Hamburg. Der österreichische Verteidiger schien beim FC St. Pauli abgeschrieben, nun überzeugt er. Wie er seine Situation derzeit bewertet.
Am Donnerstag tritt die österreichische Band Bilderbuch in Hamburg im Docks auf. Die Art-Pop-Gruppe hat sich zu einem Verkaufsschlager der Alpennation entwickelt. Die Karriere von David Nemeth verlief ebenfalls zeitweise wie im Bilderbuch. Zum Kassenschlager wurde auch dieser Österreicher. Via Sturm Graz und FSV Mainz 05 wechselte er 2022 für 1,3 Millionen Euro zum FC St. Pauli, der dafür die zweithöchste Ablöse seiner Vereinsgeschichte zahlte. Für Nemeth ging es, ganz wie es sich für einen Alpenländer gehört, stramm bergauf. Bis zum 8. Oktober 2022.
Zuvor sieben Spiele bravourös in der Innenverteidigung der Kiezkicker, musste er in der Partie bei Eintracht Braunschweig (1:2) nach nur zehn Minuten ausgewechselt werden – und zwar gefühlt ins Nirwana. Die folgende Diagnose Schambeinentzündung klingt vielleicht nicht so niederschmetternd wie ein Kreuzbandriss, kann aber nur schlecht behandelt werden und lange Ausfallzeiten hervorrufen. Bei Nemeth dauerte es sehr lange.
David Nemeth hilft dem FC St. Pauli nach langer Leidenszeit wieder
Als er am 19. August 2023 erstmals wieder auf dem damals noch Zweitligarasen auftauchte, hatten sich Hauke Wahl, Eric Smith und Karol Mets als zuverlässiges Defensivtrio etabliert, für Nemeth fielen kaum noch Minuten ab.
Nun fiel Mets zuletzt zwei Begegnungen wegen einer Reizung der Patellasehne aus. Und Nemeth? Wurde ins kalte Wasser geworfen und spielte gegen Borussia Mönchengladbach (0:2) und Holstein Kiel (3:1), als hätte es die zweijährige Leidenszeit nie gegeben. Mehr noch: Der 23-Jährige war vor allem ins Offensivspiel direkt stark involviert, stand defensiv stabil. Einzig die Zweikampfquote von knapp 44 Prozent ließ noch auf etwas Rost schließen. „Am Ball hat es mich nicht überrascht. Da weiß ich, dass er extreme Qualitäten hat“, lobte St. Paulis Cheftrainer Alexander Blessin Nemeth.
Österreicher wird mit 18 Jahren in Mattersburg ins kalte Wasser geworfen
Der kennt dieses Gefühl des unerwarteten Eisbads auf höchstem Niveau. Mit gerade einmal 18 Jahren debütierte der in Eisenstadt geborene Burgenländer aus dem Nichts für den SV Mattersburg in der österreichischen Bundesliga. „David war sofort eine stabile Säule für uns. Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass er es schaffen kann“, sagt Franz Ponweiser, sein damaliger Trainer. Der 49-Jährige, der inzwischen die U 15 seines Heimatlandes coacht und an der Trainerakademie des Österreichischen Fußball-Bundes arbeitet, kennt Nemeth aber schon weitaus länger.
Als fehleranfälligen Stürmer, der in der Fußballakademie Burgenland nicht zu den Toptalenten gehörte, hat ihn Ponweiser initial in Erinnerung. „David war damals sehr schnell gewachsen und hatte große Themen mit der Koordination und den Hebeln“, sagt Ponweiser, der es auch war, der Nemeth zum Verteidiger umschulte. „Wir haben gemerkt, dass ihm das Spiel besser liegt, wenn er es vor sich hat.“
Ex-Trainer über Nemeth: „Charakterlich ein ganz toller Junge“
Plötzlich passt alles zusammen, Nemeth entwickelt sich vom Ergänzungsspieler zum heißen Anlagegut. Sein Marktwert steigt auf vier Millionen Euro, als ihn Mainz 2021 in die Bundesliga holt.
Vor allem seine Beidfüßigkeit und die technischen Qualitäten, die aus seiner Stürmerzeit herrühren, halfen dem 1,91-Meter-Mann dabei. Vor allem aber helfen Nemeth andere Qualitäten auf dem Platz, besonders aber daneben und während der zurückliegenden Krisenzeit. „Er ist charakterlich ein ganz toller Junge, aus einem hervorragenden Elternhaus. In der Schule war er immer sehr brav“, schwärmt Ponweiser.
Wechselgedanken sind dem Kiezkicker fremd gewesen
Die Jugendzeit hat es Nemeth gelehrt, zu kämpfen. Der Weg zum Profi war nicht vorgezeichnet; Mattersburg geht 2020 insolvent; in Mainz kann er sich nicht durchsetzen. Diese Erfahrungen prägen. Daher blieb Nemeth auch in den während der schwierigen Phasen in zweieinhalb Jahren bei St. Pauli überwiegend optimistisch.
Ihm nahestehende Quellen berichten, dass sich der sympathische Abwehrmann so gut wie nie mit Wechselgedanken auseinandergesetzt habe. Nemeth, dessen Vertrag am Millerntor noch bis zum Sommer 2026 gültig ist, fühlt sich beim Kiezclub sehr wohl, seiner Freundin und ihm gefällt es in Hamburg ausgesprochen gut. Er habe noch nie in einem Umfeld gespielt, in dem das soziale Gefüge derart angenehm sei, ist zu hören.
St. Paulis Trainer Alexander Blessin lobt Nemeth
Es sei wichtig für ihn gewesen, im vergangenen Frühjahr drei Partien über die komplette Distanz gegangen zu sein, als Smith ausgefallen war. Nemeth trug mit stabilen Leistungen zum Aufstieg bei, darauf ist er gewaltig stolz gewesen. Im Sommer kam er dem Vernehmen nach dennoch ins Überlegen, ob die Reservistenrolle weiter Sinn ergebe.
„Es ist auf jeden Fall so, dass man in ein Loch fällt. Da fehlt dann ein bisschen die Anspannung, weil man nicht sieht, dass man spielen kann. Dann versucht man, sich abzulenken und andere Dinge zu machen“, sagte Nemeth am Dienstag. „Ich habe auch viel mit Freunden geredet, wie die die Situation sehen.“ Blessin zeigte ihm im Sommer jedoch eine Perspektive auf, die sich nun erfüllt hat.
In der Zwischenzeit war sich der 23-malige Juniorennationalspieler auch nicht zu fein dafür, in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga Nord zu spielen. „Ich bin extrem froh, dass ich das mit der U23 gemacht habe. Das hat mir richtig geholfen und hat auch sehr viel Spaß gemacht“, sagt Nemeth, der für diesen Schritt auch von Blessin gelobt wurde.
Franz Ponweiser: „Traue David eine große Rolle zu“
Ob Nemeth diesen Rhythmus beibehalten kann, wird sich zeigen. Mets joggte am Montag und Dienstag mit Ball um den Trainingsplatz. Der Einsatz des Esten am Sonnabend in Leverkusen ist ungewiss. So oder so: Ponweiser glaubt fest daran, dass sich sein Schützling durchsetzen wird: „Verletzungen sind der einzige Grund, weswegen er noch nicht durch die Decke gegangen ist. Ich traue ihm in den Top-Fünf-Ligen Europas eine große Rolle zu.“
Es wäre eine Bilderbuch-reife Fortsetzung seiner Geschichte. Und, um einen anderen österreichischen Musik-Verkaufsschlager zu zitieren: „Out of the dark“ ginge es dann zurück ins Rampenlicht.