Leverkusen. Kiezkicker belohnen sich nach gutem Auftritt gegen den anfangs dominanten Doublesieger nicht. Was trotzdem Hoffnung macht.

Wenn die Sterne günstig stehen, der Nikolaus den Stiefel brav gefüllt hat und die Sonne sich kurz nach 16 Uhr gen Westen der BayArena den Horizont gar nicht schnell genug hinabstürzen kann, dann, ja dann wirkt Leverkusen, durch die schmale Lücke zwischen Stadionbedachung und Tribünenabschluss aus betrachtet, in dieses Licht getaucht wie eine halbwegs adrette Stadt. Danach wird’s dunkel.

Was nicht weiter schlimm ist. Für die lichten Momente sorgt der Deutsche Meister und Pokalsieger Bayer 04 unten auf dem Platz. An der Seite Sonnenkönig Xabi I., von dem zwar weitaus wenig vergnügliche Anekdoten überliefert sind wie von Ludwig XIV. Was in der Konsequenz jedoch nicht bedeutet, dass er weniger despotisch mit Gegnern umgeht wie der Versailler Regent. Und damit nonchalant zum FC St. Pauli.

FC St. Pauli verliert bei Bayer Leverkusen

Für den war Leverkusen gar nicht schön, das Licht sahen die Hamburger trotzdem. Wie die Gastgeber am Sonnabend beim 2:1 (2:0) die Pflichtaufgabe gegen den Aufsteiger bewältigten, glich für die Kiezkicker zeitweise einer Nahtoderfahrung. Der positive Aspekt daran für die Mannschaft von Cheftrainer Alexander Blessin: Das Wenigste davon war selbstverschuldet. Der Doublesieger war schlicht besser, effizienter, abgeklärter, griffiger und was auch immer für Adjektive sich im Fußballvokabular noch dafür finden lassen.

Und zwar schon weit vor Sonnenuntergang über dem Rhein. Auftritt Florian Wirtz. Was der Nationalspieler gleich zu Beginn veranstaltete, war höhere Kunst. Aber trotzdem keine, in die man pseudointellektuell versuchen müsste, irgendeinen tieferen Sinn hineinzuinterpretieren. Das 1:0 (6.) war, verzeihen Sie den derberen Ausdruck, einfach geil, weil es geil anzusehen war. „Das ist außergewöhnlich. Das ist wirklich auch als gegnerischer Verantwortlicher eine Freude, dass man das live erleben darf“, flippte St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann geradezu aus.

Alexander Blessin kann erneut die gleiche Startelf aufbieten

„Wir flippen nicht aus, wenn wir mal ein Spiel gewinnen und gehen nicht durchs Tal der Tränen, wenn wir eins verlieren. Der Sieg gibt uns aber schon ein Schub und den wollen wir jetzt auswärts auch zeigen“, hatte Blessin vor der Partie noch gesagt. An diesem Nachmittag wäre aber vermutlich selbst mit Raketenschub wenig möglich gewesen. Diesen besaß St. Pauli ohnehin nicht.

Dass Blessin zum dritten Mal in Folge mit der gleichen Startelf begann, hatte zweierlei Gründe. Einerseits gab es wenig Not, das Team nach dem 3:1 gegen Holstein Kiel zu verändern, andererseits sind die Alternativen auf der Bank verletzungsbedingt rar gesät. Kleiner Funfact am Rande: So viel personelle Konstanz in Folge bei der Anfangsaufstellung gab es bei St. Pauli in der Bundesliga zuletzt in der Saison 1990/91 unter Helmut Schulte. Das wird sich kommenden Sonnabend gegen Werder Bremen zwangsläufig ändern, weil Morgan Guilavogui seine fünfte Gelbe Karte sah (37.).

Kiezkicker geraten früh mit 0:2 in Rückstand

Damit hatte sich das mit den Funfacts und den Späßen fürs Erste wieder. Bei Standards in dieser Saison verhältnismäßig anfällig fingen sich die Braun-Weißen nach einer Ecke das 0:2 ein (21.). Weil es Jonathan Tah gelungen war, sich mit seiner 1,95-Meter-98-Kilo-Maschine von Körper unsichtbar zu machen, so frei kam er zum Kopfball. Und vielleicht auch ein wenig, weil der König von St. Pauli, Jackson Irvine, zu weit von ihm weg stand.

