Nicht nur in einem, sondern in drei beschädigten Reaktoren gab es eine Kernschmelze. Unmittelbare Gefahr droht laut Experten aber nicht.
Tokio. Die schlimmen Befürchtungen haben sich bestätigt: In allen drei aktiven Reaktoren der japanischen Atomruine Fukushima hat schon kurz nach dem Erdbeben im März eine Kernschmelze eingesetzt. Der Kraftwerkbetreiber Tepco gab das erst am Dienstag zu. Die geschmolzene Masse werde aber ausreichend gekühlt und die Lage sei stabil, betonte Tepco. Während ein deutscher Reaktor-Experte keine zusätzliche Bedrohung sieht, warnt Greenpeace, dass noch mehr Radioaktivität in die Umwelt gelangen wird.
„Die Situation in Fukushima wird dadurch nicht gefährlicher“, sagte der Leiter des Lehrstuhls für Reaktorsicherheit und -technik der Universität Aachen, Prof. Hans-Josef Allelein, der dpa. Generell verbessere sich die Lage von Tag zu Tag durch „das Abnehmen der Nachwärmeleistung“ - also dadurch, dass der Kernbrennstoff allmählich abkühle. Die größte Gefahr für Fukushima sieht Allelein in einem erneuten Erdbeben.
Experten hatten bereits vermutet, dass es eine teilweise Kernschmelze nicht nur im ersten Reaktor, sondern auch in den Blöcken 2 und 3 von Fukushima Eins gegeben hatte. „Das ist der Zustand, den die Fachwelt erwartet hat“, sagte Allelein.
Die Umweltschutz-Organisation Greenpeace kritisierte das späte Eingeständnis von Tepco scharf. „Es zeigt noch einmal ganz deutlich, dass die Einschätzung von unabhängigen Atomenergieexperten richtig war und dass die japanische Regierung die ganze Zeit gelogen hat“, sagte Greenpeace-Experte Christoph von Lieven dem Nachrichtensender n-tv. Das sei ein „Riesenskandal“. Das geschmolzene Kernmaterial müsse mit immer neuem Wasser gekühlt werden - und das stark kontaminierte Wasser dringe durch Risse an den Reaktorbehältern und sammle sich in der Anlage. Aber: „Die Tanks sind voll, das radioaktive Wasser - man weiß nicht mehr, wo es hin soll.“
Experte Allelein sagte, nach einer Kernschmelze werde es schwieriger, die deformierten Elemente aus den Reaktoren zu bergen - falls dies jemals geschehen werde. „Das Rausholen der Brennelemente ist deutlich komplizierter und birgt auch ein erhöhtes Gefahrenpotenzial.“
Bisher hatte Tepco lediglich - sehr spät - eingeräumt, dass in Reaktor 1 die Brennstäbe größtenteils geschmolzen waren und sich die gefährliche Masse nun wahrscheinlich am Boden des Reaktor-Druckbehälters befindet. Auch in den Reaktoren 2 und 3 dürfte der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben am 11. März geschmolzen und nach unten gelaufen sein. Die Temperaturen an den Behältern deuteten aber darauf hin, dass es mit Wasser gelungen sei, die Schmelzmasse zu kühlen und stabil zu halten.
Eine Kernschmelze gilt als besonders gefährlich, weil sich die extrem heiße radioaktive Masse durch die Schutzwände des Reaktors oder den Boden fressen kann. Im schlimmsten Fall könnte es zu einer verheerenden Explosion kommen, wenn sie auf das viele Wasser in der Anlage trifft.
Das Kraftwerk war durch das schwere Beben und den anschließenden Tsunami stark beschädigt worden. Das Kühlsystem fiel aus und die Lage konnte erst nach Wochen unter Kontrolle gebracht werden. Vor allem ins Meer trat massiv Radioaktivität aus.
Unterdessen teilte Industrieminister Banri Kaieda mit, dass die Regierung ein unabhängiges Gremium zur Untersuchung der größten Atomkatastrophe seit dem Reaktorunglück von Tschernobyl einberufen wird. Der Kommission mit zehn Mitgliedern, die noch bis Ende des Monats mit der Arbeit beginnen soll, würden neben Atomexperten auch Juristen angehören. Neben einer Untersuchung der Ursachen für das Fukushima-Desaster soll es auch darum gehen, wie solche Katastrophen in der Zukunft zu verhindern sind.