Der Passagierverkehr zwischen Frankreich und Großbritannien wird voraussichtlich noch das ganze Wochenende über gestört bleiben.
Paris/London. Kein Strom, kein Wasser, keine Informationen: In gut zwei Stunden wollten mehr als 2000 Passagiere am Freitagabend zu Beginn der Weihnachtsferien von Paris nach London fahren. Daraus wurde eine Horrornacht. Fünf Züge der Bahngesellschaft Eurostar blieben im Tunnel stecken, weil die Lokomotiven nach der Fahrt durch klirrende Kälte den Geist aufgaben. Ein Teil der Passagiere musste nach stundenlangem Warten mitten in der Nacht mehr als hundert Meter unter dem Meeresspiegel in andere Züge umsteigen.
„In den 15 Jahren seit Eröffnung des Tunnels haben wir noch nie eine solche Situation erlebt“, sagte der stellvertretende Eurostar-Generaldirektor Nicolas Petrovic. „Fünf Züge zwischen Paris und London sind zwischen 20.30 Uhr und 23.30 Uhr im Tunnel ausgefallen.“ Sie funktionierten demnach bei der Fahrt durch die Kälte in Nordfrankreich, doch in den wärmeren Tunnelröhren gaben sie den Geist auf - der Temperaturunterschied war für sie offenbar zu viel.
Eurostar konnte das Problem selbst nicht lösen und musste die Tunnelbetreibergesellschaft Eurotunnel zu Hilfe rufen. Die schickte andere Züge, die normalerweise zum Transport von Lkw und Autos eingesetzt werden, um die Passagiere aus dem Tunnel zu holen. Zwei Eurostar-Züge wurden bis nach London geschleppt. Sechs bis sieben Stunden mussten die Fahrgäste teils in dem Tunnel ausharren, einige insgesamt mehr als 16 Stunden im Zug zwischen Paris und London verbringen.
„Es gab Auseinandersetzungen mit dem Zugpersonal, die Leute hielten es nicht mehr aus, eingesperrt zu sein“, sagte der französische Passagier Patrick Dussaut. „Es gab keine Lebensmittel an Bord.“ Auch Wasser habe gefehlt. Das Barpersonal habe gesagt, der Zug habe entgegen den Vorschriften nicht genug Vorräte mitgenommen.
Gegen 8.00 Uhr morgens kamen die ersten erschöpften Passagiere in London an, wo sie von Angehörigen und Freunden mit Applaus empfangen wurden. „Es war ein einziger Alptraum“, sagte der Brite Lee Godfrey der BBC, der von einem Besuch im Pariser Disneyland mit seiner Familie zurückreiste. Die Klimaanlage sei ausgefallen. Viele Leute seien in Panik gewesen, die Kinder hätten Angst gehabt. Es habe Menschen mit Asthma-Anfällen gegeben, andere seien in Ohnmacht gefallen. „Wir mussten die Notausgänge selbst öffnen“, erzählte Godfrey. „Es war das Chaos.“
Ein anderer Franzose war mit seiner Familie 14 Stunden im Zug. „Das war wie in Viehwaggons, das Eingesperrtsein im Zug, keinen Tropfen Wasser, keine Informationen, nichts“, sagte er dem französischen Sender France Info. In Dussauts Zug gab es nach der Fahrt aus dem Tunnel am Morgen Ärger, weil die Passagiere der ersten Klasse aussteigen durften, die der zweiten Klasse aber erst an der Endstation London. Die in der ersten Klasse seien Eurostar „wahrscheinlich wichtiger“, schimpfte der Franzose. Einige Fahrgäste hätten daraufhin beschlossen, in London nicht auszusteigen, aus Protest gegen die von Eurostar angebotene Entschädigung: eine Hin- und Rückfahrt Paris-London gratis. „Die Passagiere haben nicht das Gefühl, ernstgenommen zu werden“, sagte Dussaut.
Für Eurostar kommt zu dem Imageschaden durch die harsche Kritik am Management der Panne ein erheblicher Verdienstausfall. Das Unternehmen musste bis Sonntag alle Fahrten nach London aussetzen - just zum Beginn der französischen Weihnachtsferien, wo die Züge weitgehend ausgebucht sind. Im Pariser Nordbahnhof drängten sich am Samstag hunderte Menschen, die eigentlich nach London reisen wollten. „Die Leute sind wirklich sauer“, sagte eine Bahnmitarbeiterin. „Sie verstehen nicht, warum die Bahn es nicht schafft, die Wetterbedingungen in den Griff zu bekommen.“