Hamburg/Mönchengladbach. Nach dem 0:2 in Mönchengladbach gab es von den Kiezkickern eher milde Aussagen zur eigenen Leistung. Inwiefern war das berechtigt?

Mit Jackson Irvine lässt es sich in der Regel recht harmonisch über Fußballspiele philosophieren. Als der Kapitän des FC St. Pauli am Sonntagabend im Bauch des Borussia-Parks aber gefragt wurde, ob die 0:2-Niederlage bei Borussia Mönchengladbach die bisher schlechteste Saisonleistung der Kiezkicker war, widersprach der schnurrbärtige Australier deutlich.

„Auf gar keinen Fall“, betonte Irvine mit einer für ihn untypischen Verve: „Die ersten drei Saisonspiele (0:2 gegen Heidenheim, 0:1 bei Union Berlin, 1:3 in Augsburg, d. Red.) waren im Gegensatz zu heute Zeitverschwendung.“ Über weite Phasen habe man gegen die Borussia so gespielt, wie man es sich vorstelle. „Grundsätzlich bewegen wir uns in die richtige Richtung, heute war es ein kleiner Rückschlag“, sagte Irvine.

FC St. Pauli: Sind die Kiezkicker zu unkritisch?

Zwar nicht mit dem gleichen Elan, aber inhaltlich doch recht ähnlich äußerten sich auch die anderen Kiezkicker. Der Grundtenor: Abgesehen von der Phase zwischen dem 0:1 (14., Alassane Pléa) und dem 0:2 (44., Tim Kleindienst) habe man sich nur wenig vorzuwerfen.

„Diese halbe Stunde war nicht gut. Bis zum ersten Gegentor haben wir es gut gemacht, danach haben wir nicht als Einheit agiert“, betonte Trainer Alexander Blessin. „So kamen wir in dieser halben Stunde immer wieder zu spät und haben falsche Entscheidungen getroffen.“

Stürmer Eggestein sprach von mehreren Hochkarätern

Auch Stürmer Johannes Eggstein sah es so. „Die erste Halbzeit war offensiv nicht gut, in der zweiten hatten wir dann schon die eine oder andere Chance und auch Hochkaräter, wo ein Tor hätte fallen können“, sagte er. „In der zweiten Halbzeit haben wir dann besser gespielt.“

Besser, klar. Aber auch gut? Wenn man sich als Schüler im Zeugnis von einer Fünf auf eine Vier steigerte – in diese Bereiche könnte man die erste und zweite Halbzeit der Hamburger wohl einordnen – hatte man sich auch verbessert, war aber noch lange nicht gut. Tatsächlich musste man die Frage stellen, ob die Braun-Weißen ihre verdiente Niederlage etwas zu sehr schönredeten.

Mönchengladbach war mit seinem Spiel nicht zufrieden

Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch zahlreiche Gespräche, die man unter Mönchengladbacher Fans, Journalisten und Verantwortlichen in der Arena mitbekam. Die Borussia sah den eigenen Auftritt über weite Strecken als ziemlich schwach an, Fohlen-Trainer Gerardo Seoane sagte im Anschluss: „Wir waren zu fehlerhaft in der ersten Halbzeit. In der zweiten Halbzeit mussten wir viel mehr verteidigen, weil wir uns mit dem Ball nicht mehr so entfalten konnten.“

Der Schweizer Akzent des Cheftrainers tat sein Übriges, eine nun vielsagende Aussage maximal respektvoll zu verpacken. „Kompliment an die Mannschaft, dass sie auch an einem weniger guten Tag resilient geblieben ist“, sagte Seoane. Mit anderen Worten: Gegen dieses St. Pauli reichte auch eine schwache Leistung.

Niedrige Expected-Goals-Werte im St.-Pauli-Angriff

Dies lag in erster Linie an der Offensivschwäche des Aufsteigers. Mittelstürmer Eggestein kam mit einer Halbchance auf einen persönlichen Expected-Goals-Wert von 0,05. Außenstürmer Oladapo Afolayan, der im Gegensatz zu Eggestein in dieser Saison zumindest schon getroffen hatte, war mit 0,04 xGoals noch ungefährlicher.

Auf den besten Wert brachte es noch Morgan Guilavogui, der zunächst als Linksaußen agierte, nach Eggesteins Auswechslung ins Zentrum wechselte und allein bei seiner großen Kopfballchance in der 74. Minute auf einen xGoals-Wert von 0,33 kam. Dummerweise war das auch die erste ernsthafte Chance für die Hamburger, weitere wirkliche Gelegenheiten hatten nur Irvine per Kopf (87. Minute/xGoals-Wert 0,17) und Hauke Wahl per Fuß (88./0,22).

Verletzungssituation ist ein Erklärungsansatz

Zum Vergleich: Mönchengladbachs Pléa hatte bei seinem 0:1 einen xGoals-Wert von 0,36. Als er wenig später St. Paulis Torwart Nikola Vasilj umkurvte und David Nemeth sensationell per Grätsche rettete, lag der Wert allein in dieser Aktion sogar bei 0,72. Und beim 0:2 von Kleindienst errechnete der Chancen-Algorithmus einen xGoals-Wert von 0,44. Oder wieder mit anderen Worten: Mönchengladbachs Stürmer waren gefährlich, St. Paulis nicht.

„Insgesamt muss man berücksichtigen, dass wir auch den einen oder anderen Verletzten haben, wo uns ein bisschen die Möglichkeit fehlt, in der Offensive noch mehr nachzulegen“, merkte Eggestein richtigerweise an. Insbesondere der Ausfall von Elias Saad war deutlich zu sehen, die Kreativität des Flügeldribblers hätte St. Paulis Offensivvortrag gutgetan.

Kehrt Karol Mets gegen Holstein Kiel zurück?

Stattdessen wechselte Trainer Blessin in Erik Ahlstrand und Danel Sinani als Erstes zwei Akteure ein, die in der bisherigen Spielzeit keine Rolle spielten und ihr Bundesliganiveau noch nicht nachgewiesen haben. In Marwin Schmitz und Julien Yanda standen zudem zwei 17-Jährige im Kader, die noch A-Jugend spielen könnten.

„Natürlich merkt man, dass Spieler fehlen. Und das sind auch nicht nur die Kaderspieler 23 bis 27, sondern wichtige Leute“, sagte Innenverteidiger Hauke Wahl. „Unsere Verletztenliste sieht gerade nicht schön aus, das soll aber keine Ausrede sein.“ Am Freitag (20.30 Uhr, Millerntor-Stadion) im Kellerduell gegen Mitaufsteiger Holstein Kiel könnte zumindest Abwehr-Routinier Karol Mets (Patellasehne) zurückkehren.

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Grundsätzliche Fragen zur richtigen Balance zwischen Defensive und Offensive wollten sich die Kiezkicker aber nicht stellen lassen. „Wir brauchen nach so einem Spiel nicht alles über den Haufen zu werfen. Wir haben immer noch gegen Borussia Mönchengladbach gespielt, die eine sehr hohe individuelle Qualität haben“, sagte Wahl. „Es wird in unserem Spiel auch selten passieren, dass wir sechs, sieben Hochkaräter haben.“ Stattdessen müsse man die wenigen Chancen besser nutzen – das war nur selten so wichtig wie am kommenden Freitag gegen Kiel.