Hamburg. Was den angeschlagenen Aufsteiger beim ebenso geschwächten Vizemeister Stuttgart erwartet. Für einen ist es das 45. Spiel des Jahres.

Bei einem zwickt die Wade, beim anderen zwang eine fiebrige Erkältung zu einer Trainingspause, und noch ein anderer schleppt sich seit zwei Wochen mit einer Muskelverletzung herum und spielt trotzdem. Wenn die Mannschaft des FC St. Pauli an diesem Sonnabend (15.30 Uhr / Sky und Liveticker abendblatt.de) zum letzten Spiel des Jahres 2024 in der Fußball-Bundesliga beim Vizemeister VfB Stuttgart antritt, wird dies nicht nur wegen des Gegners zu einer physischen Herausforderung.

St. Paulis Trainer Alexander Blessin hatte schon vor einer Woche nach der ernüchternden 0:2-Heimniederlage gegen Werder Bremen von der fehlenden „geistigen Frische“ seines Teams gesprochen. Diese machte er als wichtige Ursache dafür aus, dass sein Team zwar über weite Strecken dem Gegner ebenbürtig schien, aber in den Situationen, die zu den beiden Gegentoren führten, nicht wach und aufmerksam genug waren. Jetzt sprach er sogar von „Schlafmützigkeit“.

St.-Pauli-Team kämpft mit mentaler und physischer Müdigkeit

Ob die mentale Müdigkeit in den vergangenen Tagen komplett besiegt werden konnte und das Team jetzt in Stuttgart über die volle Spielzeit hellwach sein wird, scheint fraglich, zumal viele Spieler am Ende eines ebenso erfreulich ereignisreichen, aber auch physisch und psychisch anstrengenden Jahres ausgelaugt wirken. „Wir wollen jetzt noch einmal Frische und Aggressivität zeigen“, sagt Trainer Blessin dennoch.

Dabei macht sich seit dem Bundesliga-Aufstieg im Mai bemerkbar, dass in der Eliteliga eine noch höhere Intensität als in der Zweiten Liga vonnöten ist, um mit den etablierten Teams mitzuhalten. Das zehrt ganz offensichtlich. Schon in den vergangenen Wochen hatten Stammspieler immer wieder einmal Trainingseinheiten auf dem Platz ausgelassen und ein individuelles, dosiertes Programm absolviert, um mehr als die üblichen zwei Tage pro Woche zu regenerieren.

Kapitän Irvine bestritt in diesem Jahr auch noch zehn Länderspiele

Insbesondere die Dauerspieler Hauke Wahl, Eric Smith und Jackson Irvine erhielten immer mal wieder Pausen. Kapitän Irvine wird in Stuttgart sein 45. Pflichtspiel in diesem Kalenderjahr bestreiten. Allein zehn davon hatte er mit seiner australischen Nationalmannschaft absolviert, bei der er wie bei St. Pauli unumstrittener Stammspieler und Führungskraft ist. Diese internationalen Einsätze in der WM-Qualifikation Asiens waren immer wieder mit Interkontinental-Flügen verbunden.

Es ist ein weiteres Beispiel für Irvines Einstellung, dass er in den vergangenen Wochen trotz einer Blessur in einem tieferliegenden Muskel gespielt und wie gewohnt die meisten Kilometer auf dem Feld abgerissen hat. Ihm war in engen Situationen aber auch anzumerken, dass er nicht mehr die Dynamik und Handlungsschnelligkeit an den Tag legen konnte, als wenn er frisch in ein Spiel geht.

Jetzt kommt noch die Ungewissheit dazu, ob Abwehrchef Eric Smith, der sich am Mittwoch „aus heiterem Himmel“ (Blessin) eine Wadenverletzung im Training zu gezogen hatte, in der ausverkauften MHP-Arena wieder einsatzfähig ist. Auf eine „Punktlandung“ hofft St. Paulis Coach, dem schon seit vier Spielen Karol Mets in der Innenverteidigung mit Patellasehnenproblemen fehlt.

St. Paulis Karol Mets ist schon in der Heimat

Der Kapitän der Nationalmannschaft Estlands ist auch einer von St. Paulis Vielspielern und musste der Belastung Tribut zollen. Ihn hat Trainer Blessin bereits in den Heimaturlaub geschickt, dafür wird er bereits am 27. Dezember wieder an der Kollau erwartet und sein Trainingsprogramm aufnehmen. Beim zuletzt erkälteten Adam Dzwigala geht Blessin davon aus, dass er in Stuttgart einsatzfähig ist.

