Mythos der Meere: In Hamburg wurde er gebaut, zweimal schien sein Ende besiegelt: Die 70 schicksalhaften Jahre eines Seglers - und seine zweite Wiedergeburt.
Hamburg. Schiffe haben wie Menschen nur ein Leben. Die erste "Gorch Fock" der deutschen Flotten, Vorgängerin des Segelschulschiffes "Gorch Fock" der Bundeswehr, lebte zwei Leben - und wenn ihre Freunde Glück haben und 20 Millionen Euro auftreiben, könnte sie sogar in einem dritten Leben über die Weltmeere segeln.
Zurzeit liegt die 70 Jahre alte Bark als Museumsschiff an der Ballastbrücke im Stralsunder Hafen. Ihr Eigner, der Verein "Tall-Ship Friends e. V.", der den Windjammer im September 2003 als "Towarischtsch" der Ukraine abgekauft hatte, hat jedoch Größeres vor: Er will die "Gorch Fock I" zu ihrem 75. Geburtstag im Jahr 2008 wieder in Fahrt bringen.
Die Kosten in Höhe von 20 Millionen Euro müssen durch Spenden aufgebracht werden, aber die Bark - eine echte Hamburgerin, die das Schicksal zahlloser Deutscher der Kriegs- und Nachkriegszeit geteilt hat - ist es wohl allemal wert.
Das erste Leben des weißen Dreimasters begann mit Stapellauf und Taufakt bei Blohm & Voss am 3. Mai 1933 im Hamburger Hafen:
"Auf Befehl des Herrn Reichspräsidenten taufe ich dich auf den Namen Gorch Fock", rief Taufpatin Marie Fröhlich aus Plauen im Vogtland, die 1. Vorsitzende des "Flottenbundes Deutscher Frauen", vor Tausenden Hamburgern. Danach glitt die "Urmutter" einer Klasse besonders schöner und erfolgreicher Segelschulschiffe wie ein Schwan ins brackige Hafenwasser.
Der Name passte zu ihr: Der Fischer Johann Kinau aus Finkenwerder war durch seinen 1912 unter dem Pseudonym Gorch Fock veröffentlichten Roman "Seefahrt ist not!" berühmt geworden. Schon vier Jahre später aber hatte ihn das Schicksal ereilt, als er während der Skagerrakschlacht im abgeschossenen Mastkorb des sinkenden Kreuzers "Wiesbaden" in den Tod stürzte.
"Gorch Fock I" war als 32. Segelschiff der Werft Blohm & Voss in der Rekordzeit von nur sechs Monaten gebaut worden. 20 Prozent der Bausumme waren von deutschen Bürgern über die "Volksspende Niobe" aufgebracht worden - in Gedenken an das Segelschulschiff "Niobe", das am 26. Juli 1932 mit 69 Seeleuten und Kadetten in einer Gewitterböe vor Fehmarn gesunken war.
Die Wasserverdrängung betrug 1510 t, die größte Segelfläche 1800 qm. Die Höhe der Masten ließ das Durchfahren des Kaiser-Wilhelm-Kanals (heute Nord-Ostsee-Kanal) zu. Das Schiff war 73,64 m lang und 12 m breit, konnte 67 Mann Stammbesatzung und bis zu 198 Offiziers- und Unteroffiziersschüler aufnehmen und ohne Risiko für Stengen und Segel 14 Knoten (rund 25 km/h) laufen.
"Gorch Fock I" wurde am 27. Juni 1933 in Kiel in Dienst gestellt und ging anschließend auf Ausbildungsfahrt. Öfters begegnete sie in Nord- und Ostsee oder im Heimathafen Kiel ihren etwas größeren Geschwistern "Horst Wessel" und "Albert Leo Schlageter", die ebenfalls bei Blohm & Voss gebaut und 1936 und 1938 in Dienst gestellt worden waren. Im Herbst 1939 aber war alles vorbei: Der Zweite Weltkrieg begann, "Gorch Fock I" wurde außer Dienst gestellt und diente fortan als Wohnschiff in Kiel, wo sie zahlreiche Luftangriffe überstand.
Das Ende ihres ersten Lebens begann am 24. April 1944: Der Windjammer wurde nach der Insel Rügen geschleppt und vor Lauterbach vor Anker gelegt. "Horst Wessel" und "Albert Leo Schlageter" stießen dazu, und die Ausbildung von Offizieren lief weiter.
Am 14. November 1944 wurde "Albert Leo Schlageter" vor Kap Arkona durch einen Minentreffer schwer beschädigt und in Swinemünde außer Dienst gestellt. "Gorch Fock I" lag zu dieser Zeit bereits im Hafen von Stralsund und wurde durch eine Lokomotive beheizt. Stralsund sollte zu ihrem Schicksalsort werden: Am 9. März 1945 vor der Halbinsel Drigge vor Anker gelegt und am 27. April 1945 außer Dienst gestellt, konnten der Windjammer und seine Restcrew nur noch auf das Ende warten. Am 30. April 1945 berichtete der Standortkommandant:
"Die Flüchtlingsströme über See und auf den östlichen Ausfallstraßen Stralsunds nehmen zu. Die Zahl der in die Stadt eingeströmten Flüchtlinge geht in die Zehntausende. Der Hafen ist völlig verstopft. Überall herrschen chaotische Zustände."
Kurz darauf erreichten sowjetische Panzer eine Anhöhe im Bereich Andershof, von der aus die in zwei Kilometer Entfernung liegende "Gorch Fock I" ein verlockendes Ziel war. Über die letzten Stunden an Bord berichten Besatzungsangehörige (siehe Artikel rechts oben).
Aber die nach der Selbstversenkung bis zu den Masten im Wasser liegende "Gorch Fock" sollte überleben. Für die Sowjets war sie begehrtes Beutegut. Eine erste Besichtigung des Wracks durch deutsche Fachleute ergab zwei Lecks durch Sprengmittel sowie 18 Einschüsse. Daraufhin forderte ein sowjetischer Kapitän die Bergung des Schiffes mit stehenden Masten.
Die Deutschen schafften es, nachdem das Wrack durch Taucher abgedichtet worden war. Ein nicht erkanntes Leck wurde mittels Schlämmkreide geortet. Acht Tage vor Ablauf des geforderten Bergungstermins lag das Wrack im Juni 1947 an der Pier. Erstmals in der Geschichte der Schiffsbergung war die Bergung eines Segelschiffes mit stehenden Masten geglückt! Der deutsche Bergungsexperte Kapitän Willbrandt und sein Tauchermeister Behrens erhielten als Prämie von den Sowjets je 4000 Tonnen Steinkohle.
Danach wurde die Dreimastbark in der Neptun-Werft in Rostock durch 50 Frauen und Arbeiter gesäubert, die Reparaturarbeiten im März 1947 beendet, die Takelage von einem Cap Hornier aufgebaut. Im Juni 1951 wurde das deutsche Segelschulschiff unter seinem neuen Namen "Towarischtsch" (Genosse) von der sowjetischen Marine in Dienst gestellt. Letzter Heimathafen blieb bis 1999 Cherson am Schwarzen Meer. Danach ging es nach Wilhelmshaven zur "Expo 2000 am Meer". Dort endete das zweite Leben der "Gorch Fock I".
Heute weht über dem alten Windjammer wieder eine deutsche Flagge. Und demnächst wird die "Gorch Fock I" mit ihrer Nachfolgerin, der " Gorch Fock II", in Stralsund wohl ein Rendezvous haben.