SPD und Grüne hätten in den 80er und 90er Jahren ein Klima für Übergriffe geschaffen, sagte Hessens FDP-Vorsitzender Jörg Uwe Hahn.
Berlin/Heppenheim/Darmstadt. Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal an der hessischen Odenwaldschule hat die Landes-FDP Rot-Grün eine Mitschuld vorgeworfen. Hessens FDP-Vorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident Jörg Uwe Hahn sagte dem Berliner „Tagesspiegel“ vom Donnerstag, SPD und Grüne hätten in den 80er und 90er Jahren in der Gesellschaft „ein Klima geschaffen, das erst den Boden für solche Vorkommnisse bereitet hat“. Sie seien deshalb dafür verantwortlich, dass es zu Misshandlungen an Schülern habe kommen können und dass die Übergriffe nicht geahndet wurden, sagte Hahn, der Justizminister im Kabinett von Regierungschef Roland Koch (CDU) ist.
Berichten zufolge soll es an der reformpädagogisch orientierten Odenwaldschule bis in die 90er Jahre zu sexuellem Missbrauch von Schülern durch Lehrer gekommen sein. Nach Angaben der Rektorin Margarita Kaufmann wurden mehr als acht Lehrer von ehemaligen Schülern belastet. Die Zahl der mutmaßlichen Missbrauchsopfer liegt bei etwa 40. Zuletzt war in den Medien auch über Misshandlungen von Schülern durch andere Schüler berichtet worden. Hahn forderte von den politisch Verantwortlichen der damaligen Jahre, sich zu den Vorwürfen zu äußern, sie seien über sexuellen Missbrauch durch Lehrer informiert gewesen und hätten dies gedeckt.
Neue, massive Vorwürfe
Die neuen Vorwürfe, über die die „Frankfurter Rundschau“ zuerst berichtete, sind massiv. So soll in einem Fall ein Lehrer nicht eingegriffen haben, als ein gefesselter Schüler von Mitschülern schwer sexuell missbraucht wurde. Allerdings gilt: Die Vorwürfe sind noch nicht überprüft. Persönliche Gespräche mit den Betroffenen stünden noch aus, sagte eine Sprecherin der Schule.
Auch zeitlich ließen sich die Berichte noch nicht genau einordnen, teilte die Schule mit. Die Angaben der ehemaligen Schüler, die nach eigener Aussage Zeugen von Misshandlungen geworden waren, müssten erst präzisiert und dann anhand von Familienlisten im Schularchiv überprüft werden.
Ein früherer Schüler der Odenwaldschule sagte der Nachrichtenagentur dpa, auch er sei Zeuge von Misshandlungen unter Schülern geworden. Es habe damals eine „latente Drohung“ gegeben. Er habe miterlebt, wie einem damaligen Freund von einem Mitschüler die Genitalien gequetscht worden seien. Die Schreie seien nicht zu überhören gewesen, erzählte der Mann, der von Mitte der 70er bis Anfang der 80er Jahre an der Odenwaldschule war. Er könne sich nicht vorstellen, dass Lehrer damals nichts von den Misshandlungen mitbekommen hätten.
Ex-Minister Holzapfel: nichts gewusst
Der frühere hessische Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD) hat Vorwürfe zurückgewiesen, er habe schon früh vom Missbrauch an der Odenwaldschule gewusst. Dabei geht es um die Behauptung, der ehemalige Schulleiter Gerold Becker habe Holzapfel 1998 über die Anschuldigungen gegen sich selbst informiert. Holzapfel sagte dem Rundfunksender hr-info, eine solche Information von Becker habe es „definitiv nicht“ gegeben. Becker, dem wiederholter Missbrauch von Schülern vorgeworfen wird, war in den 90er Jahren als Berater für vier hessische Versuchsschulen tätig. Darunter befand sich auch die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, an der es 1989 ebenfalls Missbrauchsfälle gegeben hatte.
Holzapfel sagte hr-info, er selbst habe Becker als Berater für die Modellschulen ausgewählt, da dieser „damals als Idealbesetzung erschien“. Becker habe eine „Verbindung von Theorie und Praxis“ sowie eine „große rhetorische Brillanz“ gehabt. Das frühe Ausscheiden Beckers aus der Odenwaldschule sei ihm nicht verdächtig vorgekommen, da Becker von seinen Tätigkeiten als Berater, Herausgeber und Vortragsredner gut habe leben können.
Ex-Schüler nahmen sich das Leben
Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt bestätigte, dass Fälle bekannt sind, in denen sich ehemalige Schüler der Odenwaldschule das Leben genommen haben. Ob ein Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen bestehe, lasse sich derzeit nicht sagen. „Wir können schlichtweg nicht sagen, worauf diese Suizide zurückgehen“, sagte Neuber. „Wir werden das prüfen.“