorsitzende einer von der Regierung eingesetzten Expertengruppe. Bisher waren die Fachleute von 12 000 bis 19 000 Barrel Öl pro Tag ausgegangen. Die jüngsten Angaben gelten für den Öl-Austritt vor dem 3. Juni, als ein beschädigtes Steigrohr abgesägt und ein Absaug-Trichter über die defekte Bohrleitung gestülpt wurde. Nach dem Absägen traten nach BP-Angaben zunächst bis zu 20 Prozent mehr Öl aus. Über den Trichter wurden bislang aber mehr als elf Millionen Liter abgesaugt. Andere Schätzungen über den Öl-Austritt sprechen teilweise von noch höheren Zahlen. So mutmaßte das Ozeanografische Institut "Woods Hole" aus Massachusetts, dass täglich zwischen 3,8 Millionen und acht Millionen Liter Öl austraten - was dann bis dato insgesamt fast 400 Millionen Liter wären.
Zum Vergleich: Nach der Havarie der "Exxon Valdez" im Jahre 1989 vor Alaska, der bisher schwersten Ölkatastrophe in US-Gewässern, strömten insgesamt 41 Millionen Liter Öl ins Meer - so viel wie derzeit im Golf von Mexiko alle fünf bis 13 Tage.
"Das ist ein Albtraum, der jede Woche schlimmer wird", sagte Michael Brune, Direktor des Sierra Clubs, der ältesten und größten Naturschutzorganisation der USA, zu den jüngsten Entwicklungen am Golf von Mexiko.
US-Präsident Barack Obama versicherte unterdessen den Hinterbliebenen der elf Arbeiter, die bei der Explosion auf der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" getötet wurden, seine Unterstützung. Er empfing die Familien im Weißen Haus in Washington. Keith Jones, dessen Sohn bei dem Unglück 20. April ums Leben kam, erklärte danach: "Er sagte uns, dass man uns nicht vergessen wird." Das Treffen mit den Hinterbliebenen erfolgte am 51. Tag nach der Katastrophe. Zuvor hatte Obama die Führung des Kongresses über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ölpest informiert.
Der US-Kongress stellte der Küstenwacht unterdessen mehr Geld für die Beseitigung der Ölpest zur Verfügung. Ein Gesetz, das die bisherige Obergrenze von 100 Millionen Dollar aufhebt, die die Küstenwacht aus einem Regierungsfonds nutzen konnte, wurde an Obama weitergeleitet. Ansonsten wäre der Küstenwacht in der kommenden Woche das Geld ausgegangen, erklärte der Abgeordnete James Oberstar, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Repräsentantenhauses.
EU schickt Ausrüstung zum Kampf gegen Ölpest
Europa kommt den USA unterdessen zu Hilfe. Auf Bitten der US-Behörden werde die EU Ausrüstung zur Eindämmung des Ölteppichs schicken, teilte die Europäische Kommission am Freitag in Brüssel mit. Schweden, Deutschland, Norwegen, Großbritannien und die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs hätten bereits angeboten, im Rahmen des Europäischen Zivilschutz-Mechanismus alle möglichen Arten von Ölsperren zur Verfügung zu stellen. Weitere europäische Länder werden voraussichtlich noch Angebote machen. Bereits Ende Mai hatten die Niederlande Technik zum Absaugen des Öls geschickt. Ein Kommissionssprecher teilte mit, derzeit gebe es keine Informationen, dass das Öl über den Atlantik hinweg europäische Gewässer erreichen könnte.