Drei Jahre und sechs Monate Haft lautet das Urteil im Steuerprozess gegen Uli Hoeneß. Die Minuten der Urteilsverkündung sind für den charismatischen Bayern-Präsidenten wohl die schwersten seines Lebens.
Uli Hoeneß fährt sich immer wieder mit der Hand über das linke Auge, schnell, verstohlen, als wische er eine Träne weg. Er presst die Lippen zusammen, klammert die Hände ineinander oder hält sich an der Tischkante fest. Ins Publikum schaut er nicht mehr, nur noch starr auf den Richter oder nach oben an die Decke, als ringe er mit aller Gewalt um Beherrschung – und als fürchte er, mit seiner Fassung sei es sofort vorüber, sobald er seine Frau oder seine Fans mit FC-Bayern-Schal im Publikum ansehe. Sein Gesicht, zu Beginn der Urteilsverkündung noch fast entspannt, wird zusehends röter in diesen wohl schwersten 20 Minuten seines Lebens. Um 14.10 Uhr beginnt Richter Rupert Heindl die Begründung dafür vorzulesen, warum er Ulrich Hoeneß, Aufsichtsratschef und Präsident des FC Bayern, Millionenspender und Millionenhinterzieher zugleich, dreieinhalb Jahre ins Gefängnis schicken will. Obwohl sich dieser, wie der Richter es formuliert, „selbst ans Messer geliefert hat“.
Hinterzogen haben soll Hoeneß 28,5 Millionen Euro, also jene von der Steuerfahnderin ausgerechneten 27,2 Millionen, plus 1,3 Millionen Euro Solidaritätszuschlag. Bis genaue Summen feststehen, kann es aber noch dauern: Die Behörden fangen erst an, alles auf Heller und Cent nachzurechnen.
Als Heindl die Entscheidung verliest, ist Hoeneß zunächst keinerlei Regung anzusehen. Genauso wenig wie seiner Frau Susi, die den Richterspruch in der ersten Zuhörerreihe verfolgt. Aber dann scheint der Angeklagte allmählich zu begreifen, was dieses Urteil nun bedeutet. Dass sein Leben und sein Lebenswerk in Trümmern liegen. Dass er nun vom Denkmal gestoßen ist. Vom Denkmal, auf dem er gerne stand. Nun ist er auf einmal ganz unten, auch wenn sein Verteidiger Hanns W. Feigen gleich ankündigt, in Revision gehen zu wollen. Noch am Vormittag hatte Hoeneß zuversichtlich gewirkt, das übliche Lächeln beim Betreten des Gerichtssaals 134 im Münchner Justizpalast, der Plausch mit den Anwälten, der selbstsichere Blick in die Kameras, ins Publikum. Bis die Plädoyers begannen.
„Hoeneß Hunter“
Als Staatsanwalt Achim von Engel zu reden begann, suchte Hoeneß das Gespräch mit seinen Anwälten, doch die blockten nur ab. Sie mussten genau hinhören. Ein begnadeter Redner ist der Münchner Staatsanwalt und härteste Gegner von Hoeneß nicht. Er neigt zum Highspeed-Sprechen, zugleich zum Nuscheln, und eine Stimme, die einen großen Raum wie den Gerichtssaal bis ins letzte Eck durchdringen könnte, die hat er auch nicht. So war denn, obwohl es mucksmäuschenstill im Saal war und fast jeder im Raum schier die Luft anzuhalten schien, zunächst kaum zu verstehen, was der „Hoeneß Hunter“ (unter diesem Namen hat der Staatsanwalt eine Fanseite bei Facebook) gegen den FC-Bayern-Präsidenten in seinem Plädoyer vorzubringen hatte. Schließlich hatte der Richter ein Einsehen, von Engel durfte sich setzen, den Mund näher ans Mikrofon bringen, und so war schließlich gut vernehmbar, wie sich der 39-Jährige die Bestrafung des Selbstanzeigers und Steuersünders Hoeneß vorstellt: fünf Jahre sechs Monate Haft. Der nahm die Ansage regungslos hin, seine Ehefrau blickte kurz erstarrt gen Boden.
