Krake Paul ist tot, Opossum Heidi schweigt: Prognosen fehlen beim Eurovision Song Contest 2011 aber nicht. Buchmacher, Fans und Experten disskutieren.

Düsseldorf. Bei der Fußball-WM 2010 erwies sich Krake Paul als wissendes Orakel, die Oscars 2011 sagte Opossum Heidi zielsicher voraus. Doch beim Eurovision Song Contest herrscht Vorhersage-Chaos - denn welcher Mensch kann schon wirklich voraussehen, worauf die Fans in 43 Ländern stehen? Ist das Aussehen wichtiger als der Song, ist das Feuerwerk heißer als das knappe Kleidchen? Stehen Spanier etwa genauso wie Finnen auf blonde Unschuldsengel mit Gitarre, klingt aserbaidschanischer Pathos auch in Schweizer Ohren nach?

Eine, die die Voraussagen bisher ganz gut hingekriegt hat, war die Suchmaschine Google: Die arbeitet nicht mit nationalen Stereotypen, wägt keine folkloristischen Besonderheiten gegen Fließband-Pop ab, sondern nimmt - ganz unemotional - die Suchanfragen aus allen Teilnehmerländern als Maßstab. So lagen 2009 der geigende Norweger Alexander Rybak und 2010 „unsere“ Lena bei Google ebenso vorne wie in der Punktewertung. Ende April ließ Google die deutschen Fans hoffen: „Lena wieder auf Platz eins!“, lautete die Schlagzeile - doch seitdem hat sich was getan. Jedward, die ebenso schrägen wie sympathischen Zwillinge aus Irland, führen die Google-Rangliste an, gefolgt von Lena und der Armenierin Emmy - doch die ist mit im ersten Halbfinale am Dienstag ja schon ausgeschieden...

Die Eurovisions-Gemeinde hat oft ganz andere Lieblinge. Die Fans, die gerne mal ihren Jahresurlaub für den Eurovision Song Contest drangeben, springen von Party zu Party und erleben die ESC-Stars dabei nicht nur live, sondern auch hautnah. Kein Wunder, dass das rockige „Rockefeller Street“ von Getter Jaani aus Estland oder die eingängige „Boom Bomm“-Tschaka-Tschaka-Nummer der frechen Armenierin Emmy in den vergangenen Tagen zu den angesagten Party-Hits in Düsseldorf wurden. Doch was in kleinen, stickigen Clubs mitreißt, muss nicht unbedingt auf der großen Bühne funktionieren - wie das Beispiel von Emmy beweist.

Wären noch die Buchmacher: Der Anbieter bet-at-home.com sieht den französischen Opernsänger Amaury Vassili vor Jedward und Lena, bei betfair.com sieht es ähnlich aus: Frankreich vor Irland und dann Aserbaidschan oder Großbritannien; hier belegt Lena nur den siebten Platz (Stand der Quoten: Donnerstagmittag). Aber Vorsicht bei solchen Wettquoten. Beim Grand Prix stellt sich die Frage: Wer wettet da überhaupt? Sind das nicht vor allem wettverrückte Engländer oder machen da auch massenhaft Albaner, Österreicher und Norweger mit?

Der Expertentipp lautet übrigens Finnland. Irving Wolther hat ihn abgegeben; der Wissenschaftler aus Lenas Heimatstadt Hannover hat zum ESC promoviert. „Finnland ist für mich am stärksten. Die Thematik - die Sorge um die Welt - bewegt die Menschen momentan“, erklärte er. Das finnische Bubi-Gesicht Paradise Oskar singt in „Da Da Dam“ mit Unschuldsmiene und zu sanften Gitarrenklängen von der Rettung der Welt, hinter ihm steigt ein großer blauer Globus auf. „Da hat man beim ersten Halbfinale im Saal ein richtiges Aufatmen gehört“, sagte Wolther. Ähnlich wie Google hat der NDR-Experte Wolther bereits einen Voraussage-Erfolg vorzuweisen: Er sah Lena im vergangenen Jahr ebenfalls ganz vorn - und heute? „Ich sehe sie eindeutig in den Top Ten.“

Da stimmen ihm zwei Drittel der Deutschen zu: 66 Prozent glauben an eine Platzierung Lenas unter den ersten Zehn. Nur sechs Prozent glauben an eine erfolgreiche Titelverteidigung, wie eine Umfrage des Instituts YouGov ergab.

Ein zweiter Sieg für Lena ist auch schon aus historischer Sicht unwahrscheinlich: Niemand konnte bisher seinen Grand-Prix-Titel verteidigen, obwohl es einige versucht haben. Nur ein einziger Sänger konnte bei 55. Wettbewerben überhaupt zweimal triumphieren: Der Ire Johnny Logan, 1980 und 1987.