Ein Hoffnungsschimmer für den scheinbar auf dem Zahnfleisch kriechenden FC St. Pauli ist im Hinblick auf das Jahresfinale immerhin, dass auch der VfB Stuttgart weder in Bestbesetzung noch körperlich frisch und mental unverbraucht ins letzte Spiel des Jahres 2024 gehen wird. Und so betrachtet Stuttgarts erfolgreicher Trainer Sebastian Hoeneß das Spiel gegen St. Pauli auch als „letzten Kraftakt des Jahres“, wie er jetzt formulierte.

Beim VfB fehlen die Nationalspieler Undav und Leweling

Das Match gegen St. Pauli wird für die Schwaben das 44. Pflichtspiel des Jahres und das bereits 25. in der aktuellen Saison sein, beginnend mit dem nationalen Supercup am 17. August gegen Bayer Leverkusen (5:6 nach Elfmeterschießen). Die durch die Vizemeisterschaft erreichte Teilnahme an der Champions League mit Reisen nach Madrid, Turin und Belgrad forderte auch ihren Tribut.

Aus dem Profikader stehen Trainer Hoeneß voraussichtlich gleich acht Spieler nicht zur Verfügung. So fallen definitiv die Nationalstürmer und Offensivkräfte Deniz Undav (Muskelfaserriss) und Jamie Leweling (Oberschenkelverletzung) aus. Am Mittwoch verletzte sich im Training auch noch Angriffskollege Justin Diehl mit einer Muskelblessur im Oberschenkel. Und auch mit dem zuletzt überzeugend aufspielenden Kapitän Atakan Karazor rechnet Hoeneß eher nicht, nachdem er sich in dieser Woche mit einem Infekt abgemeldet hatte. „Für ihn wird es knapp, wieder rechtzeitig komplett bei Kräften zu sein“, sagte der VfB-Coach.

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Auf der Liste der Ausfälle stehen beim VfB auch noch die potenziellen Startelfspieler Nikolas Nartey (Knorpel-OP), El Bilal Touré (Mittelfußbruch) und Dan-Axel Zagadou (Außenbandverletzung im Knie). Dennoch kann der VfB dank seines tiefen Kaders gegen St. Pauli immer noch eine prominent besetzte und erfahrene Elf an den Start bringen. So wird es für die womöglich neu formierte Abwehrkette der Hamburger eine große Herausforderung, Topstürmer Ermedin Demirovic und den zuletzt auftrumpfenden Offensivpartner Nick Woltemade unter Kontrolle zu halten.

VfB-Coach Hoeneß zeigt durchaus Respekt vor dem Team vom Millerntor: „St. Pauli agiert defensiv stabil und reißt jede Partie sehr viele Kilometer ab. Die Mannschaft ist laufstark und einsatzfreudig“, sagte er jetzt. Es sei anspruchsvoll, diesen Gegner zu bespielen. „Wir müssen unsere Stärken gezielt einsetzen.“

St. Pauli spielte und verlor zuletzt vor fünf Jahren in Stuttgart

Zuletzt hatte der FC St. Pauli im August 2019 beim VfB Stuttgart, der damals gerade aus der Bundesliga abgestiegen war, gespielt und nach einer frühen 1:0-Führung mit 1:2 verloren. Aufseiten St. Paulis ist auch aus jenem Match kein Akteur von damals mehr im Kader, beim VfB sind es noch Pascal Stenzel und der jetzt womöglich ausfallende Atakan Karazor. Auf jeden Fall waren beide Teams seinerzeit, so früh in der Saison, frischer als jetzt.

Die erwarteten Aufstellungen:
VfB Stuttgart: Nübel – Vagnoman, Rouault, Chabot, Mittelstädt – Keitel, Stiller – Millot, Führich – Woltemade – Demirovic.
FC St. Pauli: Vasilj – Dzwigala (Smith), Wahl, Nemeth – Saliakas, Irivine, Boukhalfa, Treu – Guilavogui, Eggestein, Afolayan.
Schiedsrichter: Felix Brych (München).