Immerhin: In der 29. Minute war der erste Torschuss des Außenseiters zu notieren – aus 24 Metern von Oladapo Afolayan mitten in die Arme von Lukas Hrádecký. Dennoch schaute es gar nicht so schlimm aus, wie es sich anhören mag. Die Gäste versuchten, nach Balleroberung schnell umzuschalten. Leverkusen ließ dies nur kaum zu. Im Durchschnitt dauerte es knapp eine halbe Minute, bis St. Pauli das Spielgerät erhaschte. Bayer kontrollierte bis zur Halbzeit das Geschehen mühelos.

Morgan Guilavogui erzielt den Anschlusstreffer

Auf eine seltsame Weise traf das nach dem Seitenwechsel zu und zugleich nicht mehr zu. Die Millerntor-Elf störte nun mitunter sehr früh und erzwang Fehler. Dazu verpasste Guilavogui zweimal knapp nach Vorlagen des wirklich feinen Afolayan (54./59.). Dennoch vermittelten souveräne Leverkusener eigentlich nie den Eindruck, dass bei sechs Grad Celsius etwas anbrennen könnte. Vielleicht mit Ausnahme des Schusses von Johannes Eggestein (81.), der nur knapp am Tor vorbeiging. Fairerweise müssen dann aber auch die Chancen von Wirtz (71.) und Granit Xhaka (79.) Erwähnung finden.

„Die zweite Halbzeit war viel mehr das, was wir wollten, waren deutlich aktiver“, lobte Bornemann. „Die Mannschaft kann stolz sein. Wir müssen es eh wieder schaffen, die Leistung zu beurteilen, losgelöst davon, ob wir gewinnen oder verlieren.“ Doch beinahe hätte St. Pauli noch etwas gewinnen können. Denn der bis dahin so engagierte und doch glücklose Guilavogui drohte, dem Geschehen die Wende zu geben (84.). Nach innen lässt er Arthur aussteigen, nach außen geht der Franzose vorbei, ins lange Eck nagelt er den Ball rein. Geil, wie bei Wirtz. Muss man gesehen haben.

St. Pauli kann sich nicht belohnen

Müsste man gesehen haben: den Beinahe-Ausgleich von Eggestein (89.). „Da hat Leverkusen Nervenflattern bekommen. Meine Mannschaft gibt nie auf, Chapeau“, meinte Blessin. Eggestein erkannte, „dass man die vielen Spiele merkte, die Bayer in den Beinen hat. Hätten wir das Tor ein bisschen früher erzielt, wäre vielleicht noch etwas gegangen.“

Stattdessen fuhr St. Pauli ohne Punkte nach Hause. Dafür mit zwei Erkenntnissen: Dass bei der nächtlichen Ankunft auf dem Kiez die Lichter im Gegensatz zu Leverkusen immer noch brennen. Und dass sie mit solchen Leistungen auch kommende Saison noch in der Bundesliga brennen werden.

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Bayer Leverkusen: Hrádecký – Tapsoba, Tah, Hincapié – Arthur, Xhaka, García, Grimaldo (78. Belocian) – Palacios (59. Frimpong), Tella (87. Andrich), Wirtz (78. Terrier).
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Nemeth (89. Dźwigała) – Saliakas (89. Ritzka), Irvine, Boukhalfa (79. Sinani), Treu – Guilavogui, Eggestein (89. Albers), Afolayan (82. Ahlstrand).
Tore: 1:0 Wirtz (6.), 2:0 Tah (21.), 2:1 Guilavogui (84.). Schiedsrichter: Jöllenbeck (Freiburg). Zuschauer: 30.210 (ausverkauft). Gelbe Karten: Hincapié (3) – Guilavogui (5), Saliakas (3). Dźwigała (2). Statistiken: Torschüsse: 6:10; Ecken: 7:4; Ballbesitz: 61:39 Prozent; Zweikämpfe: 98:110; Laufleistung: 121,1:122,9 Kilometer.