Hamburg. Der Verein vom Millerntor soll der erste deutsche Proficlub mit eigenem Tarifvertrag werden. Wo die größten Probleme liegen.
Es ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren immer wieder für hitzige Diskussionen auf den Mitgliederversammlungen des FC St. Pauli gesorgt hatte: die gerechte Bezahlung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch wenn der Kiezclub nicht dafür bekannt ist, seinen Fußballprofis exorbitante Gehälter zu überweisen, so ist eben doch die Diskrepanz zu den meisten der mehr als 500 übrigen Beschäftigten erheblich.
Es liegt auf der Hand, dass es in verschiedenen Bereichen auch eines Profivereins diverse Tätigkeiten gibt, die eher dem Niedriglohnsektor zuzuordnen sind. Da gibt es Platzarbeiter auf den Trainingsanlagen und im Stadion, Verkaufskräfte in den Fanshops oder Fahrer, die auf Minijob-Basis tätig sind.
St. Paulis Tarifvertrag: Das sind die Knackpunkte
Ein Tarifvertrag soll nun dafür sorgen, dass die Bezahlung aller Beschäftigten des Vereins gerechter und vor allem auch transparenter gestaltet wird. Der FC St. Pauli wäre, wenn dieses komplizierte Werk denn realisiert wird, mal wieder ein Vorreiter. Kein anderer deutscher Verein im Profifußball hat bisher einen eigenen Tarifvertrag.
Dabei ist dieser Tarifvertrag ursprünglich alles andere als ein Wunschprojekt des St.-Pauli-Präsidiums gewesen. Vielmehr entsprang die Forderung nach einem solchen, mit einer Gewerkschaft ausgehandelten Werk bereits vor drei Jahren einem Antrag auf der Mitgliederversammlung. Vergeblich hatte der damalige Vizepräsident Carsten Höltkemeyer versucht, diesen Antrag abzumildern oder eine Mehrheit der Mitglieder von einer Ablehnung zu überzeugen.
St. Paulis Präsidium erlitt 2021 Niederlage auf der Mitgliederversammlung
Höltkemeyer hatte argumentiert, dass unmittelbare, interne Gespräche zwischen Vereinsführung und dem Betriebsrat des Vereins über die Gehälter sinnvoller seien, als mit Außenstehenden zu verhandeln. Auch die Feststellung von Bernd von Geldern, seinerzeit St. Paulis Geschäftsleiter Wirtschaft, dass alle Beschäftigten mindestens den gesetzlichen Mindestlohn erhielten, konnte das Blatt nicht wenden. „Erste Niederlage für wiedergewähltes St.-Pauli-Präsidium“ titelte damals das Abendblatt.
Seither also beschäftigen sich die Führung und der Betriebsrat des Millerntorclubs sowie die Gewerkschaft Ver.di damit, einen auf den FC St. Pauli zugeschnittenen Tarifvertrag auszuarbeiten. Als Vertreter des Arbeitgebers sitzt inzwischen der seit gut einem Jahr tätige kaufmännische Geschäftsleiter Wilken Engelbracht (51) am Verhandlungstisch und ist mit dem Poker ums Grundsätzliche und um Details gut beschäftigt.
Alle zwei Wochen wird stundenlang verhandelt
Alle zwei Wochen sitze man jeweils mehrere Stunden zusammen, berichtete Engelbracht jetzt auf der diesjährigen Mitgliederversammlung am Freitagabend. „Wir stehen in aktiven Verhandlungen. Die Runden sind hart in der Sache“, sagte er. „Das Ziel ist es, niedrige Gehälter anzupassen.“
Konkret gehe es dabei zum einen um einen Manteltarifvertrag, in dem grundsätzliche Dinge wie Urlaubstage und Arbeitszeiten geregelt sind. Zum anderen gelte es, sich auf eine einheitliche Vergütungsstruktur zu einigen und darauf, wo welcher Arbeitsbereich eingruppiert wird. Hauptproblem dabei ist, dass in einem Proficlub wie dem FC St. Pauli Vertreter extrem vieler unterschiedlicher Berufsgruppen und Branchen tätig sind.
Wilken Engelbracht: „Der Tarifvertrag kommt nicht umsonst“
Mit welcher Position in der Sponsoren-Akquise ist also etwa ein Trainer im Nachwuchsleistungszentrum gleichzusetzen? Oder welcher Beschäftige in einem der beiden Fanshops ist mit wem aus dem Bereich Rechnungswesen auf einer Vergütungsebene? Engelbracht sprach nicht ohne Grund von „mehr als 100 Problemstellungen“.
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„Der Tarifvertrag kommt nicht umsonst“, sagte der Top-Funktionär zudem und kündigte so schon mal an, dass das Budget für die Personalkosten künftig höher ausfallen müsse, wenn man keine Stellen abbauen möchte. Schon jetzt habe der FC St. Pauli einen Inflationsausgleich für die Bezieher niedriger Gehälter gezahlt. Zudem habe der Verein von sich aus auch bereits die Entlohnungen für die Beschäftigten in den Fanshops angehoben – dies auch als Reaktion auf den deutlich höheren Kundenandrang in den Wochen kurz vor und nach dem Bundesliga-Aufstieg.
Der FC St. Pauli zahlte einen Inflationsausgleich
Aus dem Betriebsrat des Vereins war zu hören, dass die Verhandlungen spürbar an Fahrt aufgenommen haben. Die Vertreter sind zufrieden mit dem Vorgehen aller Seiten. „Mit viel Fantasie ist der Vertrag Ende 2025 fertig“, sagte ein Betriebsrat dem Abendblatt.
Aktuell befindet sich das Thema Tarifvertrag allem Anschein nach auf der Zielgeraden. „Wir wollen bis Jahresende grundsätzliche Klarheit haben“, sagte Wilken Engelbracht jetzt. Dennoch wollte er noch nicht sagen, wann denn die entscheidenden Unterschriften das fertige Vertragswerk zieren werden. Vielmehr stellte er klar: „Es wäre verkehrt, jetzt einen Zeitrahmen zu nennen.“ Einige weitere Stunden am Verhandlungstisch stehen also offenbar noch bevor.