Doch umgehend nach dem lieblos vorgetragenen Verdikt erhob sich Star-Verteidiger Hanns Feigen. In seinem Plädoyer macht der Wirtschaftsjurist, der heute 65 Jahre alt wird, deutlich, warum er sein sicherlich großzügiges Honorar wert ist, und warum er zu den Besten seiner Zunft gezählt wird. Sein Plädoyer war frei gehalten, vor sich ein Sammelsurium an gelben Karteikarten und Spickzetteln. Er plädierte stehend, obwohl auch ihm der Richter erlaubt hatte, sitzen zu bleiben. Er sinnierte, gab sich nie anmaßend, dafür in Strecken demütig, ohne unnötige Schärfe, aber immer wieder kreisend um einen entscheidenden Punkt: die Selbstanzeige. Ist sie ungültig, wie Staatsanwalt Engel betont hatte? Mitnichten, sagte Anwalt Hanns Feigen, sie sei allenfalls „formal fehlerhaft“. Aber will der Staat, der die Selbstanzeige doch ausdrücklich eingeführt hat, um Reuigen einen Weg zurück zur Steuerehrlichkeit aufzuzeigen, einen Mann wegen eines Formfehlers ins Gefängnis schicken? Hoeneß habe am 17. Januar 2013 Selbstanzeige gestellt in der klaren Absicht, alles zu bereinigen, nie mehr einen Cent Steuern zu verkürzen. „Das ist es, was zählt. Wenn eine Selbstanzeige formal wirksam ist, ist völlig egal, um welche Summen es sich handelt, um 10.000 Euro oder 100 Millionen“, so Feigen. Das Gericht entschied nach fast dreistündiger Beratung anders, nicht im Sinne von Feigen und Hoeneß.
In seiner Begründung machte Richter Heindl klar, dass er die Selbstanzeige nicht für wirksam hielt. Die „erforderlichen Angaben“ seien nicht erbracht worden, eine genau zu beziffernde Steueranzeige sei nicht möglich gewesen. „Womöglich hätte allerdings ein anderes Finanzamt den Fall anders behandelt“, sagte Heindl. Das war eine für Hoeneß sehr bittere Bemerkung. Aber, so Heindl: „Es gibt keine Gleichbehandlung im Unrecht.“
Zusammengezimmerte Selbstanzeige
Dann wandte sich Heindl direkt an den Angeklagten, der noch am ersten Tag der Verhandlung erklärt hatte, er hätte von den Geschäften gar nicht so viel mitbekommen, das habe alles die Vontobel-Bank mit seiner Erlaubnis allein unternommen. Heindl: „Das bloße Berufen darauf, die Bank habe quasi alles alleine gemacht, nehmen wir Ihnen nicht ab. Daran, dass Ihnen die Steuerpflicht bekannt war, haben wir keine Zweifel.“ Heindl wollte Hoeneß auch nicht glauben, dass der schon lange eine Selbstanzeige geplant hatte. „Sie hätten viele Jahre Zeit gehabt, auch nachdem das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz gescheitert war, Ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Sie haben es nicht getan. Sie haben auf Zeit gespielt. Dann waren Sie getrieben von der Angst vor Entdeckung.“ Darauf, dass seine hinterzogenen Millionen durch die Recherchen eines „Stern“-Reporters enthüllt würden. „Es war alleine Ihre Verantwortlichkeit“, so Heindl über die zusammengezimmerte Selbstanzeige. „Das ist das Risiko, das man dann halt mal eingeht.“ Zu Hoeneß’ Gunsten habe man dann das Geständnis gewertet, und zwar „erheblich zu Ihren Gunsten“. Sonst wäre die Haftstrafe für Steuerhinterziehung in sieben Fällen noch viel höher ausgefallen.
Als Richter Heindl seine Urteilsbegründung beendet hatte, kam Susanne Hoeneß auf ihren Mann zu, 41 Jahre sind beide verheiratet. Sie ist eine zierliche Person, ganz anders als ihr Ehemann. Die beiden haben schon viele gute Zeiten durchgemacht, und auch schwere. Als Betrachter hatte man das Gefühl, sie würde nun zu ihm gehen und ihn einfach nur in den Arm nehmen, an sich drücken wollen. Wenn nur nicht so viele Menschen da wären. Reporter, Zuschauer, Wachtmeister, Juristen. Hoeneß schaute seine Susi nicht an. Ein Journalist fragte ihn noch um eine Stellungnahme. Uli Hoeneß schüttelte nur kurz den Kopf. Dann verließ er den Saal.
Sein Anwalt Feigen sagte unmittelbar nach der Urteilsverkündung: „Die Verteidigung wird das Urteil anfechten mit dem Mittel der Revision. Entscheidend ist, wie mit einer solch nicht idealen Selbstanzeige umzugehen ist.“ Auch die Staatsanwaltschaft überdenkt, ob sie Widerspruch einlegt. Immerhin hatte Staatsanwalt Engel eine deutlich härtere Strafe gefordert. „Wir werden nun, nicht mehr heute, aber ab morgen, noch mal die Urteilsgründe untersuchen und dann entscheiden, ob wir ebenfalls in Revision gehen werden oder nicht”, sagte Ken Heidenreich, der Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Uli Hoeneß war da mit seiner Ehefrau schon wieder auf dem Weg nach Hause, nach Bad Wiessee. De facto noch als freier Mann. Vor allem aber als bestrafter Täter.